Was Haussmann übrig liess Das Paris der Belle Epoque wurde sehr schnell zum Mythos. Dafür sorgte das Montmartre, ein hoch gelegenes Dorf, das mit seinen Kaffeehäusern, Cabarets und Variétés die Menschen anlockte, darunter viele Künstler aus dem In- und Ausland.
Lange hatten die Stadtväter von Paris der rasant wachsenden Wohnungsnot ihren Lauf gelassen. Doch dann entschieden sich Napoleon III. und sein Präfekt Baron Haussmann für eine resolute Bereinigung des Problems. Durch alte Viertel gezogene Schneisen wurden zu breiten Boulevards ausgebaut, die dem Bürger Wohnung, Verkehr, Läden und dem Militär ein freies Schussfeld boten.
Henri de Toulouse-Lautrec, Ambassadeurs, Aristide Bruant dans son Cabaret, 1892
«Le vieux Paris n'est plus», klagte Baudelaire 1860. Tatsächlich war die Wohnungsnot für die unteren Schichten durch Haussmanns Eingriff nicht behoben. Da wurde das Dorf Montmartre auf der höchsten Erhebung im Pariser Becken mit seinen engen, steilen Strassen, maroden Behausungen, Gärten und Windmühlen zum Rettungsanker. Künstler mischten sich unter die Neuankömmlinge, und alle zusammen kreierten sie in kurzer Zeit einen Lebensstil, der als Pariser «Bohème» weitere Freigeister anzog.
Gemalte Protokolle
Die Frankfurter Schau, kuratiert von Ingrid Pfeiffer, wirft einen konzentrierten Blick auf die realen Bedingungen für das Entstehen des «Esprit Montmartre». Die Auswahl von Gemälden, Zeichnungen, Originalgrafik, Plakaten und Foto-Gravüren zeigt unterschiedliche Facetten einer die Akademiekunst verachtenden neuen Kunst. Zusammen mit den Darbietungen in Cabarets, Variétés und Zirkus prägte sie das Bild von der Pariser Bohème.
Die
Klischees der Belle Epoque werden in Frankfurt nicht ausgeräumt,
vielmehr unter die Lupe genommen. Man entdeckt unter den rund 200
Exponaten Werke kaum bekannter Künstler und Künstlerinnen, die ihre
eigenen Erfahrungen mit dem Leben auf dem Montmartre protokolliert
haben.
Picassos Aquarell «Saltimbanque et jeune fille» entstand 1905, als er mit Fernande Olivier im Bateau-Lavoir lebte. Als Anwalt der kleinen Leute kommt in der Ausstellung Théophile-Alexandre Steinlen mit sozialkritischen Illustrationen für Zeitungen und Zeitschriften wie «La Revue blanche» und «Le Rire» zu Wort. Mit seinem Plakat für das Künstler-Lokal «Le Chat Noir» landete der Grafiker Steinlen einen Volltreffer. Steinlen war Sympathisant der Kommune. Der Aufstand von 1871 kostete 30 000 Kommunarden das Leben, 40 000 wurden inhaftiert oder abgeschoben.
Théophile Alexandre Steinlen, Tournée du Chat Noir, 1896
Die Triumphe, die Toulouse-Lautrec in der Milieu-Darstellung feierte, wenn er sich mit seinen Plakatentwürfen vor Tänzerinnen wie Jane Avril und La Gulue, vor dem Sänger Aristide Bruant oder vor «La Clownesse assise, Mademoiselle Ch-U-Ka-O» verneigte, gehören zum Besten, was das Fin de Siècle zu bieten hatte. Das zeigt auch diese Ausstellung, die auf den Kontext, das, was die Künstler gesehen, erlebt und gedacht haben, fokussiert. Der Niederländer Kees van Dongen richtete sich ganz oben auf der Butte in einem alten Chalet ein. Der Anblick der verwilderten Natur erleichterte es ihm, sich gegen alles Dekorative in der Kunst zu entscheiden, sich zu öffnen für die Realitäten in Politik und Gesellschaft. In der Dreyfus-Affäre stand er auf der Seite von Zola und seinem «J'accuse». Entschieden und spontan wirken Papierarbeiten wie «Absinth-Trinkerin».
Kees van Dongen, Montmartre Sacré Coeur
Wenn auf van Dongens Ölbild «Montmartre Sacré Cœur» die Konturen des neobyzantinischen Baukörpers in schmutzigem Grau versinken, ist das ein klares Votum gegen die mit dem Kirchenbau versuchte staatliche und kirchliche Rückeroberung des Aussenseiter-Viertels.
Glanzloses Leben der Frauen
Dass der Montmartre seinen einzigartigen Ruf als Sehnsuchtsort bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert behält, verdankt er dem Bohémien, einem Typus, der die Freiheit geniesst, anders zu sein und dies aller Welt kundzutun. Van Gogh, der 1886 für zwei Jahre zu seinem Bruder Theo auf den Montmartre zieht, malt die Gemüsegärten, Steinbrüche und Windmühlen des Hügels. Eine realistische Bleistiftzeichnung zeigt «Couple faisant l'amour». Edgar Degas, der mit der Bordellbesitzerin Madame Tellier befreundet war, gibt mit seinen «Scènes de maisons closes» ungeschönte wahre Einblicke in das glanzlose Leben der Prostituierten. Aktmodelle landeten nicht selten im Bordell und, wenn sie von der Polizei erwischt wurden, im Frauengefängnis Saint-Nazaire.
Edgar Degas, aus La Maison Tellier von Guy de Maupassant [1930]
Dem Einfluss der Literaten und der Frauen auf die neue Kunst begegnet man in der Ausstellung nur punktuell. Der Dichter Max Jacob bewies mit dem Ölbild «Au Cirque» sein bildnerisches Talent. Suzanne Valadon nutzte mit grossem künstlerischem Erfolg alle Freiheiten, die das Bourgeoisie-feindliche Terrain ihr bot. – Die Schau beginnt mit Fotografien vom Montmartre, aufgenommen um 1900. Der schlauchartige Parcours – eine Wand rot, die andere grau – hat den Vorteil, dass kleinformatige Werke weniger übersehen werden. Was beim Charakter der sehenswerten Schau – bildreiche kulturhistorische Recherche zum Mythos Montmartre – von Vorteil ist.
Picassos Aquarell «Saltimbanque et jeune fille» entstand 1905, als er mit Fernande Olivier im Bateau-Lavoir lebte. Als Anwalt der kleinen Leute kommt in der Ausstellung Théophile-Alexandre Steinlen mit sozialkritischen Illustrationen für Zeitungen und Zeitschriften wie «La Revue blanche» und «Le Rire» zu Wort. Mit seinem Plakat für das Künstler-Lokal «Le Chat Noir» landete der Grafiker Steinlen einen Volltreffer. Steinlen war Sympathisant der Kommune. Der Aufstand von 1871 kostete 30 000 Kommunarden das Leben, 40 000 wurden inhaftiert oder abgeschoben.
Théophile Alexandre Steinlen, Tournée du Chat Noir, 1896
Die Triumphe, die Toulouse-Lautrec in der Milieu-Darstellung feierte, wenn er sich mit seinen Plakatentwürfen vor Tänzerinnen wie Jane Avril und La Gulue, vor dem Sänger Aristide Bruant oder vor «La Clownesse assise, Mademoiselle Ch-U-Ka-O» verneigte, gehören zum Besten, was das Fin de Siècle zu bieten hatte. Das zeigt auch diese Ausstellung, die auf den Kontext, das, was die Künstler gesehen, erlebt und gedacht haben, fokussiert. Der Niederländer Kees van Dongen richtete sich ganz oben auf der Butte in einem alten Chalet ein. Der Anblick der verwilderten Natur erleichterte es ihm, sich gegen alles Dekorative in der Kunst zu entscheiden, sich zu öffnen für die Realitäten in Politik und Gesellschaft. In der Dreyfus-Affäre stand er auf der Seite von Zola und seinem «J'accuse». Entschieden und spontan wirken Papierarbeiten wie «Absinth-Trinkerin».
Kees van Dongen, Montmartre Sacré Coeur
Wenn auf van Dongens Ölbild «Montmartre Sacré Cœur» die Konturen des neobyzantinischen Baukörpers in schmutzigem Grau versinken, ist das ein klares Votum gegen die mit dem Kirchenbau versuchte staatliche und kirchliche Rückeroberung des Aussenseiter-Viertels.
Glanzloses Leben der Frauen
Dass der Montmartre seinen einzigartigen Ruf als Sehnsuchtsort bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert behält, verdankt er dem Bohémien, einem Typus, der die Freiheit geniesst, anders zu sein und dies aller Welt kundzutun. Van Gogh, der 1886 für zwei Jahre zu seinem Bruder Theo auf den Montmartre zieht, malt die Gemüsegärten, Steinbrüche und Windmühlen des Hügels. Eine realistische Bleistiftzeichnung zeigt «Couple faisant l'amour». Edgar Degas, der mit der Bordellbesitzerin Madame Tellier befreundet war, gibt mit seinen «Scènes de maisons closes» ungeschönte wahre Einblicke in das glanzlose Leben der Prostituierten. Aktmodelle landeten nicht selten im Bordell und, wenn sie von der Polizei erwischt wurden, im Frauengefängnis Saint-Nazaire.
Edgar Degas, aus La Maison Tellier von Guy de Maupassant [1930]
Dem Einfluss der Literaten und der Frauen auf die neue Kunst begegnet man in der Ausstellung nur punktuell. Der Dichter Max Jacob bewies mit dem Ölbild «Au Cirque» sein bildnerisches Talent. Suzanne Valadon nutzte mit grossem künstlerischem Erfolg alle Freiheiten, die das Bourgeoisie-feindliche Terrain ihr bot. – Die Schau beginnt mit Fotografien vom Montmartre, aufgenommen um 1900. Der schlauchartige Parcours – eine Wand rot, die andere grau – hat den Vorteil, dass kleinformatige Werke weniger übersehen werden. Was beim Charakter der sehenswerten Schau – bildreiche kulturhistorische Recherche zum Mythos Montmartre – von Vorteil ist.
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