Montag, 29. April 2019

Jim Holland.










Jim Holland.

Auf der Seite, wo ich ihn fand, stand: "Hopper + Wyeth + Hammershøi"

Sie sagen, das sei Manier? Ja sicher. Aber so ausgelutscht, dass sie nicht mehr ins Auge stäche, ist sie noch nicht, er hat noch Luft. Und Hopper, den Sie alle schätzen, hatte auch eine Manier.

Aber seine Manier passte ich seine Zeit? Eben. Sie gehört zu Art Déco. Hoppers Sachen sind fast das einzige Stück Bildende Kunst des Art Déco, das ästhetisch Bestand hat. (Manchmal frage ich mich, ob man nicht auch den späteren Kandinsky zum Art Déco zählen soll.)

Und gibt es eine Kunst, die in unsere Zeit nicht passte?

Warum also nicht Jim Holland.

Samstag, 27. April 2019

Caravaggio in Utrecht und München.

aus Badische Zeitung, 24. 4. 2019                             Caravaggio,  Grablegung Christi (ohne Jahresangabe)

"Utrecht, Caravaggio und Europa" in der Münchner Alten Pinakothek
So spannend kann Kunstgeschichte sein: Die Münchner Alten Pinakothek zeigt, wie Caravaggios Werk die Maler Hendrick ter Brugghen, Dirck van Baburen und Gerard van Honthorst in seinen Bann zog. 

Von Volker Bauermeister   

Die Ausstrahlung Roms war immens. Im Heiligen Jahr 1600 zog es unzählige Pilger an. Auch für Europas Künstler war Rom eine Pilgerstätte. Dort fanden sich kanonische Werke der Antike, Raffaels und Michelangelos. Und in der Ewigen Stadt tat sich gerade sensationell Neues. Der niederländische Maler und Kunsthistoriograph Carel van Mander sprach es in seinem 1604 erschienenen "Maler-Buch" an. Da sei "auch ein Michael Agnolo aus Caravaggio", der "wundersame Dinge" tue. Sein Standpunkt sei, "der Natur zu folgen"; die Kunst solle strikt "nach dem Leben getan" sein. Zwar sei dieser Caravaggio ein zwielichtiger, streitsüchtiger Geselle, doch seiner "wunderbar schönen" Art der Gestaltung sollten junge Maler unbedingt folgen. 

 Posts
Caravaggio, Marientod,

In der Tat wirkt Caravaggio magnetisch. Die Ausstellung in der Münchner Alten Pinakothek, die zuvor schon in Utrecht war, fasst die famose Wirkungsgeschichte materialreich zusammen. Sie vereint Künstler aus Italien, Frankreich und Spanien. Im Mittelpunkt aber stehen drei Holländer, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in Rom in den Bann Caravaggios gerieten. Hendrick ter Brugghen, Dirck van Baburen und Gerard van Honthorst kamen aus Utrecht, nachdem Caravaggio schon aus Rom geflohen war – er hatte im Streit einen Mann getötet: Sie fanden, was er ihnen zu sagen hatte, in den Kirchen und Palazzi der Stadt. Seinen provokanten Naturalismus eigneten sie sich auf je unterschiedliche Weise an. Von ihrer Eigenart, nicht von Abhängigkeit handelt die Ausstellung. Das Spektrum nicht nur des Utrechter Caravaggismus illustriert sie auf der Basis von Bildvergleichen.


Gerard van Honthorst, Die Enthauptung von Johannes dem Täufer, 1617

Den Anfang macht eine Tuschzeichnung Gerard van Honthorsts, die 1616 nach Caravaggios "Kreuzigung Petri" in der Kirche Santa Maria del Popolo entstand. Sie folgt dem Vorbild – und weicht doch auch signifikant davon ab. Das dramatische Hell/Dunkel Caravaggios ignoriert sie. Honthorst zieht dann eine eher lyrisch pittoreske Beleuchtung vor. In Rom ist er bald der "Gherardo delle Notti", der beliebte Arrangeur nächtlicher Kunstlichteffekte. Caravaggio ist stets darauf aus, mit seinem Schlaglicht etwas bedeutsam hervorzukehren. Der Holländer findet Gefallen an der stimmungs- vollen Beschreibung. Als er für Santa Maria della Scala eine "Enthauptung Johannes des Täufers" malt, kennt er gewiss die Skandalgeschichte um Caravaggios "Marientod" am selben Ort. Die mit roher Wirklichkeit durchtränkte Leinwand wurde von den Ordensleuten am Ende abgelehnt. Der "Gherardo delle Notti" malt ihnen nun 1617/18 eine Hinrichtung eher wie eine stille Andacht.

Gerrit van Honthorst, Fröhlicher Geiger mit Weinglas, 1623,


Caravaggio und seinn penetrantes Auge

Dirck van Baburen ist ein schrofferer Charakter. In seiner "Grablegung Christi" für die Kirche San Pietro in Montorio greift er Caravaggios viel gerühmte "Grablegung" [s. Kopfbild] auf. Sein Nikodemus stellt sich dabei gewaltsam verzerrt, der Leib Christi mit schonungsloser Offensichtlichkeit als leblos dar. Das Licht flackert bedenklich, wie eine Kerzenflamme in Zugluft. Dieser Akt der Grablegung ist ein qualvolles Stück Arbeit. Caravaggio dagegen war der Auftritt zur grandiosen Schaustellung geraten. Zu standbildhafter Prägnanz bindet der die Handlung. Die aus dem Raumdunkel heraustretenden Handlungsträger vereint er zu einem gewaltigen Figuren-Fächer. Die Grabplatte lässt er die Grenze zwischen Bildraum und realem Raum illusionistisch durchstoßen. Die Szene drängt sich unmittelbar auf. In ihrer unglaublichen Gegenwart kommt das Mirakel des Christenglaubens zur Geltung. Dass dies Exempel der Malereigeschichte aus den Vatikanischen Museen jetzt in die Ausstellung kam, ist schon allein ein Ereignis! (Vorzeitig, am 19. Mai, hat es allerdings ein Ende.)

Dirck van Baburen, Grablegung Christi

Caravaggio realisiert die großen sakralen Themen mit seinem Wissen um die profane Wirklichkeit. Und es will immer scheinen, als lege sein penetrantes Auge es darauf an, Glaubenszweifel durch Anschauung anzugreifen. Bilder wie "Der ungläubige Thomas" entfalten eine beispiellose Macht der Überzeugung. Die Italiener Bartolomeo Manfredi und Orazio Gentileschi sieht man etwa beim Thema der "Dornenkrönung" seinem Regiestil folgen: die Figuren quasi freistellen und skulptural fixieren. Dirck van Baburen zieht die Szene der Passion Christi viel eher in die Breite einer Erzählung. Mit sinnlicher Gegenwart und vielstimmigen Farben zieht Hendrick ter Brugghen an. Er ist der Kolorist, der der Program- matiker des Hell/Dunkel, Caravaggio, nicht sein wollte. Hendricks Mut zur Hässlichkeit schockiert. Seine Sicht des Schönen kommt ohne Floskeln aus. Scheinbar Nebensächliches wiegt schwer, allein durch die eindringliche Optik. Der gebauschte, von Helligkeit erfüllte Ärmel eines Querflötenspielers taugt zum Bildnis eines lichten Augenblicks. Das nahsichtige Musikerporträt klingt in den Augen.

Hendrick Terbrugghen, Boy Playing a Fife, 1621

Zum bildnerischen Funktionsplan des erklärten Naturalisten Caravaggio gehört unverkennbar eine artifizielle, an der Kunstgeschichte geschliffene figürliche Gestik. Diesen Widerspruch baut Hendrick ter Brugghen noch sozusagen aus. Er operiert künstlerisch retrospektiv, bedient sich altniederländischer und altdeutscher Figurentypen und Handlungsmuster. Einem altertümlichen Christus am Kreuz verleiht er mit seinem durch Caravaggio geschärften Blick eine überraschend neue Wirklichkeit. Die Alten Meister – Dürer oder Lucas van Leyden – funktionalisiert er für sich frei und souverän, wie er es mit dem Zeitgenossen Caravaggio tut. Der von Pfeilen durchbohrte, halbtote Heilige Sebastian gelingt ihm so eindrucksvoll und die ihn hegende Irene, weil er die Geschichte christlicher Kunst verinnerlicht hat – und weil er das reale Leben in Betracht zieht, mit der Brutalität der Straße und der Tavernen und den intimen, unsagbar liebevollen Momenten der Begegnung.

Alte Pinakothek, München. Bis 21 Juli, Di, Mi 10 – 21, Do bis So 10 -18 Uhr.

Hendrick ter Bruggen, Kreuzigung mit Maria und Johannes dem Evangelisten,





Caravaggio, Kartenspieler













Jan van Steen, Die Zeichenstunde





Jacob van Ruisdael, View of Haarlem with Bleaching Grounds, c. 1670–75

Donnerstag, 25. April 2019

Van Gogh verzichtet auf seine Manier...

 
Dass van Gogh kurz vor seinem Tod in Auvers dabei war, seine in der Provence gefundene Manier zu überwinden, habe ich gewiss nicht allein bemerkt; zu bekannt ist sein Bild von der dortigen Kirche. Doch unwiderruflicher sind wohl die obigen Häuser mit Figur.

Einmal habe ich aber auch die Möglichkeit erwogen, er habe sich zu einer unanstößigen Gefälligkeit beruhigen wollen. Auch darauf wäre dieses Stück ein Hinweis.






Mittwoch, 24. April 2019

Mit der Zunge riechen.

aus scinexx

Wir riechen auch mit der Zunge
Entdeckung von Geruchsrezeptoren in den Geschmackspapillen widerlegt gängige Theorie 

Überraschende Entdeckung: In unserer Zunge sitzen nicht nur Geschmackssensoren, sondern auch Geruchsrezeptoren, wie Forscher herausgefunden haben. Ungewöhnlich ist dies deshalb, weil beide Sinnessysteme bisher als räumlich strikt getrennt galten. Erst im Gehirn – so dachte man – werden die Informationen über Geruch und Geschmack zum Gesamteindruck des Aromas verknüpft. Die Entdeckung der Riechrezeptoren auf der Zunge widerlegen dies nun. 

Wenn wir das Aroma eines Apfels, einer Sauce oder eines leckeren Nachtisches genießen, dann sind zwei Sinnessysteme aktiv: Auf unserer Zunge registrieren die Geschmackszellen die Grundgeschmäcker süß, sauer, bitter, salzig und umami. In unserer Nase reagieren währenddessen die Riechsinneszellen auf die Düfte, die aus der Mundhöhle aufsteigen. Sie können mehr als 10.000 verschiedene Geruchsstoffe wahrnehmen. Die Informationen beider Sinnessysteme werden ans Gehirn gesendet und dort zum Gesamteindruck des Aromas verbunden – so jedenfalls die bisherige Annahme.

„Die Geschmacks- und Geruchssysteme bei Säugetieren sind getrennt und unabhängig“, erklären Bilal Malik vom Monell Chemical Senses Center in Philadelphia und seine Kollegen. „Zwar wird Informationen beider Systeme zum Aroma vereint, der erste Dialog beider geschieht aber gängiger Annahme nach erst im zentralen Nervensystem.“

Grünes Leuchten verrät Geruchsrezeptoren

Doch jetzt wirft eine unerwartete Entdeckung diese Vorstellung säuberlich getrennter Sinnessysteme über den Haufen. Für ihre Studie hatten Malik und sein Team zunächst bestimmte Gene für die Riechsensoren so markiert, dass die Produktion von Rezeptorproteinen durch grüne Fluoreszenz angezeigt wird. Wie sie feststellten, leuchteten auch Teile der Geschmackszellen in der Zunge anschließend grün – ein Zeichen dafür, dass dort Riechsensoren präsent sein mussten.

Aber sind diese Riechsensoren auch aktiv? Um das zu testen, untersuchten die Forscher speziell markierte menschliche Geschmackszellen in Zellkultur. Mithilfe der sogenannten Calcium-Bildgebung konnten sie dabei mitverfolgen, ob die Riechrezeptoren in diesen Geschmackszellen auf Düfte reagierten. Und tatsächlich: „Sowohl die menschlichen Geschmackszellen als auch die Mäuse-Geschmackspapillen reagierten auf Geruchsstoffe“, berichten Maik und sein Team.

Gängige Annahme widerlegt

„Diese Ergebnisse liefern den ersten direkten Beleg dafür, dass es funktionsfähige Geruchsrezeptoren in den menschlichen Geschmackszellen gibt“, konstatieren die Forscher. Mit anderen Worten: Wir riechen nicht nur mit der Nase, sondern offenbar in gewissem Maße auch mit unserer Zunge. Entgegen bisheriger Annahme könnten demnach die Sinnesreize von Geruch und Geschmack nicht erst im Gehirn, sondern schon im Mund verkoppelt werden.

„Das könnte dabei helfen zu erklären, wie der Geruch unsere Geschmackswahrnehmung beeinflusst“, erklärt Maliks Kollege Mehmet Ozdener. Denn so wichtig diese Sinne auch für uns sind – bisher ist längst nicht vollständig geklärt, wie sie genau funktionieren und interagieren. So haben Wissenaschaftler erst vor Kurzem entdeckt, dass wir sogar Riechsensoren in den Bronchien und in der Haut tragen. Auch der volle Umfang unseres Geruchssinns ist bisher offen. (Chemical Senses, 2019; doi: 10.1093/chemse/bjz019)

Quelle: Monell Chemical Senses Center

Dienstag, 16. April 2019

Hammershøi radikalisiert Turner.

 
Den Vergleich zwischen Vilhelm Hammershøi im vorigen Eintrag mit William Turneer habe ich ersnt gemeint. Natürlich nicht, was den Malstil betrifft. Der eine hat in so vielen Bildern die Linie abgeschafft, der andere hat auf vielen Bildern zugunsten der Linie fast alles andere abgeschafft; bei dem einen flirrts und flackerts, beim anderen sieht es oft aus wie in Kohle geschnitzt; der eine schwelgt in Farbe, mal krass und mal in Pastell, der andere malt grau in grau, und so weiter.

Aber den Raum lassen sie beide verschwinden und die Zeit steht bei beiden still - selbst wenn das Londoner Parlament brennt und eine Lokomotive durchs Bild rauscht. Und die Menschen! Bloßer ästhetischer Vorwand bei beiden. 

William Turner, Great Western Railway  (1844) 

Dass einer wohl die Gegenstände malen, dabei aber ihre Gegenständlichkeit aufheben kann, habe ich zum erstenmal bei Turner gesehen. Danach ist mir nach und nach vieles Verwandte aufgefallen, alles in der Fluchtlinie: In der bildenden Kunst ist eine Bewegung im Gange von den thematischen Aussagen fort, hin zum bloßen ästhetischen Schein. Doch nicht zum frei erfundenen, sondern zum ästhetischen Schein am Wirklichen, was viel radikaler ist, weil es das Wirkliche nicht beiseite tut, was es kalt lässt, sondern von Innen nach Außen krempelt, was es zum Schwitzen bringt.

Turner, Brennendes Schiff auf hoher See  

Gegenstände malen und ihre Gegenständlichkeit fragwürdig machen, das war der Verfallsprozess der Malerei von, sagen wir, Botticelli bis Tintoretto. Aber er stieß an die Grenze des vom Bild verlangten Themas. Caravaggio rehabilitierte den Raum und die Linie, aber er löste die Prosa der genauen Wiedergabe im Drama von Hell und Dunkel auf. Ob der optische Konflikt das Thema zurückdrängt oder im Gegenteil erst ins Auge springen lässt, ist eine offene Frage, und die macht Caravaggios Kunst so... beispiellos? Nein, beispielhaft. So viele haben sich an ihm ein Beispiel genommen, solange, bis es trivial wurde und das graziöse Rokkoko Erleichterung schaffte.

 
Giacomo Galli, Die büßende Maria Magdalena, um 1630 

Nein, im Mainstream war kein Loskommen der Malerei vom Thematischen zu finden, nicht, solange die Auftraggeber aus Klerus und Adel kamen, bei denen Repräsentation zur Existenzweise gehört. Das konnte erst wieder vorwärtsgehen, als im holländischen Bürgertum ein Markt entstand, wo Preise für das bloße Betrachten gezahlt wurden: die Anschauung selbst und nicht ihre denk baren Interpretationen. Das Thema, welches sich dazu eignete, weil es gar keines ist, war die Landschaft.

Camille Corot

Damit bin ich zurück bei Turner. Zwar hat er keine Schule begründet; aber er hat, nach Gainsborough und Constable, die Landschaft zu einem salonfähigen Sujet gemacht, und damit waren die Schleusen geöffnet.

Eine Radikalisierung hat Hammershøi vollbracht, indem er die Landschaft auf seine vier Wände, Fenster, Türen und drei oder vier Wohnrequisiten reduzierte, die lediglich unter verschiedenen Blickwinkeln und Beleuchtungen arrangiert werden. Das ist abstrakte Kunst an den Gegenständen.

Hammershøi Intérieur, Strandgade 30 1905

Sonntag, 14. April 2019

Vilhelm Hammershøi in Paris.

aus FAZ.NET, Vilhelm Hammershøi, Lesender


Einundfünfzig Schattierungen von Grau
Vilhelm Hammershøi war alles andere als ein dänischer Provinzler: Er bereiste Frankreich, Italien, Deutschland und England und entwickelte einen rätselhaften Stil, der sich jeder Psychologisierung entzieht. 

Von Bettina Wohlfarth, Paris

A uf den ersten Blick betrachtet bleiben die Gemälde von Vilhelm Hammershøi eigentümlich leer oder unbelebt. In seinen Landschaften grast keine Kuh und fliegt kein Vogel, in seinen Stadtansichten gibt es keine Passanten, und die Bäume zeigen sich kahl. Jedes seiner Gemälde, bis hin zu den Porträts, ist mit strenger Klarheit aufgebaut. Wenn Hammershøis Interieurs, für die er am bekanntesten ist, nicht gänzlich menschenleer bleiben, steht oder sitzt eine knöchellang in Schwarz gekleidete Frau mit weißer Schürze im Zimmer.




Meist wird sie in Rückenansicht gezeigt, in Gedanken versunken oder in eine unsichtbare Lektüre vertieft. Das Licht fällt hell auf ihren Nacken und eventuell, wie im Gemälde „Rast“ von 1905, auf gekräuselten Haarflaum, der dem aufgesteckten Dutt entkommt – ein erotischer Höhepunkt bei Hammershøi. Die Titel geben trockene Beschreibungen zur Ortung der Gemälde: „Interieur mit Ecke vom Esszimmer Strandgade 30“, „Interieur mit Frau in Rückenansicht“, „Interieur mit Frau, die Blumen in eine Vase stellt“ et cetera.

Und doch sind diese Zimmerbilder alles andere als realistische Darstellungen. Hammershøi leert den Raum von allem Wohnlichen, nimmt ihm lebendige Farben, dämpft die verbleibenden braunen, grünen oder blauen Töne mit einem deutlichen Einschlag ins Graue ab, bis hin zu einer Palette zwischen Beigeweiß und Grauschwarz. Oft lässt er die Konturen in seinen strengen Kompositionen verschwimmen.

Meister der dänischen Malerei


Diese leise Unschärfe trägt dazu bei, seinen Szenen einen irrealen, rätselhaften und entfremdenden Charakter zu geben. Denn bei Hammershøis Gemälden blickt man auf mehr als nur vordergründig karge Zimmerfluchten, auf mehr als befriedete häusliche Szenen, in denen die Kunst der protestantischen Sparsamkeit nichts als Tugend wäre. Der Betrachter dringt mit jedem Gemälde in einen wie schallgedämpften Seelenraum des Malers ein, dessen Stille beunruhigend wirkt.

Weithin unbelebte dänische Landschaften: Landscape, 1900Landscape, 1900 
Das Erstaunliche an Vilhelm Hammershøi ist, dass er keinerlei erklärenden Kommentar zu seiner Malerei hinterlassen hat. Es gibt kein künstlerisches Statement, kein Manifest, und einer Tendenz seiner Zeit lässt er sich schon gar nicht zuordnen, weder den biederen, im Akademischen verhaftet bleibenden dänischen Interieur- und Landschaftsmalern des achtzehnten Jahrhunderts noch etwa den Symbolisten. Gänzlich unberührt blieb er von den Avantgarde-Bewegungen seiner Zeit, von Impressionismus, Fauvismus oder Kubismus. Der 1864 geborene Hammershøi ist ein wortkarger Solitär in der Malereigeschichte, der sich auch jeder postumen Psychologisierung entzieht. Seinen Nachlass hat er vernichten lassen, als er 1916 mit 52 Jahren an Krebs starb. So wenig kommunikativ der Maler gewesen ist, so rätselhaft bleibt sein Werk. Umso mehr fasziniert es.

Nachdem Hammershøi nach seinem Tod allmählich in Vergessenheit geriet und erst in den neunziger Jahren wiederentdeckt wurde, gab es 1997 im Pariser Orsay-Museum und 2003 in der Hamburger Kunsthalle Retrospektiven. Es wurde Zeit für eine neuerliche umfassende Ausstellung. Das Pariser Musée Jacquemart-André zeigt mit etwa vierzig Gemälden eine repräsentative und noch dazu wunderschön – thematisch – gehängte Schau des „Meisters der dänischen Malerei“. Er war ein langsam und gründlich arbeitender Künstler und hat, obwohl er schon sehr jung mit der Malerei anfing, nur weniger als vierhundert Werke hinterlassen. Aufschlussreich an der Pariser Ausstellung ist es, dass die beiden Kuratoren, Jean-Loup Champion und Pierre Curie, Hammershøis Werk auch mit Gemälden seiner engen Malerfreunde und seines ebenfalls malenden Bruders Svend konfrontieren.

Fünf Porträts, 1901-1902Fünf Porträts, 1901-1902 
Es macht seinen einzigartigen Stil im Spannungsfeld zwischen Tradition und Modernität deutlich, bis hin zu einer abstrahierenden Behandlung des Raumes. Gerade im Vergleich zu Carl Holsøe oder Peter Ilsted etwa fällt die Geometrisierung der Bildräume auf. Hammershøi verwendet seine Wohnung als Atelier, aber, das zeigen Fotos in der Ausstellung, es interessiert ihn dabei nicht, sein wirkliches Interieur darzustellen. In der von allem „Pittoresken“ bereinigten Bildszene findet nur Gnade, was der Linienführung oder der Arbeit an der Wiedergabe des Lichtes dient.
Man könnte eine Parallele zu Jan Vermeer ziehen und überhaupt zu den Zimmerfluchten mit offenen Türen und lichtspendenden Fenstern der niederländischen Interieurmalerei. Aber der Vergleich mit den Künstlern aus Hammershøis Umgebung macht auch dessen eigenwillige malerische Konzentration auf die Fläche deutlich. Auf nur vordergründig leeren Wänden und freien Bodenflächen arbeitet er an der Empfindung von Licht und schafft meisterhafte Farbtexturen auf seine Leinwand, die an monomanische Maler wie Giorgio Morandi denken lassen.

 
Interieur mit junger Frau am Klavier, 1901 
Der kunsthistorisch hochgebildete Vilhelm Hammershøi war alles andere als ein dänischer Provinzler. Er reiste nach Frankreich, Italien, Deutschland und England. Immer wieder stellte er auch im Ausland aus und erfuhr schon frühzeitig Anerkennung. Dennoch ist er mit seiner Malerei immer in seiner direkten Umgebung geblieben. Wie den Interieurs nimmt er seinen weithin unbelebten dänischen Landschaften jegliche Farbigkeit, gibt ihnen einen entfremdenden Stich ins Graugrüne, Graublaue, Fahle. Nur an der Horizontlinie „passiert“ etwas, eine ferne Reihe Bäume etwa trennt die flache Weite der Wiesen und Felder von den hohen Himmeln seiner Heimat.

 1888

Für Porträts und die Figuren seiner Zimmerbilder stehen von Anfang an die Familie und enge Freunde Modell. 1890 malt er seine Verlobte Ida Ilsted, Schwester des Malerfreundes Peter Ilsted. Sie steht daraufhin für fast alle weiblichen Figuren Modell. Rainer Maria Rilke begeisterte sich vierzehn Jahre später in einer Düsseldorfer Ausstellung für dieses erstaunliche Porträt, in dem Ida wie abwesend und für sich – keinesfalls für einen Betrachter – auf einem Stuhl sitzt. Er besuchte daraufhin Hammershøi in Kopenhagen.




Auch Hammershøis Hauptwerk aus der Stockholmer Thielska Galleriet ist in Paris zu sehen. Das monumentale Gemälde „Fünf Porträts“ zeigt in einem radikalen Bildaufbau und mit dunklen Farbnuancen die engen Freunde des Malers, wobei jeder für sich in eine andere Richtung schaut. Sie sitzen an einer weißgedeckten Tafel (der Gedanke an einen Sarg kommt dennoch auf), die nichts als ein paar Gläser ziert. In dieser seltsam morbiden Atmosphäre eines Letzten Abendmahls entschärfen nur die aufmüpfig auf einen Hocker hochgelegten Füße Carl Holsøes – die Schuhsohlen strecken sich groß in den Vordergrund – den strengen Geist dänischer Protestanten.

Hammershøi, le maître de la peinture danoise. Im Musée Jacquemart-André, Paris; bis zum 22. Juli. Der Katalog in französischer Sprache kostet 39 Euro.


Nota. - Ausgerechnet bei der Kunstredaktion der FAZ habe ich mich seinerzeit unbeliebt gemacht, und sie hat es streng geahndet. Doch Hammershøi ist ein alte Liebe von mir. Da versuch ich mal, ob sie's mir inzwischen nachgesehen hat. -

Er malt gar keine Intérieurs - keine Räume, keine Möbel; er malt eigentlich nicht einmal Licht und Schatten. Er malt Flächen in unterschiedlichen Hell-Dunkel-Valeurs, mit Vorliebe Rechtecke aller Art, und menschliche Figuren bringt er nur zum Schein dazwischen unter - um den Eindruck kubistischer Manier aufzulockern.

Zum Schein: Um den ästhetische Schein geht es allerdings, aber nicht die ungetrübte Phantasie der leichtsinnigen Kunst. Es geht um den wirklichen Schein an den wirklichen Dingen. Und das sind eben Zimmer, Möbel, Türen, Fester, Licht und Schatten. Das ist kein Verbindungsstück zwischen Tradition und Moderne, das ist vielmehr radikalere Moderne als die der Abstrakten ein Jahrzehnt später. Er ist eine Art William Turner der Innenräume (was dem einen das Gelb, ist dem andern das Grau). Nicht die Gegenstände werden aus den Bildern entfernt, sondern lediglich ihre Gegenständlichkeit; sie selber bleiben, aber ausschließlich als Erscheinung, abstrahiert aus jedem außerästhetischen Bezug.

Der Gedanke an Vermeer ist ganz am Platz. Nicht nur hat Hammershøi aufmerksam die Innenräume der holländischen Barockmalerei und ganz besonders des damals vergessenen Vermeer studiert. Er hat mit seiner Radikalisierung auch einen deutlichen Beitrag zur Lösung des 'Rätsels Vermeer' geliefert.
JE