Dienstag, 13. September 2016

Schöner Schein: Barock in Mannheim.

Schloss Mannheim                                                                                                                                                                        Foto Theo Stadtmüller

Barock – Nur schöner Schein? 
11.09.2016 - 19.02.2017
Reiss-Engelhorn-Museen – Museum Zeughaus, Mannheim
Anhand von rund 300 herausragenden Exponaten präsentiert die Ausstellung den Barock als europäisches Phänomen, schlägt aber stets auch eine Brücke nach Mannheim und in die Region

Die Sonderausstellung „Barock – Nur schöner Schein?“ beweist, dass das Zeitalter weit mehr zu bieten hat als Puder, Pomp und Dekadenz. Die Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen stellen in der kulturhistorischen Schau die Epoche erstmals in ihrer ganzen Vielschichtigkeit vor und hinterfragen gängige Klischees.
Himmelsglobus, Jodocus Hondius, 1601

Die Jahre zwischen 1580 und ca. 1770 waren eine Zeit voller Widersprüche: Neben üppigen „Rubensweibern“ gab es ein klassisch-antikes Schönheitsideal und religiöser Wunderglaube stand wissenschaftlicher Rationalität gegenüber. Während die einen rauschende Feste feierten, litten andere an den katastrophalen Folgen verheerender Kriege. Bisher widmeten sich Barock-Ausstellungen einzelnen Künstlern und Genres, regionalen Kulturlandschaften oder spezifischen Phänomenen. Die Mannheimer Präsentation verfolgt einen umfassenderen Ansatz und vereint erstmals Kunst, Wissenschaft, Literatur, Musik, Geschichte, Religion und Alltag zu einem Kaleidoskop der Barockzeit. 

Rubens, Bildnis einer lesenden Frau 

Im Barock herrschte Aufbruchsstimmung. Zahlreiche Entwicklungen und Neuerungen bereiteten den Weg zur Aufklärung und bildeten das Fundament der heutigen Gesellschaft. Bahnbrechende Erfindungen wie das Fernrohr, mit dem Galilei die Gestirne erforschte, oder das Mikroskop, mit dem van Leeuwenhoek die Bakterien entdeckte, stammen aus dieser Zeit. 


Die immer gewagteren Reisen der Händler und Missionare veränderten die Weltsicht nachhaltig, unbekannte Länder wurden erobert, Exotisches gelangte nach Europa. Sechs Themenkomplexe machen die faszinierende Barockepoche greifbar. Unter den Überschriften „Raum“, „Körper“, „Wissen“, „Ordnung“, „Glaube“ und „Zeit“ stellt die Sonderausstellung die wichtigsten Charakteristika des Zeitalters vor. 
Afrika

Anhand von rund 300 herausragenden Exponaten präsentiert die Ausstellung den Barock als europäisches Phänomen, schlägt aber stets auch eine Brücke nach Mannheim und in die Region. Den historischen Originalen werden an ausgewählten Stellen Arbeiten zeitgenössischer Künstler gegenübergestellt, die sich mit dem Barock auseinandergesetzt haben. Mit der Schau setzen die Reiss-Engelhorn-Museen ihre langjährige enge Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum Wien fort. Zahlreiche hochkarätige Gemälde kommen aus der österreichischen Metropole nach Mannheim, darunter Werke von Rembrandt, van Dyck und Gentileschi. Auch weitere namhafte europäische Museen und Sammlungen unterstützen das Projekt durch Leihgaben. 
van Dyck, Bildnis der Gräfin Amalie, Tochter des Johann Albrecht von Solms–Braunfels

Darüber hinaus sind Schätze aus den reichen Beständen der Reiss-Engelhorn-Museen zu bewundern. Die Barockstadt Mannheim bietet den idealen Ort für diese umfassende Barock-Ausstellung. Unter den Pfälzer Kurfürsten stieg die vielfach zerstörte Festungsstadt im 18. Jahrhundert zu einer der bedeutendsten Residenzen Europas auf. Noch heute zeugen das Mannheimer Schloss oder die Jesuitenkirche von dieser Glanzzeit. In der gesamten Region ist das barocke Erbe spürbar: streng gezirkelte Städte, prächtige Kirchenbauten, herrschaftliche Gartenanlagen und monumentale Residenzen prägen das Oberrheintal von Mainz über Mannheim, Karlsruhe und Bruchsal bis Rastatt und Baden-Baden.

Schwetzinger Schloss

Die Barockregion 


Anlässlich der Ausstellung „Barock – Nur schöner Schein?“ haben die Reiss-Engelhorn-Museen das kulturtouristische Netzwerk „Barockregion“ ins Leben gerufen. Insgesamt beteiligen sich daran 41 Orte aus fünf Bundesländern – Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland und Bayern. Die „Barockregion“ bietet ausgewählte Reiseanlässe zu barockzeitlichen Sehenswürdigkeiten und Denkmälern. Im Ausstellungsjahr 2016/2017 wird das Angebot durch mehr als 250 Veranstaltungen ergänzt: spezielle Stadtführungen, Konzerte, Vorträge, Feste und Ausstellungen sorgen an historischen Originalschauplätzen für besondere Kulturerlebnisse rund um das barocke Zeitalter. Die Termine sind online unter www.barock2016.de abrufbar. Die Broschüre „Barockregion“ stellt die einzelnen Orte und ihre Angebote vor, die sich sowohl an Individualtouristen wie auch an Gruppenreisende richten. Die Broschüre kann auf der Ausstellungswebsite aufgerufen und bestellt werden.  


Quelle: Pressetext 

Weilburg a. d. Lahn
aus deutschlandfunk, 9. 9. 2016

Barockausstellung in Mannheim
Mehr als schöner Schein
Der Barock war nicht nur Puder, Pomp und Dekadenz, sondern auch eine Zeit des Aufbruchs. Die Reiss-Engelhorn-Museen blicken mit der Ausstellung "Barock - Nur schöner Schein?" auf die Vielfalt der Erfindungen und Entdeckungen dieser Zeit zurück - von Wissenschaft über Religion, bis hin zur bildenden Kunst.

Von Christian Gampert

Das ist natürlich ein genialer Schachzug: das Barock-Klischee herbeizitieren, es dann kritisieren und dekonstruieren – und es dann doch ein klitzekleines bisschen bedienen und ausleben. Die Mannheimer Ausstellung will nicht gerade durch Prüderie auffallen; sie bedient durchaus unsere Schaulust, vor allem durch exquisite Leihgaben aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, von Rembrandt bis Gentileschi. 
Orazio Gentileschi, Die büßende Maria Magdalena

Aber sie weitet den Blickwinkel ins Kulturwissenschaftliche und macht dem Besucher klar, dass all die Vorurteile, die mit barocken Üppigkeiten hantieren, mit Pracht, Luxus und Dekadenz, mit Symmetrie und Herrschaft, Theatralik und übersteigerten Affekten, dass die nur einen Teil der Epoche beschreiben, zumeist Kunst und Architektur; dass vieles andere aber dabei unter den Tisch fällt, das nun in Mannheim ins Licht gestellt werden soll – die Fortschritte der Naturwissenschaft vor allem, Handel und Welteroberung, Hunger und Not, Frömmigkeit und Religionskriege.

Auseinandersetzung zwischen Glaube und Wissenschaft

Die Ausstellung erzählt in sechs Kapiteln, die als Raster auch für jede andere Epoche brauchbar wären: Raum, Körper, Wissen, Glaube, Ordnung, Zeit. Aus den niederen Ständen selbst ist kaum Realien erhalten, also muss von Armut und Dreißigjährigem Krieg dann doch wieder durch Bilder, Graphiken und Bücher erzählt werden. 
Ein Flugblatt gegen Luther, den Papst und Calvin.

Neben den voluminösen Rubens-Leibern gab es durchaus auch ein an der Antike orientiertes Schönheitsideal; eine Rokoko-Schnürbrust als Body-Shaping ließ zudem wenig Raum für dralle Formen. Auch nehmen die geometrisierten Barockgärten des Absolutismus im Grunde schon die Rationalität der Aufklärung vorweg. Und all die Globen, Karten und naturwissenschaftlichen Geräte haben rein gar nichts von Taumel, Kitsch und Welttheater.
Schwetzingen, Schlossgarten 

Grundkonflikt der frühen Neuzeit ist die Auseinandersetzung zwischen Katholizismus und Protestantismus und, noch schärfer, zwischen Glaube und Wissenschaft. Ein Objekt, das das sehr schön illustriert, ist das von dem Jesuiten Christoph Schreiner entwickelte Heliotrop, mit dem Schreiner die Sonnenflecken entdeckte. Kuratorin Uta Coburger:
Galileo, Sidereus Nuncius (Mondansichten) Frankfurt am Main, 1610

"Er hat sich darüber auch mit Galilei auseinandergesetzt, die beiden haben sich sogar gestritten in ihrem Briefwechsel, wer der erste war, der die Flecken entdeckt hat, und dann hat irgendwann der Jesuitenorden dem Herrn Schreiner seine Entdeckung verboten – weil sie gesagt haben, die Sonne ist ein Sinnbild Mariens, und Maria hat keine Flecken."

Auf den Spuren der Anatomie

Aber auch die Erforschung der menschlichen Anatomie hatte hintersinnigerweise eigentlich den Gottesbeweis zum Ziel. Christus war Mensch geworden, also versuchte man, den Schöpfer über die Anatomie besser zu verstehen…
Die Entdeckung des Blutkreislaufs: Exercitatio Anatomica De Motv Cordis Et Sangvinis in Animalibvs, von William Harvey, 1628 

"Eins der ungewöhnlichsten Objekte der Ausstellung, das noch nie ausgeliehen war von dem Leihgeber in Ingolstadt, ist ein Kruzifix aus Wachs mit einer Bauchklappe. Man kann dem Christus den Bauch aufklappen, und dann sieht man anatomisch genau sein Inneres, sein Gedärm".
Dies hier ist aber eine Christa.

Das sind Skurrilitäten, die man mit dem Barockbegriff nicht unbedingt verbindet. Oder dies: die Angst vor Wasser, die Angst vor Ansteckungen war allgegenwärtig: man puderte sich lieber. Ein Autodidakt, der Holländer Antoni van Leeuwenhoek, entdeckte im menschlichen Speichel dann die Bakterien – mit einem selbstgeschliffenen Mikroskop, einer winzigen Linse, die aber eine 130fache Vergrößerung bot.
Leeuwenhoeks Mikroskop

Lassen wir die Höhepunkte der Schau beiseite, Rembrandt, Rubens, van Dyck, Gentileschi. Konzentrieren wir uns auf den Widerspruch zwischen Geist und Glauben, Wissenschaft und Frömmigkeit – wer so durch die Ausstellung geht, der wird reich beschenkt. Heutige Künstler spinnen als Zugabe barocke Stilleben ins Videozeitalter fort und lassen in Zeitlupe Granatäpfel explodieren – die Vergänglichkeit ist ein Thema der religiös aufgeladenen Gegenwart. Und ein bisschen barocke Demut kann auch heute nicht schaden: verschon uns, Gott, mit Strafen/und laß uns ruhig schlafen/ und unsern kranken Nachbarn auch.
Rembrandt, Der Apostel Paulus, 1633

Nota. - Die Ausstellung unterscheidet nicht zwischen Barock und Rokkoko. Das wäre aber richtig gewesen. Zwar ist das Rokkoko stilistisch 'nur' eine mildere Spätform des Barock, aber eine genauer abgegrenzte als es z. B. Romanik und Gotik sind: Der Stichtag ist das Aufkommen des Rocaille-Ornaments, dem der neue Stil seinen Namen verdankt. Geistesgeschichtlich markiert er zugleich den Übergang einer Epoche, obskurantistische Schwärmerei und militanter Rationalismus recht unfriedlich nebeneinander existierten, zur Epoche von Aufklärung und Empfindsamkeit. Ihr roter Faden sind Absolutismus und Geometrie. Darum zum Schluss ein Kunstwerk, das in Mannheim erstaunlicherweise fehlt:
Frans Hals, René Descartes





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen