Montag, 7. September 2015

Paul Schneider-Esleben, ein Meister der Nachkriegsmoderne.

aus nzz.ch, 7.9.2015, 05:30 Uhr

Das schillernde Werk von Paul Schneider-Esleben
Architektur am Nullpunkt
Das Architekturmuseum München feiert das Werk des 2005 verstorbenen Architekten Paul Schneider-Esleben mit einer grossen Schau. Sie zeichnet die sprunghaften Entwicklungslinien des Architekten nach.

von Paul Andreas

Musikfans jubeln auf, denken sofort an jene Band, die der Welt zeigte, dass deutsche Pop-Musik computermaschinell klingen und in ihrer ganzen entsubjektivierten Roboterhaltung die Gemüter erregen und zum Tanzen bringen kann. Denn der Name Schneider-Esleben wird gemeinhin mit der Electronic-Band Kraftwerk assoziiert. Dass Florian Schneider-Esleben, einer der beiden «Gründungsmanager» der Gruppe, Sohn eines bekannten Architekten ist, wird dabei leicht vergessen. 

Jesuitenkloster Nymphenburg, 1961-65

Paul Schneider-Esleben – oder auch Paul Schneider von Esleben, wie er sich nach beurkundeten Familienadelsforschungen ab 1993 nicht ohne die Eitelkeit des Grandseigneurs nennen durfte – war ein schillernder Exponent der jungen westdeutschen Nachkriegsmoderne, der wie kaum ein anderer seiner Kollegen den unabdingbaren Willen zum Neuanfang verkörperte. Obwohl der Arbeitsschwerpunkt des Architekten eindeutig im Rheinland lag – vor allem in seiner Heimatstadt Düsseldorf, in der man in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten wirtschaftlich und kulturell schon das «neue Berlin» der Bundesrepublik sah –, hat der umfangreichste Teil seines Nachlasses seinen letzten Aufbewahrungsort im Architekturmuseum in der Münchner Pinakothek der Moderne gefunden. Hier wird er nun auch in strenger Chronologie gezeigt – in einer sehr reduzierten, klassisch anmutenden Präsentation, die auf die Wirkung ausgesuchter Originale vertraut.


Mannesmann-Hochhaus, Düsselborf

Pionier der Nachkriegsmoderne

An einer östlichen Ausfallstrasse der Düsseldorfer City kann auf dem exponierten Eckgrundstück eines ehemaligen Fabrikgeländes noch heute eines der grossen Architekturwunder der westdeutschen Nachkriegszeit besichtigt werden: Zwei schwerelos an dünnen Stahlseilen aufgehängte Rampen markieren die langgestreckten Fassadenfronten der dreigeschossigen Haniel-Hochgarage, die – gerade nachts, wenn sie von innen heraus in den Stadtraum leuchtet – so gläsern transparent wie ein geschliffener Kristall wirkt.


Hanielgarage

Inmitten der Finsternis der allgegenwärtigen Ruinen- und Bombenlandschaft der frühen 1950er Jahre muss dieses Bauwerk wie ein Versprechen einer neuen Zeit gewirkt haben – der Kontrapunkt schlechthin zur Erdenschwere und steinernen Massivität der Nazizeit. Es war das gebaute Credo einer Gesellschaft, die sich nicht zuletzt mit dem sich sprunghaft verbreitenden Automobil und dem zeitgleich einsetzenden deutschen Wirtschaftswunder auf grosser Modernisierungsfahrt wähnte. Nur ein junger, unverbrauchter Architekt wie Schneider-Esleben, der im Krieg zwar als Luftaufklärer gedient, aber nie unter dem Naziregime als Architekt gearbeitet hatte, konnte zu einem derartigen Wurf fähig sein. Der 1915 geborene Schneider-Esleben, der sein vor dem Krieg begonnenes Architekturstudium erst 1947 abschloss, sog die Moderne aus Architekturzeitschriften des Auslands – von Mies van der Rohe über Le Corbusier bis Eero Saarinen – wie ein Schwamm begeistert auf.

ARAG-Zentrale (Stufenhochhaus) in Düsseldorf, 1963-66

Spektakuläre Formenerfindungen

«Fahr'n, fahr'n, fahr'n auf der Autobahn», sangen Kraftwerk mit verfremdeter Vocoder-Stimme 1974 auf ihrer ersten, weltweit beachteten Debüt-Single. Ein Jahr nach der Ölkrise erschienen, wirkt der Song wie ein etwas nostalgischer Abgesang auf eine Epoche grenzenloser automobiler Freiheit – eine Epoche, in der Paul Schneider-Esleben, schon früh ein passionierter Fahrer eines Mercedes Cabrio 220 SL, sich stets auf der Überholspur wähnte. In den 1950er und 1960er Jahren entwirft der Architekt Verwaltungs-, Schul- und Kirchenbauten, die in ihrer Formgebung oft spektakulär anmuten und den Werken vieler deutscher und internationaler Kollegen stets eine Tachomarke voraus zu sein scheinen. Der Architekt, der dafür bekannt wird, dass er bei jedem Entwurf immer am Nullpunkt 
beginnt, realisiert mit der Rochus-Kirche einen Zentralbau, der sich wie ein monumentales Ur-Ei an die Stelle eines kriegszerstörten und durch den Abrisswahn der Nachkriegszeit bis auf die Fundamente getilgten neoromanischen Vorgängerbaus setzt. Mit dem streng stereometrischen, allseitig mit einem neutralen Raster durchmessenen Mannesmann-Hochhaus am Düsseldorfer Rheinufer greift er auf US-amerikanische Patente zurück, um Westdeutschlands erstes Stahlskelett-Hochhaus mit einer vorgehängten Curtain-Wall aus vorgefertigten Sandwich-Paneelen zu verwirklichen – eine grosse Adaptionsleistung und der gebaute Beweis für den Anschluss der deutschen Architektur an die fortgeschrittene US-Moderne.


Mannesmann

Zu mehr als nur einem Feigenblatt wird für Schneider-Esleben, der seine Bauten bis ins letzte Detail und mitsamt Mobiliar plant, die Kunst am Bau. Als passionierter Galeriengänger und Kunstsammler arbeitet er schon früh bei seinen Bauten mit Künstlern zusammen. In der Roland-Schule von 1961 nimmt diese Zusammenarbeit eine neue Dimension an: Hinter den in den Eingangssituationen placierten, von den Schülern aktivierbaren Licht-Farb- und Bewegungsinstallationen verbergen sich Namen der jungen, sich formierenden Zero-Künstlerbewegung: Mack, Piene, Uecker. Joseph Beuys steuerte eine liegende, bekletterbare Holzpuppe bei – bis alles von Eltern, Politikern und Lehrern unverstanden abtransportiert wurde oder hinter Trockenwänden verschwand.


Rolandschule Düsseldorf (1957-62); mit Mercedes-Kabriolet

Baukunst und Abrisswut

Die Rehabilitierung der Architektur als Bau-Kunst war Schneider-Esleben ein lebenslanges Anliegen. In der Zeit, als sich Mies van der Rohes Rasterarchitektur inflationär vervielfältigt, schwenkt der impulsive Architekt quasi über Nacht auf brutalistische Stiltendenzen um, die auf die plastischen Ausdrucksmöglichkeiten des Betons setzen. Mit dem ihm (heute völlig unvorstellbar!) im Direktauftrag übertragenen Flughafen Köln-Bonn von 1970 baut er nicht nur einen der ersten 
autogerechten Drive-in-Airports Europas – er verschafft der Bundesrepublik auch ein bei aller Sichtbeton-Monumentalität doch leichtfüssig schwebend modelliertes repräsentatives Entrée. Bis heute steht es – anders als der lesenswerte Katalog behauptet – nicht unter Denkmalschutz und wurde von Helmut Jahn, der Ergänzungen anbrachte, nicht unbedingt respektvoll behandelt. Wie überhaupt das Œuvre, das der Architekt in den 1960er und 1970er Jahren geschaffen hat, heute zunehmend nur noch fragmentarisch erlebbar ist. Schneider-Eslebens brutalistisches Werk demonstriert leider aufgrund von Abrissen und Verunstaltungen auch, wie sehr seine bis heute weitgehend unverstandene Baukunst ihr Schicksal auf dem Seitenstreifen der Geschichtsvergessenheit fristet.

Bis 18. Oktober in der Münchner Pinakothek der Moderne. Katalog: Paul Schneider-Esleben. Architekt. Hrsg. Andres Lepik und Regine Hess. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2015. 208 S., € 35.–. Eine weitere Ausstellung zum Architekturerbe Paul Schneider-Eslebens ist im Museum für Architektur und Ingenieurkunst in NRW (M:AI) in Düsseldorf bis 25. September zu sehen.


Hanielgarage

Nota. - In meinen Jugendjahren meinte ich, jede Mode bekäme mal ihren zweiten Frühling; mit einer Ausnahme: Die 50er Jahre blieben verfemt in alle Ewigkeit.

So lange ist es noch gar nicht her, dass sich meine Augen umentschieden haben. Sogar für Leichtigkeit und Unernst der Intérieurs finden sie jetzt Nachsicht, wenn ich mich auch mit Nierentischen, Tütenlampen und Ewald Mataré noch immer nicht anfreunden kann; mit Willi Baumeister habe ich aber schon Frieden geschlossen.

Wenn ich es nüchtern erwäge, war das die stärkste ästhetische Erfahrung meines Lebens.
JE




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