Der Bettler als Edelmann
Ein großer Realist: Das Haus der Graphischen Sammlung in Freiburg zeigt Radierungen von Rembrandt.
von Hans-Dieter Fronz
Der uns da so überrascht, ja fassungslos, entgeistert aus dem
Bild heraus anschaut, ist – Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606–1669)
selbst, Schöpfer der kaum daumengroßen Radierung. Es gibt nicht viele
große Künstler, die sich vergleichbar exzessiv selbst porträtiert haben
wie er als Maler. Und als Radierer: Allein 30 Blätter mit
Selbstbildnissen existieren.
Die Ausstellung "Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes" mit Radierungen des Meisters im Haus der Graphischen Sammlung des Augustinermuseums Freiburg stellt eine Reihe dieser Selbstporträts an den Beginn des Parcours. Fast ausnahmslos stammen die 100 Graphiken aus den Beständen der Kunstsammlung der Veste Coburg . Die Initiative zu der Schau ging von Jürgen Müller aus, Kunstgeschichtsprofessor an der Technischen Universität Dresden und Rembrandt-Spezialist. Er hat die Ausstellung zugleich konzipiert.
Adam und Eva, 1638
Die Vielzahl Rembrandt’scher Selbstbildnisse hat nicht unbedingt etwas mit der modernen Tendenz zur Selbsterforschung zu tun. Die spektakuläre frühe Radierung "mit aufgerissenen Augen" etwa ist eine Affektstudie. Um als Maler die Affekte naturgetreu darstellen zu können, spielt der Radierer Rembrandt vor dem Spiegel mimisches Theater. Und schlüpft zugleich in wechselnde Rollen und Kostüme. Stellt sich einmal in abgerissener Kleidung und devoter Haltung als bedürftiger Almosenempfänger dar. Der Bettler als Edelmann. In diesem "Selbstbildnis mit aufgelehntem Arm" (1639) fehlt infolge einer Beschneidung des Papiers die Signatur. Indem er mit seinem bloßen Vornamen – Rembrandt – signiert, meldet der Künstler Ansprüche an. Selbstbewusst stellt er sich auf eine Stufe mit den Großen der Kunst wie Raffael, Leonardo oder Michelangelo. Als "Bildgelehrter" (Jürgen Müller), dessen Kunstsammlung tausende Blätter und Gemälde umfasst, kennt er deren Werke genau . Nur dass er seine Kenntnisse nicht ausstellt wie andere Künstler. Sondern mit lässiger Geste dezent in seine Bilder und Radierungen einfließen lässt. So wie er getrost gegen herrschende Bildtraditionen verstößt und sich um künstlerische Konventionen nicht schert, was ihm von vielen Seiten Kritik einträgt. Wie in seinen Gemälden vermischt Rembrandt in den radierten Rollenstudien unbedenklich die Zeiten und Kulturen. Vor allem jedoch erregt seine Kunst Anstoß dadurch, dass sie nie beschönigt und idealisiert. Man könnte Rembrandt als ersten großen Realisten der Kunstgeschichte bezeichnen.
Jupiter und Antiope 1659
Rembrandt malt und radiert einerseits die erhabenen und sublimen Sujets der Abendländischen Kunstgeschichte – das Genus grande: wie Christus in Emmaus oder Szenen aus der antiken Mythologie. Er malt und zeichnet aber zugleich – das Genus humile – niedere Genreszenen mit Bettlern, Hausierern oder einer Bauernfamilie. Er radiert sogar einen pinkelnden Mann und eine urinierende Frau. In dem Blatt "Der barmherzige Samariter" verrichtet im Vordergrund ein Hund sein Geschäft. Im großen Welttheater (von der frühneuzeitlichen Metapher ist der Künstler fasziniert) mit seinen Maskeraden ist für ihn der menschliche Leib in seiner Bedürftigkeit, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit der Ort der Wahrheit.
Das Hundertguldenblatt, um 1648
Und die ist Rembrandts Thema. Wahrheit und Lebendigkeit – versus Schönheit und erstarrte Konventionen. Selbst Christus ist von seinem Realismus nicht ausgenommen . Nicht vergeistigt zeigt ihn Rembrandt, vielmehr von Schmerz und Leiden gezeichnet wie in der "Großen Kreuzabnahme" – einem frühen Meisterwerk – oder entkräftet wie in der Szene mit der Samariterin am Brunnen: der Gottessohn als wahrer Mensch. Die Aktdarstellungen höhnen manche Zeitgenossen als die von Mägden, deren Beine noch Einschnitte von Strumpfbändern zeigen.
Voyeuristische Bedürfnisse des Betrachters befriedigt Rembrandt nicht. Doch die Versuchung lauert bei ihm überall.
Augustinermuseum (Haus der Graphischen Kunst), Salzstr. 32, Freiburg. Bis 28. Januar, Di bis So 10–17 Uhr.
Nota. - Mit Rembrandt stehe ich, wie Sie wissen, auf gespanntem Fuß. Während ich nie versäume, ihn als Porträtisten hoch über alle andern zu stellen, ist mir die allgemeine Verehrung, die er darüberhinaus genießt, ein Rätsel. Dass er, wie der Rezensent richtig bemerkt, ein realistische Maler war, sei zugestanden. Dass er aber der erste gewesen sein, sei ihm heftig widersprochen. Stets wird er neuerdings mit Caravaggio verglichen, aber das gekommt ihm nicht gut. Nicht nur das Chiaroscuro hat Caravaggio vor ihm erfunden; er hat es darüberhinaus auch gestalterisch zu nutzen verstanden, während es bei R. bloßer Effekt bleibt. Und namentlich hat er es zum Mittel der realistischen Darstellung gemacht, auch da war er früher als Rembrandt. Und nicht nur er, sondern die zahlreiche Schule der Holländischen Caravaggisten, die über Utrecht weit hinausgewirkt haben!
Die große Kreuzabnahme (zweite Platte), 1633
Hier nun die Graphik in specie. Es sind ja nicht alles flüchtige Skizzen; Fingerübungen und Gedächtnisstützen. Es sind zumeist ausgearbeitete und abgezogene Radierungen, die immerhin als fertiges Bild gemeint waren. Auch da ist er wieder - siehe oben - als Porträtist einsame Spitze, aber bei allen andern Sujets wiederholen sich die Schwächen seiner Gemälde: Das Hell-Dunkel dient allein dem Bildaufbau und gerade nicht der Wirklichkeit, es ist manieriert wie die Perspektiven bei Tintoretto: siehe die Große Kreuzabnahme! Von wo soll denn da das Licht kommen? Von den Strahlen rechts oben jedenfalls nicht. Den beabsichtigten Effekt macht es ja, aber eine künstlerische Leistung ist das nicht. Völlig unbeeindruckt lassen mich dagegen seine Landschaftszeichnungen. Landschaft - die große Entdeckung seiner holländischen Malerkollegen! Weder als Maler noch gar als Zeichner hat Rembrandt da eine Beitrag geleistet.
Glauben Sie mir, ich halte ehrlich Ausschau nach Dingen, die mich mit Rembrandt aussöhnen könnten, als Außenseiter fühle ich mich gar nicht so wohl. Aber diese Ausstellung hat mir nichts davon gebracht.
JE
Selbstbildnis mit Saskia 1636
aus Darf man denn an Rembrandt mäkeln?
... Bei Caravaggio waren Licht und Schatten zu allererst ein Mittel zur naturalistischen Wendung gegen den gezierten Manierismus seiner Zeit. Seine Gegenstände - Menschen wie Dinge - waren nicht nur volkstümlich; sie gewannen durch Licht und Schatten Profil und Plastizität, sie wurden wieder lebendig und echt. Und das Licht erlaubte ihm, die von den Manieristen verschmähte Perspektive triumphal wiederherzustellen, und zwar nicht einfach durch Linien und Winkel, sondern indem er die Räume durch Licht und Schatten aufbaute: Sie konnten jetzt tief werden. Er hat die abendländische Malerei revolutioniert wie keine andere Einzelperson; für ein halbes Jahrhundert gab es nur noch Caravaggisten.
Nichts davon bei Rembrandt. Bei ihm dienen Hell-Dunkel gerademal dem Bildaufbau.* Tiefe des Raumes? Ach, alles flach. Auch und gerade die Menschen sind flach! Was bei den Porträts nicht stört und nichteinmal auffällt, nimmt seinen szenischen Darstellungen alles Leben und - ja, das Wort muss gesagt werden - allen Ausdruck. Während die zeitgenössischen holländischen Landschaftsmaler die Linearperspektive durch Luft- und Farbperspektive ersetzten, um die Aufmerksamkeit von den Gegenständen abzuziehen und auf die ästhetische Gesamterscheinung zu lenken, verbannt Rembrandt die Perspektive gerade dort, wo sie immer hingehören wird - aus der Darstellung des wirklichen Lebens. ...
Ansicht von Amsterdam
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