Samstag, 4. Mai 2019

Ist immer alles super.

aus nzz.ch, 4. 5. 2019 

Es lebe der Verriss!
Warum wird in der Kunstszene immer alles schöngeredet? Die weitverbreitete Lobhudelei dient der Sache nicht. Wer aber zu kritisieren wagt, wird geächtet. Das ist eine Form von Zensur. Deshalb sollten sich alle jene, die nicht von Kunstmarktinteressen geleitet werden, die Frage stellen, wie man die Gegenwartskunst vom Sockel steriler Selbstbeweihräucherung stürzen kann. 

von Christian Saehrendt

«Die modernen Gesellschaften leben vom Applaus», befindet Peter Sloterdijk. «Eigentlich ist die ganze Demokratie eine applausometrische Erscheinung: Wir organisieren innerhalb von bestimmten Zeitabständen Applausrituale für das Volk, die wir ‹allgemeine Wahlen› nennen. Es gewinnt, wer am meisten Beifall erntet. Ähnliches gilt für den Zuschauersport: Die Sportarten hängen in sehr hohem Masse davon ab, dass sie genügend Applausquantitäten akkumulieren können.» 

Erst recht, möchte man ergänzen, trifft das auf die Kunst zu: Ob im Katalogtext, in der Pressemitteilung der Galerie, bei der Eröffnungsrede im Museum oder bei einer Preisverleihung – gesprochen und geschrieben wird über zeitgenössische Kunst nur noch in warmen, werbenden, lobenden Worten. In der Kunstszene herrscht ein regelrechtes Grundrauschen allseitiger Zustimmung und Ermutigung.

Insider wie der Kunsthändler Daniel Hug, seit Jahren Direktor der Messe Art Cologne, stehen vor einem Rätsel. Hug bestätigt im Gespräch den Eindruck, dass Texte über Kunst heutzutage zu 99 Prozent positiv gestimmt sind. Eine schlüssige Erklärung dafür kann aber auch er nicht anbieten, obwohl er wie nahezu alle anderen Kunstmarkt-Player überzeugt ist, dass es schlechte Kunst gibt – Namen möchte er nicht nennen. Die Kunstszene erscheint wie eine weitläufige, komplex institutionalisierte Fankultur, wie ein Cluster von kleineren oder grösseren Begeisterungsgemein- schaften für bestimmte Künstler, Kunstrichtungen und kuratorische Konzepte. Hier gibt es weit und breit nur noch «Gefällt mir»-Buttons. Schlechte Kunst ist dagegen offenbar ein Phantom, ein Dämon, den man nicht beschwören darf. Wer ihn beim Namen nennt, verfällt der Ächtung durch die Zunft.Warum bloss?

Mehrere Gründe könnten dabei eine Rolle spielen. Erstens: Das Angebot an Kunst ist heute so gross, es gibt eine so rasche Abfolge von Novitäten, dass wir nur noch das aussergewöhnlich Schöne, Prächtige, Erfolgreiche wahrnehmen können. Mittelmässiges und Missglücktes fällt sofort unter den Tisch, weil sich die Mühe für eine schonungslose, konstruktive und differenzierte Kritik, wie der Künstler es besser machen könnte, nicht lohnt. Schliesslich ist das nächste «grosse Ding», ist der nächste Trend schon im Anmarsch. Die Kunstüberfülle verführt zum Schweigen oder Wegloben – Ausdruck einer Massenproduktion und Wegwerfmentalität, die sich auch der Kultur bemächtigt hat.


Ein zweiter wichtiger Grund für die Inflation des Lobs liegt in der grossen Verunsicherung über den wahren Wert der Gegenwartskunst. Nichts ist konstant in der Kunstgeschichte und auf dem Kunstmarkt, doch die Abwertung von Kunst ist noch immer ein grosses Tabu – niemand spricht offen und gerne darüber. Vielleicht wird eine jederzeit mögliche Abwertung hochgelobter Kunst auch deshalb tabuisiert, weil sonst das Vertrauen in das symbolische Kapital Kunst, in die Währung Kunst insgesamt erschüttert würde. 

Notorischer Narzissmus

Und schliesslich der dritte, vielleicht der wichtigste Grund für die überbordende Lobhudelei in der Kunstszene: der allgegenwärtige Narzissmus. Wer heute bestimmte Künstler oder Werke lobt, lobt nicht mehr – wie in früheren Epochen – Gott, die Schöpfung oder das Künstlergenie, sondern sich selbst, er lobt sich für seinen guten Geschmack, für seine Bildung, für die Zugehörigkeit zu einem angesehenen Milieu.

Narzissmus findet man aber nicht nur bei den Kunstkonsumenten, sondern auch bei den Künstlern selber. Jeder Mensch hat ein vitales Bedürfnis nach Anerkennung. Sein Anerkennungseinkommen kann sich aus verschiedenen Quellen speisen – Familie, Freunde, Beruf, Ehrenämter, Hobbys, sexuelle Aktivitäten –, kann sich aber auch aus einer einzigen Tätigkeit oder Rolle ergeben. Viele Künstler beziehen ihr Selbstwertgefühl ganz überwiegend aus ihrer Arbeit, und wenn der Erfolg ausbleibt, ist das Risiko einer tiefgehenden Kränkung besonders gross.

Der Kunstmarkt erzeugt aber strukturell bedingt ständig Kränkungen, weil seine Erfolgsskala nach oben offen ist und wenigen Gewinnern zahllose Verlierer gegenüberstehen. Die Kränkung besteht in der Regel aus Nichtbeachtung, was die Opfer schon als Strafe genug empfinden. Vielleicht ist die harsche Kritik auch deshalb so selten, weil sie als übertriebene Strafe empfunden würde. Das träfe zu, wenn es sich um unbekannte Künstler handelte – doch bei Berühmtheiten und Kunstmarktgrössen dürfte man eine robustere Konstitution voraussetzen. Und trotzdem: Jeder Kunstkritiker wird die Erfahrung gemacht haben, dass Galeristen, Kuratoren oder Künstler auf negative Ausstellungsbesprechungen nicht selten überempfindlich und kleinlich reagieren.

Wer heute noch substanzielle Kritik übt und dadurch den Chor der Lobsänger stört, gilt schnell als unsozialer Rüpel oder gar als schwierig, als psychisch angeknackt. Autoren, Kritiker, Journalisten müssen heute gewiefte Netzwerker sein, um Erfolg zu haben. Sie müssen stets fürchten, den Zugang zu interessanten Quellen, zu den Informationshierarchien der Kunstmarkt-Insider zu verlieren, und halten sich deshalb zurück. 

Informelle Zensur 

Dies ist die neue, die informelle Zensur im Kulturbetrieb. «Wenn wir Profis sozusagen privat ein Kunstwerk betrachten, ohne an unsere berufliche Verpflichtung zu denken, äussern wir oft ganz andere und manchmal viel interessantere Meinungen als im Dienst», verriet etwa Robert Cumming, der jahrelang als Kurator für die Tate Gallery und für Christie’s tätig gewesen war. Aufgrund der allseitigen Vernetzung der Mitspieler im Kunstbetrieb durch ihre Mehrfachfunktionen – manche sind Künstler und Kuratoren, Händler und Jurymitglieder, Museumsdirektoren und Gutachter in persona – ist der offene Schlagabtausch eine Seltenheit geworden.

Dennoch ist schonungslose Kunstkritik wichtig, allein schon, um einen minimalen Qualitätsanspruch in der Kunst aufrechtzuerhalten, und nicht zuletzt im Interesse der Künstler: «Pauschales Dauerloben ist eine Form der Vernachläs- sigung durch Verwöhnen», erklärt Peter Henningsen, Chefarzt für Psychosomatik an der TU München. In der Kinder- erziehung gilt dies als fatal, denn auf diese Weise können Kinder narzisstische Gefühle entwickeln und verzagen schnell, wenn in der Welt da draussen etwas mal nicht so super läuft. Dauerlob ist also erwiesenermassen kontraproduktiv für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls.

Innerhalb des Kunstbetriebs herrscht ein Klima wortreichen allseitigen Lobes und Selbstlobes, ausserhalb dräut dumpfes, oftmals sprachloses Ressentiment. Diese Wagenburgmentalität der Kulturszene zeigt sich immer dann überdeutlich, wenn Kritik von aussen geübt wird. Es scheint jenseits von stummem Ressentiment und periodisch aufflackerndem Vandalismus kaum Möglichkeiten zu geben, Kritik am etablierten Kunstbetrieb zu artikulieren und die richtigen Adressaten für diese Kritik zu finden.

All diejenigen aber, die nicht von Kunstmarktinteressen geleitet werden, sollten sich die Frage stellen, wie man die Gegenwartskunst vom Sockel steriler Selbstbeweihräucherung stürzen kann, um eine ebenso vitale wie allgemeinverständliche Streitkultur zum Leben zu erwecken. In diesem Sinne: Es lebe der Verriss!


Nota. - Wenn Banksy seine Sachen nicht mit Autolack auf Wände sprühte, sondern mit Acryl auf Leinwand pinselte, wäre das meiste davon Kitsch. 

Aber darum macht er es ja so und nicht anders.

Was kann man heute noch malen? Quadratur des Kreises! Wie kann man heute noch malen? Ach, ausgelutschte Kamelle. Worauf  kann man heute noch malen? Ja, da sind noch ein paar Möglichkeiten offen; das für wen? ist sowieso längst geklärt.

Jeff Koons ist da gar nicht weit.
JE

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