aus welt.de, 22.05.2019 Caillebottes Zeichnung für den Pariser Regentag
Er ist der wahre Erfinder des modernen Paris
Lange kannte man Gustave Caillebotte nur, weil er Monet und Renoir die
Miete bezahlte. Jetzt aber entdeckt Berlin ihn auch als Maler, der alle
impressionstische Gefälligkeit hinter sich ließ und zu neuer Härte fand.
Das war damals wirklich der letzte Schrei. Das wies tatsächlich in die Zukunft. Während Renoir noch seine immer ein wenig süßlichen Mägdelein aus dem Bade steigen ließ, Monet in seinen unzähligen Seerosen schwelgte und alle anderen Impressionisten munter in sonnenübergänzten Landschaften machten, brach Gustave Caillebotte mit der Gefälligkeit. Mit ihm gewann der neue Stil an Härte. An Kontur.
Prompt fiel er denn auch bald durchs Rost. Im kollektiven Gedächtnis hat er sich vor allem als mäzenatischer Freund der neuen Richtung in der französischen Malerei um 1870 eingeprägt. Und in der Tat: Er war es, der in seinen Anfängen Claude Monet die Miete zahlte. Der immer wieder dem jungen Auguste Renoir mit Geld aushalf.
Wen wundert’s, hatte doch der Herr Papa als Heereslieferant in Sachen Textilwaren Millionen sonder Zahl gescheffelt. Gustave Caillebotte, der von 1848 bis 1896 lebte, war (neben Manet und Degas) der einzige Impressionist mit Vermögen im Hintergrund.
Ohne Stallgeruch
Selbst das hat ihm noch geschadet. Denn so gern die Malerfreunde auf seine Dienste zurückgriffen, sie ließen ihn offenbar doch spüren, dass ihm der Stallgeruch fehle. Und der ewige Junggeselle in seinem goldenen Käfig, dem es am krachenden Selbstbewusstsein der impressionistischen.
Étude pur le Pont de l'Europe, 1876
Unter den vielen Merkwürdigkeiten seiner Existenz als Maler, Bourgeois, Sammler ist jedenfalls die größte folgende: Dieser Mann, der bereits mit 28 Jahren sein Testament machte und darin, instinktsicher auf die spätere Kanonisierung der Impressionisten setzend, deren Bilder, soweit er sie besaß, dem französischen Staat vermachte, dieser Mann also nahm seine eigenen Arbeiten von der Dotation aus.
Dabei hätte er allen Grund gehabt, sich unter seine Kollegen einzureihen. Wenn man sich das großformatige Gemälde anschaut, das auf der dritten Impressionisten-Ausstellung von 1877 Furore machte, könnte man sogar sagen: An Radikalität und Neuartigkeit ließ er sie weit hinter sich.
Ikone des 19. Jahrhunderts
Wir sprechen von einem Bild, das längst zu den Ikonen der Malerei des 19. Jahrhunderts zählt. Und die Zierde des Arts Institute von Chicago darstellt. Es ist „Pariser Straße im Regen“ betitelt. Und jetzt hängt es gastweise zum ersten Mal in Deutschland. Genauer gesagt in der Alten Nationalgalerie zu Berlin.
Pont de l'Europe
Es hängt an jener Stelle, wo den Besucher dieses Kunstpalasts im ersten Stock normalerweise Manets Ehekrisenszene „Im Wintergarten“ überwältigt. Doch Caillebottes Pariser Vedute, die exakt in den Rahmen passt und dem Betrachter schon von Weitem als unerhörte Sinfonie in Grau entgegenschillert, beeindruckt um nichts weniger.
Mehr noch: Anders als das beruhigende Grün des Manet überfällt dich das regennasse Schmuddelwetterbild Caillebottes mit seinem massiven Straßenpflaster, den kompakten Häuserbergen und den hastenden Menschen, als sei’s ein Stück von dir, zumindest ein Stück von heute. Und wenn nicht das Paar im Vordergrund jene unnachahmliche Eleganz und Grandezza aussstrahlte, die wir bis in alle Ewigkeit mit Paris verbinden werden, ja dann könnte, dürfte, müsste man sich sogar momentweise mit dem Bild in Berlin wähnen.
Die grüne Gaslaterne
Doch nein. Es kann natürlich nur die französische Kapitale sein. Zu deutlich ist die Blockbebauung der großen Boulevards zu erkennen, wie sie der Baron Haussmann der Stadt implantierte. Die grüne Gaslaterne und die Gerüste sprechen von der allumfassenden Industriealisierung, welche die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts erfuhr.
Europabrücke am Bahnhof Saint-Lazare
Und wenn auch dieses Mal nicht, wie auf Caillebottes Ansichten der Europabrücke am Bahnhof St. Lazare, Eisen- und Stahlkonstruktionen im Vordergrund stehen, atmet doch die ganze Szenerie urbanes Leben auf der Höhe der damaligen Zeit.
Rendez-vouz auf der Europa-Brücke, 1876
Und das wird bejaht! Das ist vielleicht mehr noch als die fast fotorealisisch zu nennende Darbietung der Szene und mehr auch als die Schnappschusshaftigkeit des willkürlichen Bildaussschnitts das eigentlich Erstaunliche dieses Werks: Es ästhetisiert genau das, was eine zivilisationsfeindliche Modernekritik just in jener Zeit zu beklagen beginnt. Als da wären die Anonymität der Großstadt (sichtbar gemacht durch Kleidung und Haltung der Passanten, die kreuz und quer aneinander vorbeigehen). Aber auch die Uniformität einer zunehmend industriell generierten Architektur und Straßenführung.
Eisenbahnen und Fabriken
Man kann bei Betrachtung dieser Stadlandschaft nicht umhin, an Caillebottes Jahrgangsgefährten, den Schriftsteller Joris-Karl Huysmans zu denken. Nur wenige Jahre nach Entstehung des Gemäldes veröffentlichte er seinen noch ganz naturalistischen Roman „En ménage“ (auf Deutsch unter dem irrigen Titel „Trugbilder“ erschienen).
Die Kaserne Pépinière
Darin kommt ein Maler vor, der seine etwas spießigen Freunde zu provozieren liebt, indem er immer wieder zum Besten gibt, heute (also im Jahr 1880) könne man nicht mehr Tempel und Kathedralen schön finden, heute müsse man vielmehr die Attraktivität von Eisenbahnen und Fabriken stark machen. Diese Position war damals Avantgarde. Und in jenem Sinne ist eben auch Gustave Caillebotte Avantgarde.
Jedoch, das soll nicht verschweigen werden, weil es auch in der kompakten Ausstellung, die sich mit vielen Studienblättern weitgehend auf das imposante Bild aus Chicago konzentriert, nicht verschwiegen wird: Jedoch auf dieser Höhe der Avantgarde bewegte sich Caillebotte nicht immer.
Epigonale Blumenbilder
Als gelehriger Schüler der Impressionisten der ersten Generation malte er auch immer wieder epigonale Blumenbilder oder Landschaften und sogar Veduten. Das hier gezeigte Gemälde „Die Kaserne Pépinière“ von 1879 zum Beispiel hat absolut nichts Unverwechselbares und könnte auch von Sisley stammen. Jener „Mann auf dem Balkon“, der vor einigen Jahren im Pariser Museum Jacquemart-André für Afmerksamkeit sorgte, nimmt ganz brav die Draufsicht auf, in der Pissarro so gerne auf die Pariser Boulevards blickt.
Alte Nationalgalerie Berlin: „Gustave Caillebotte. Maler und Mäzen des Impressionismus“. Bis 15. September
Nota. - Kontur, das ist ein Schlüsselwort. Der Impressionismus zeichnet sich seit seinen Vorboten im Spätwerk Corots durch etwas Weichliches, Unbestimmtes, Konturloses aus, und wo es darum geht, die Flüchtigkeit des Augenblicks sichtbar zu machen, ist es das nächstliegende Stilmittel. Was sonst aber Caillebottes Interesse fand - die Flüchtigkeit des Augenblicks war es nicht.
Natürlich waren die ersten Ölskizzen zum Pont de l'Europe hastig und ungenau, aber das war von Anbeginn nicht seine Absicht, die späteren Ausarbeitungen machen es deutlich genug, und ein Blick in seine Arbeitsweise erlaubt die obige Bleistiftzeichnung zum Pariser Regenbild. Zu den Impressionisten gehörte er auch künstle- risch nicht ganz, aber er ging eher über sie hinaus als hinter sie zurück.
JE
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