Dienstag, 17. Oktober 2017

Rubens - der Damien Hirst seiner Zeit.

Die Haltung der „Venus Frigida“ (1614), zu Gast aus Antwerpen, schaute sich Rubens vom beliebten antiken Motiv der kauernden Venus ab.
aus Die Presse, Wien,

Rubens, der Damien Hirst seiner Zeit
120 Werke geben im Kunsthistorischen Museum einen fantastischen Einblick in die Trickkiste des barocken Malerfürsten Peter Paul Rubens. Man muss seine Kunst nicht mögen. Aber es zahlt sich aus zu versuchen, sie zu verstehen.

 

Bedächtigen Schritts ging Peter Paul Rubens durch seine Werkstatt im Erdgeschoß des Atelierhauses, das er sich neben seinem Wohnhaus in Antwerpen hatte errichten lassen. Elf bis 15 Schüler malten hier an 20, 25 Gemälden gleichzeitig. Ein Heer angestellter Arbeiter half bei den niederen Diensten. In einem Eck übertrugen Kupferstecher die Ölskizzen des Meisters, um die Drucke dann an die Königshäuser ganz Europas zu versenden, als Werbesendung sozusagen. Eine Pietà? Ein Urteil des Paris vielleicht, das Signature-Motiv des flämischen Barockstars? Oder doch lieber Ecce-Homo?

Wurde in Öl bestellt, begann es für die Schüler wieder stressig zu werden. Am Ende werden es 3000 Werke gewesen sein, die Rubens hinterließ, sie werden noch Jahrhunderte später Auktionsrekorde brechen. Der Meister eilte weiter, besserte hier einen Farbkontrast aus, verstärkte dort Mimik zu mehr Dramatik. Hielt kurz inne, um dem Vorleser zu lauschen, der sich immer neben ihm hielt (auf dem Programm stand Cicero). Dann ging der von Gicht schon Geplagte einen Stock höher, in die Meisterwerkstatt, setzte sich und zeichnete, frei aus seinem Bildgedächtnis heraus, gespeist aus Literatur, Antike, Wissenschaft, den Bildern seiner Zeit und Vorzeit, Michelangelo, Tizian, Goltzius etc.

Wichtig war: Alles musste im Fluss sein, die Komposition, die Details, die Oberflächen, ob Fleisch, Gewand, Haare. Affekte und Special Effects mussten stimmen, der Leichnam Christi fast abrutschen bei der Überstellung ins Grab, das Ringelnatter-bekrönte Medusenhaupt die Augen überdrehen. Huch! Sollte der Betrachter sagen. Sich involvieren. Sich entsetzen. Mit leiden. Rubens, das war großes Hollywood im Barock.

Zu laut! Aber was für Räume, Farben

Das Kunsthistorische Museum hat eine der wichtigsten Sammlungen dieses polarisierenden Barockmenschen – und hat aus deren Themen heraus jetzt nach 2004 wieder eine große, 120 Werke aus aller Welt umfassende, thematische Ausstellung im Haus kuratiert; erdacht und erforscht von Gerlinde Gruber und Stefan Weppelmann, einem der größeren Rubens-Fanboys der Fachwelt. Schließlich sei Rubens so zeitgenössisch, schwärmte er bei der Pressekonferenz. Und tatsächlich muss man an Warhol (Werkstatt) und Damien Hirst (monumentaler Eklektizismus), kann aber auch an den US-Farbfeld-Mystiker Mark Rothko denken, der schätzte, wie Rubens den Farben Gewicht verlieh. Oder an den italienischen Surrealistenvorläufer Giorgio de Chirico, der die kristallinen Räume Rubens erkannte.

Sich auf die Spuren des Surrealen, des Traumes in Rubens Werk zu begeben, die verschobenen Perspektiven und Architekturen erkennen zu lernen ist ein guter Leitfaden für Menschen, die Rubens' wellige Fleischberge, stürzende Pferde und die ganze ächzende, stöhnende, seufzende Menschenpracht so empfanden, wie man es im 19. Jahrhundert tat: als zu laut. Die Kuratoren legten Wert, Rubens als den Intellektuellen vorzustellen, der er war, mit dem damaligen Reichtum von 300 Büchern in seiner Bibliothek, mit seiner Korrespondenz mit der Wissenschaft, mit seinem Buchcover für die neuesten Forschungen am Gebiet der Optik etc. Vor allem aber schafft man es durch den Verzicht auf chronologischen Überblick und die Konzentration auf einige Hauptmotive, die Arbeitsweise Rubens klarzumachen – wie kommt man auf teils so schrille, schräge, exaltierte Bilderfindungen? Studien zeigen Rubens' Studium antiker Muskelmasse und Anatomie. Ausgewählte antike Skulpturen bzw. deren Repliken (Laokoon-Gruppe!) werden gegenübergestellt. Das gängige Schönheitsideal der damaligen Zeit – etwa bei Rubens' Lehrer Otto van Veen – erklärt: stutenäugig (dunkle Augen!), kirschmundig, kleinbrüstig. Immer wieder gelang es, die eigenhändige Ölskizze Rubens' und das Werkstattbild zu vereinen, das KHM kann hier aus dem Vollen, aus 40 Rubens-Gemälden schöpfen.

Sein spätes Selbstporträt, am Anfang der Ausstellung platziert, sticht in seiner Dunkelheit und Strenge heraus. Zwei Jahre vor seinem Tod steht er uns hier gegenüber, herrschaftlich, ein Malerfürst, die eine Hand am Degen, die andere im Handschuh. Eher ein Kaufmann als ein Maler. Doch in seinem Inneren sah es anders aus, wild und fantastisch, so möchte Stefan Weppelmann es uns jedenfalls glauben machen, eine reizvolle Vorstellung jedenfalls: Am Ende der Ausstellung hängt daher die „Seelenlandschaft“ Rubens', so Weppelmann, die nach zweijähriger Untersuchung frisch restaurierte „Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis“ (1620/25–1636). Ein tatsächlich grandioses Spektakel dramatisierter Natur, eine magische Verdichtung aus Luft, Licht, Wasser, Erde (und nur vier Figürchen ganz am Rand – okay, plus verendendes Rind im Strom und ein paar panischen Menschlein versteckt in der sich windenden Flora).

 1639

Das Erlebnis wird nur geschlagen durch den Extra-Shop, den man hier am Ende dieses fürs KHM ungewohnt in der Gemäldegalerie (nicht im Sonderausstellungsraum) aufgebauten Parcours findet. Rubens-Fanartikel, die man sich nie zu träumen gewagt hat, vom Medusen-Nattern-Shirt über den bedruckten Polster zu Op-Art-Kippkarten und Bonbonnieren mit Cellulitis-Bedruck. Eines weiß man jedenfalls: Rubens hätte diese Merchandising-Orgie geliebt, garantiert.

Bis 21. Jänner. Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr.


Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis

Nota. - Damien Hirst, das ist bös. Aber Hans Makart, das kommt hin; wenn man bedenkt, das dieser das Original, jener der Nachahmer war
JE



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