"Die Philister sind empört"
Hans Thoma – neu entdeckt im Museum LA 8 in Baden-Baden.
von Hans-Dieter Frontz
Hans Thoma hat die Kunstwelt schon zu Lebzeiten gespalten und
tut dies bis heute. Selbst in seinem Stammland Baden ist der Leumund des
in Bernau geborenen Schwarzwaldmalers nicht der allerbeste. Für Helmut
Dorner, Malereiprofessor in Karlsruhe und Träger des Hans-Thoma-Preises,
der bedeutendsten Auszeichnung für Künstler im Südweststaat, ist er
gesprächsweise ein rückwärtsgewandter Kleinmeister, der die Täler und
Höhenzüge des Schwarzwalds malte, wie man einen Hunderücken streichelt.
Die große Thoma-Schau im Frankfurter Städel vor vier Jahren stellte den –
so ihr Titel – "Lieblingsmaler der Deutschen" seiner Vereinnahmung
durch die Nationalsozialisten wegen gleich selbst in die rechte
Gesinnungsecke.
Felsige Schwarzwaldhöhe 1889
In die er nun doch nicht gehört. Thomas konservatives bis reaktionäres Image war und ist die Folge dessen, dass er es im Alter nicht vermochte, sich aus der erdrückenden Umarmung des deutschnational gesinnten Kunsthistorikers Henry Thodes zu lösen. Kratzt man indes nur ein wenig an der Oberfläche seines Werks, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Die Ausstellung im Museum für Kunst und Technik im 19. Jahrhundert in Baden-Baden zeigt uns einen ganz anderen Thoma.
Felsige Schwarzwaldhöhe 1889
In die er nun doch nicht gehört. Thomas konservatives bis reaktionäres Image war und ist die Folge dessen, dass er es im Alter nicht vermochte, sich aus der erdrückenden Umarmung des deutschnational gesinnten Kunsthistorikers Henry Thodes zu lösen. Kratzt man indes nur ein wenig an der Oberfläche seines Werks, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Die Ausstellung im Museum für Kunst und Technik im 19. Jahrhundert in Baden-Baden zeigt uns einen ganz anderen Thoma.
Bernau im Schwarzwald
"Wanderer zwischen den Welten" nennt ihn die in Zusammenarbeit mit dem Augustinermuseum Freiburg und dem Thoma-Kunstmuseum in Bernau entstandene Schau im Untertitel; beide Häuser stellten eine beträchtliche Anzahl von Werken zur Verfügung. Tatsächlich war der vermeintlich biedermeierlich pinselnde Heimatmaler mit eng begrenztem Horizont ein vielseitig interessierter und weltoffener Künstler. Noch keine dreißig, ging Thoma 1868 nach Paris, wo er sich für die Malerei von Barbizon und Delacroix begeisterte; Courbet, der zu seinem Leitstern wurde, besuchte er im Atelier. Fünf Mal reiste Thoma nach Italien und lebte die meiste Zeit seines Lebens in Großstädten wie Düsseldorf und München, Frankfurt und Karlsruhe, wo er 1924 starb. In München verkehrte er mit Carl Schuch und Wilhelm Leibl und freundete sich mit Arnold Böcklin an.
Das Wiesenthal bei aufziehendem Gewitter
Treffender denn als intellektuell unbedarfter Idyllenmaler des Schwarzwalds wäre zumal der junge Thoma als Avantgardekünstler beschrieben. "Die Philister sind empört", verzeichnet ein Tagebucheintrag des 30-Jährigen als Reaktion der Kunstsinnigen auf seine Malerei. Überraschend modern anmutende Werke, teils aus dem 2008 ans Licht gelangten Nachlass, kann denn auch das Museum für Kunst und Technik aufbieten – Thoma und Technik? Durchaus, mit Anfang 50 experimentierte er mit der noch jungen Vervielfältigungstechnik der Tachografie. Neben Algrafien sind vier Tachografien zu sehen.
Harpye, Tachographie 1892
Als Student des berühmten Landschaftsmalers Schirmers erklärte Thoma den "lieben Schwarzwald" mit Bedauern für "unmalerisch" – um sich das Motiv dann doch nicht abhandeln zu lassen. Die Idylle von "Ziehende Herde" freilich mutet etwas abgründig an; im Spiegel des Tümpels – eines nicht sehr idyllischen, vielmehr unschönen Lochs mitten in der Landschaft – steht sie buchstäblich Kopf. Eine andere Landschaft mit einem Himmel von unwirklichem Blau wird zum Spiegel der "Einsamkeit" (1906). Auch Thomas Entwürfe für Brettstühle – Heimatkunst der ganz anderen Art – entwerfen seltsam vertrackte, gar nicht eben anheimelnde Szenerien.
Sommernachmittag im Schwarzwald
Gewiss, Thoma malt und zeichnet auch herkömmliche Idyllen: wahrhaft herzerquickende wie "Märchenerzählerin", eine Tachografie, und die beiden Algrafien "Blick auf Öflingen" sowie magische "Weihnachten I". Doch Thoma malt oder zeichnet zugleich einen abgehalfterten reitenden Tod und einen ominösen "Frühlingsreiter"; dazu durch die Lüfte fliegende "Rheintöchter" und "Winterweiber" oder einen "Sturz des Ikarus"; Tritonen auch und Nereiden, Harpyien oder den Vortrab des Dionysos, des Gottes der Ekstase. Den entfesselten "Hexentanz" nicht zu vergessen – und einen furiosen "Hexenritt", der Thoma, diesen janusköpfigen Faun vom Oberrhein, geradezu zum legitimen Nachfolger Hans Baldung Griens macht.
Museum für Kunst und Technik LA 8 des 19. Jahrhunderts, Lichtentaler Allee 8, Baden-Baden. Bis 4. März, Di bis So 11-18 Uhr
Informationen zur Ausstellung:
Die Ausstellung zeigt Gemälde, Zeichnungen und Grafiken von
Hans Thoma (1839–1924) und präsentiert Aspekte, die über die bekannte
Vorstellung vom Maler seiner Schwarzwälder Heimat hinaus weisen.
Selten ausgestellte Werkgruppen führen das thematische Spektrum und die
Weltläufigkeit des berühmten Künstlers aus Bernau vor Augen.
Befreundet
mit Arnold Böcklin und Adolf von Hildebrand, findet Hans Thoma auf
seinen Italienreisen zum besonderen Licht seiner Landschaftsmalerei und
zu fantastischen Anverwandlungen antiker und christlicher Motive. In
seinen Entwürfen für die handwerkliche Möbelherstellung der
Schnitzereischule Bernau und die Keramikproduktion der Majolika in
Karlsruhe erweist sich Thoma als Mittler zwischen dem englischen Arts
and Crafts Movement und jener Moderne, die später zur Gründung des
Bauhauses führte.
Die Ausstellung widmet sich Hans Thoma als genialischem Bilderfinder und
als handwerklich präzisem Gestalter anspruchsvoller
Alltagsgegenstände. Die weite Spanne seiner Produktivität bewältigt
Thoma stets mit einer Art überscharfen in-den-Blick-Nehmens. Unter
Thomas Blick erscheinen Menschen und Dinge so nah, dass sie dadurch
fremd werden.
Dabei fügt der Maler seinen Gegenständen keine mutwillige
Verfremdung hinzu. Vielmehr erwächst die Infragestellung des scheinbar
Bekannten wie von selbst aus der genauen, eindringlichen
Betrachtungsweise Thomas. In der Ausstellung sieht der Besucher
Hochtäler des Schwarzwalds und italienische Landschaften, allerdings
anders. Thoma kombiniert Eindrücke der Bernauer Heimat mit solchen der
Campagna und setzt in diese Szenerien alltägliche Spaziergänger ebenso
wie mythologische Fabelwesen von bestechender Präsenz. Die
Vergegenwärtigungen biblischer Figuren sind weit entfernt von
erzählerischer Illustration und nahe bei ekstatischer Erscheinung.
Selten gezeigte Gemälde aus allen Schaffensperioden dieses langen, bis
zum Schluss erfindungsreichen Künstlerlebens vermitteln einen Eindruck
von Thomas Vielfalt und Intensität. Zwei Skizzenbücher gestatten, dem
Künstler bei der Ideenfindung gewissermaßen über die Schulter zu
schauen. Zum ersten Mal publizierte Blätter geben Eindrücke von Thomas
erster Italienreise 1874 wieder. Thomas Entwürfe zu Möbeln und Keramiken
sowie markante Beispiele der ausgeführten Stücke belegen seine
Originalität als Gestalter und seine Rolle als Mitbegründer der
Karlsruher Majolika. Als bereits etablierter Künstler eignete sich Thoma
in den 1890er Jahren das für ihn neue Feld der Druckgrafik an und
gelangte mit großer technischer und motivischer Experimentierfreude in
seinen Radierungen, Lithografien, Algrafien und Tachografien bald zu
souveräner Meisterschaft.
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit dem Augustinermuseum in
Freiburg. Zusätzliche Leihgaben stammen aus renommierten privaten und
öffentlichen Sammlungen.
(Quelle: Pressetext)
Nota. - An dieser Stelle muss ich mich wiederholen (aus einem älteren Kommentar):
"Das ist die richtige Frage, die die Autorin stellt: Wenn man von seiner Wirkungsgeschichte absieht - verdient Thoma dann Beachtung? Aber eine Antwort gibt sie, abgesehen von dem verschämten Hinweis auf 'Melancholie', nicht. Naiv - das ist treffend, wie das Zitat aus der FAZ unterstreicht. Ein sehr ordentlicher Handwerker, aber kein Neuerer, weder stilistisch noch hinsichtlich der Sujets. Kunstgeschichte hat er nicht geschrieben, aber darauf hat er anscheinend auch keinen Wert gelegt; nicht ganz zu Unrecht, denn das ist Sache der Kunsthistoriker und nicht der Künstler. Und dass er von sich aus ein Deutschtümler gewesen sei, kann man bei der Vielfalt seiner Sujets nicht behaupten. Ein bißchen epigonal, das ja, aber eher dem Realisten Courbet verpflichtet als dem Frömmler C. D. Friedrich; überhaupt kein Wichtigtuer und sich nicht zu schade, fürs gemeine Volk auch Postkarten zu illustrieren. So schlecht finde ich das gar nicht, es trifft nur eben nicht meinen Geschmack.
J.E."
Die Hölle
Schließlich noch ein paar Stühle, die Thoma angefertigt hat:
Und hier ein wenig Majolika:
Schwanenteller
Hasenteller
Harpye
Pfauentauben, Supraporte
Wandteller 'Fabelwesen'
Musizierende Frau
Und dies zum Schluss: Der Wunsch, schöne Dinge in Serie fürs breite Publikum zu schaffen, ist so naiv gar nicht; jedenfalls nicht, wenn es ohne missionarischen Eifer geschieht.
JE
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen