In Oberons und Titanias Reich
«Verwandlung der Welt - die romantische Arabeske», eine Ausstellung im Frankfurter Goethe-Haus
von Norbert Miller
«Verwandlung der Welt - die romantische Arabeske», eine Ausstellung im Frankfurter Goethe-Haus
von Norbert Miller
Eine Ausstellung im Frankfurter Goethe-Haus will zeigen, dass die Arabeske die eigentliche Signatur der Romantik ist - und in ihrer «künstlich geordneten Verwirrung» als ursprüngliches Manifest der Phantasie gelten kann.
Das Frankfurter Goethe-Museum im
Freien Deutschen Hochstift zeigt eine grossangelegte Ausstellung über
die Stellung der Arabeske in der deutschen Romantik und im späteren 19.
Jahrhundert. In der Absicht, die Zusammenhänge zwischen Epoche und
einer symptomatischen Anschauungsform der Kunst sichtbar zu machen,
setzt sie Bestrebungen für die Kunst des 18. Jahrhunderts fort. Das
Capriccio, die Groteske, die Architektur-Phantasie, der Ornament-Stich,
auch die aus dem islamischen Bilderverbot herrührende und von da nach
Europa ausstrahlende Kunst der Arabeske waren mehrfach Gegenstand
umfassender Ausstellungen. Als sich die beiden Kuratoren daranmachten,
mithilfe einer Reihe ausgewiesener Kenner und Spezialisten die Wirkung
der Arabeske als Dekorationsform für das ganze bürgerliche 19.
Jahrhundert sorgfältiger als bisher zu untersuchen, sahen sich Petra
Maisak und Werner Busch einer paradoxen Situation gegenüber. Auf der
einen Seite ist das 19. Jahrhundert bis in den Beginn des Jugendstils
geradezu überwuchert vom Rankenwerk der Kopf- und Seitenleisten in
illustrierten Büchern, der gestickten und gewobenen Allegorien im
Blumenflor, der sprechenden Einladungs- und Fest-Karten, der gefälligen
Wechselspiele zwischen Biedermeier-Lyrik und
Biedermeier-Randzeichnungskunst. Auf der anderen Seite steht bis heute
die ästhetische Herabwürdigung der Arabeske - damals Sammelbegriff für
alles nur dekorative Kunsthandwerk - in einer tief ins 18. Jahrhundert
hinunterreichenden Tradition.
Adolph Schroedter, Arabeske mit Fahnenträger, 1837
Adolph Schroedter, Arabeske mit Fahnenträger, 1837
Wunderbare Welt
Wer jetzt die Ausstellungsräume des Hochstifts betritt, fühlt sich in eine andere, neue und ganz und gar wunderbare Welt versetzt. Er geht von einer zur anderen Entdeckung und weiss gleich, wie wichtig die Arabeske für das romantische Weltverständnis (und damit in Teilen wohl auch für das unsere) war und ist. Dass Goethe und die Frühromantiker fast zur gleichen Stunde über die Arabeske neu nachdachten, mag den Impuls für die Ausstellung gegeben haben. Jedenfalls erläutert Werner Busch in seiner Einleitung aus den Quellen, wie innerhalb weniger Jahre Goethes Rechtfertigung der pompejanischen Wandgestaltungen, als notwendige Einheit von Gemälde und Rahmen, und die romantische Theorie der Arabeske auseinander hervorgingen. Als Goethe im Februar 1789, noch ganz im Bann seiner neapolitanischen und römischen Erinnerungen im «Teutschen Merkur» seinen kurzen Aufsatz: «Von Arabesken» veröffentlichte, suchte er die antike Dekorationsmalerei gegen die - auf die Autorität des Architekturtheoretikers Vitruv gestützte - Verwerfung aller spielerischen Elemente in der Ausschmückung von Innenräumen zu verteidigen.
Vincenzo Brenna, Copia di decorazione murale romana, circa 1777-1778
Er erinnerte sich an die Fragmente der Fresken, die er in der Domus aurea, dem unter den Titus-Thermen begrabenen Palast des Kaisers Nero, gesehen hatte, und an die aus Pompeji nach Neapel übergeführten Wandmalereien, die achtlos aus den phantasievoll-leichten Rahmungen herausgebrochen waren. «Wenn der Hausbesitzer für sich zu denken und zu tun hat, zerstreuen und beschäftigen sie ihn nicht, und doch ist er von angenehmen Gegenständen umgeben. Will er seinen Gedanken an Kunst befriedigen, will er denken, einen höhern Sinn ergötzen, so sieht er seine Mittelbildchen an und erfreut sich an ihrem Besitz. - Auf diese Weise wären also Arabesken jener Zeit nicht eine Verschwendung, sondern eine Ersparnis der Kunst gewesen! Wie wünschenswert wäre es, dass man nur einige solche Wände im Zusammenhang, wie man sie gefunden, in Kupfer mitgeteilt hätte; so würde das, was ich hier sage, einem jeden sogleich in die Augen fallen.»
Herculaneum, Neptun und Amphitrite
Anders verhalte es sich mit den berühmten Arabesken, womit Raffael und seine Schüler die Loggien des Vatikans ausgemalt hatten: «Es ist, als wenn er verschwenderisch habe zeigen wollen, was er erfinden und was die Anzahl geschickter Leute, welche mit ihm waren, ausführen konnte.» Der Überfluss anstelle des ausbalancierten Masses, eine sich selbst feiernde Phantasie statt einer anmutigen Hinführung zur Kunst! Goethe war entfallen, dass es Raffael war, der bei der Wiederentdeckung der Domus aurea in den unterirdischen Grotten den ästhetischen Reiz dieser freispielenden Dekorationen erkannt und für die von ihm verantworteten Bauten genutzt hatte. Was Goethe unter dem Begriff der Arabeske zusammenfasste, schloss ja auch alle unter dem damals erfundenen Fechtnamen der Groteske umlaufenden malerischen Dekorationen der Renaissance und des Frühbarock mit ein. Während von den in Herculaneum freigelegten Wandverkleidungen wenigstens die figürlichen Mittelbilder im königlichen Auftrag veröffentlicht waren, sollten noch viele Jahrzehnte vergehen, ehe Goethes Wunsch in Erfüllung ging und Wilhelm Zahn in Berlin 1852-1859 auch aus Pompeji die «schönsten Ornamente und merkwürdigsten Gemälde» in angemessen grossartigen Farblithografien reproduzieren konnte.
Raffael und Schüler; aus den Loggien des Vatikan
Die «älteste Form der Phantasie»
Die Jenenser und Berliner Romantiker, die damals Goethe nachstrebenden Brüder Schlegel allen voran, wollten diese vorsichtige Aufwertung der Arabeske entschieden höher steigern, als das im Umkreis des Weimarer oder Berliner Klassizismus denkbar gewesen wäre. Für Friedrich Schlegel war sie «die älteste und ursprüngliche Form der Phantasie», tastende und nur in Hieroglyphen fassbare Aneignung der Welt. Und darum kann auch in der Dürre der prosaischen Gegenwart die Einbildungskraft durch «die künstlich geordnete Verwirrung, diese reizende Symmetrie von Widersprüchen» in ihr altes Reich zurückkehren. Im taumelnden Erkenntnisdrang des «Symphilosophierens», der die Künste und Gattungen im Wechseltausch dem gleichen Prinzip des Romantisierens unterwerfen will, entfaltete sich die Arabeske in der Klangwelt der Musik so leicht und ausdrucksmächtig wie in den geheimnistragenden Chiffren der Malerei oder des über sich hinausweisenden Märchens. Ludwig Tiecks «Gestiefelter Kater», diese sich selbst kommentierende Komödie einer Märchenkomödie, wird von seinem Freund Friedrich Schlegel in den «Athenäumsfragmenten» ebenso als poetische Arabeske beschrieben wie später von E. T. A. Hoffmann Beethovens Symphonien, diese Urzeugnisse der romantischen Musik.
Philipp Otto Runge, Arions Meerfahrt, 1809
Wenn jedoch die Arabeske in jeder ihrer Erscheinungsweisen hieroglyphisch auf ihren Ursprung aus dem Chaos zurückverweist, muss dann nicht, wie Novalis seinen Meister Klingsohr (im «Heinrich von Ofterdingen») sagen lässt, «das Chaos in jeder Dichtung durch den regelmässigen Flor der Ordnung schimmern»? «Den Reichthum der Erfindung macht nur eine leichte Zusammenstellung fasslich und anmuthig, dagegen auch das blosse Ebenmaass die unangenehme Dürre einer Zahlenfigur hat.» Immer zur Denk-Akrobatik geneigt, vergleichen und vertauschen Friedrich Schlegel und Novalis den Roman, die Seelenlandschaft und die Symphonie. Von Jean Paul will der junge Schumann den Kontrapunkt, von Beethoven die poetische Inspiration gelernt haben.
Alfred Rethel, Eichendorff: "Sterne"
Die im Titel der Ausstellung vorangestellte These einer Verwandlung der Welt erhebt programmatisch die Arabeske zum romantischen Kunstprinzip schlechthin. Und siehe da, auf einmal rückt die eigenwillige, die exzentrische Symbolwelt von Philipp Otto Runges Malerei und Zeichenkunst ins Zentrum der deutschen Romantik! Auch in der Ausstellung steht Runge im Mittelpunkt. «Die Lehrstunde der Nachtigall» (1804/05) aus der Hamburger Kunsthalle ist in der Spannung des Gemäldes zwischen der monochromen Einfassung mit den beinahe plastisch ausgearbeiteten, zwischen Blumen und Bäumen spriessenden Amoretten und der dunkelfarbig leuchtenden Idylle das Paradebeispiel sowohl für Goethes Theorie des Arabesken als auch für die der Romantiker. Von dorther erschliesst sich auch der innere Zusammenhang des berühmten «Tageszeiten»-Zyklus ebenso wie der wenige Jahre später 1808 zu datierende «Kleine Morgen». Im Katalog wird einem diese repräsentative Sonderstellung einprägsam vor Augen geführt. Da parallel alle wichtigen Zeugnisse und dichterischen Schöpfungen der Romantik, von Novalis bis zu Clemens Brentano, aus den Handschriften und Drucken des Hochstifts dem Betrachter gegenübertreten, wird diese Metamorphose unmittelbar evident.
Aus dieser emphatischen Hochstellung der Arabeske ergeben sich an zwei Punkten Schwierigkeiten, beide werden glänzend behoben. Unvermeidbar ist der Zwang zum Lesen, weil nur so die Bilder das Postulat einlösen können. Kunstmuseen lieben keine nach der Literatur hin geöffneten Ausstellungen. Sie fürchten den Unwillen des Besuchers, dem ständig aufgeschlagene Bücher und ikonografische Erläuterungen in den Weg seiner flinken Bewunderung gelegt werden. Richtet man sich wie hier auf eine wechselseitige Spiegelung ein, dann wird der Weg durch die Ausstellung selbst für den flüchtigen Gast zu einer einzigen Lustpartie! So klug, so anmutig und witzig sind die Seiten ausgewählt, so knapp und sorgfältig die Beschriftungen!
Johann Wolfgang von Goethe, Gedichthandschrift in Arabeskenrahmung, 1814
Der zweite Punkt ist, weil in der Sache angelegt, weit problematischer: Die Arabeske war schon um 1800 Teil der praktizierten Gesellschaftskultur, nicht anders als die lebenden Bilder oder die Rätsel-Charaden. An diesem sich ständig selbst bestätigenden Zustand der Welt hatten auch zwei Revolutionen und der Krieg gegen Frankreich - in der Öffentlichkeit wie eine Siegesarabeske behandelt! - nichts geändert. Wenn irgendwo, dann hatte sich, zum Schaden der Reputation, in der Arabeske das Biedermeier durch das ganze Jahrhundert hindurch am Leben erhalten. Clemens Brentanos Theorie der Arabeske hatte noch, aus tieferer, poetisch reicherer Erfahrung als bei Friedrich Schlegel, zu der seiner frühromantischen Freunde gepasst. Dagegen breiteten sich bei seiner Schwester Bettine und ihren drei Töchtern schon jene leicht produzierbaren Zustände des geselligen Phantasierens aus, die dann in Berlin wie in München den kulturellen Alltag, die Geselligkeits- und Festkultur bestimmen sollten. Die tief empfundenen, aber ins Gefällige weitergedachten Traum- und Märchenstücke des Moritz von Schwind umspielen die Inspirationen seiner Dichter- und Musikergesellen Franz Schubert und Eduard Mörike mit einer zustimmenden Heiterkeit, die aber an deren Innerstes nicht zu rühren vermochte.
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Hirschkuh, von einer gefleckten Raubkatze durch Ranken verfolgt, Aquarell, 1809.
Herrlichkeiten und Einsichten
Zum Raffinement der Ausstellung gehört es, dass von Abteilung zu Abteilung das Marktgängige neben das Originale und Einzigartige gerückt wird: die Märchen-Arabesken von Ludwig Emil Grimm, Ludwig Richter und Wilhelm von Kaulbach neben E. T. A. Hoffmanns Entwürfen zum «Kater Murr»; die brillant-gefälligen Potpourri-Radierungen von Adolph Schroedter, dem «König der Arabeske», neben Adolph Menzel. Da gelingen aber auch Glücksfunde: So tritt Menzel, der einzige Maler des Realismus von europäischem Rang, in einer Fülle seiner grafischen Gelegenheitsarbeiten hervor, die manche erstaunen wird.
aus Adolph Schrödter, Arabesken- Fries; 7 Farblithographien 1848
Auf engem Parcours ist dieser Reichtum so verständig und zugleich so locker angeordnet, dass man ihn ohne jede Schwierigkeit zu Ende verfolgen kann, dass man aber auch auf neue Wege kommen darf, ohne je den Zusammenhang aus dem Auge zu verlieren. Der Katalog ist ein veritables, prachtvoll illustriertes Standard-Werk, wie man es bei einem solchen Ereignis auch erwarten darf. Am Freien Hochstift ist dieses Ereignis eine Art Probe aufs Exempel: Uns wird vor Augen geführt, was wir an Herrlichkeiten und Einsichten gewinnen werden, wenn das Zusammenwirken der Künste in Goethezeit und Romantik sein eigenes Museum oder Ausstellungsgelände bekommen wird.
Bis 28. Februar in Frankfurt und vom 21. März bis 15. Juni in der Kunsthalle Hamburg. Katalog: Verwandlung der Welt - die romantische Arabeske. Hrsg. Werner Busch und Petra Maisak. € 35.-.
Ph. O. Runge
Prof. Norbert Miller hatte an der Technischen Universität Berlin bis zu seiner Emeritierung 2005 den Lehrstuhl für deutsche Philologie, allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft inne.
Nota.
Dass die Romantiker die Arabeske theoretisiert haben, ist wohl wahr - uind ein Thema für sich. Den Roman haben sie auch theoretisiert, aber dass einer von ihnen einen bedeutenden Roman hinterlassen hätte, ist nicht bekannt. (Ofterdingen ist weder ein Roman noch bedeutend.) Und was die Arabeske anlangt, könnte man sich fragen, ob das nicht doch eher eine biedermeierliche Kunstform ist. Aber dann müsste man auch gleich die Frage stellen, was Romantik in der bildenden Kunst überhaupt bedeuten kann, und das, ach, ist ein 'zu weites Feld'; nämlich für die Frankfurter mit ihrem touristenträchtigen "Romantikmuseum", das doch nicht kommt.
Dass die Arabeske ihren Name dem muslimischen Bilderverbot verdankt, womit sie in den arabischen Ländern die einzige legitime Art von Bildender Kunst wurde, streift der Autor kaum am Rand. Dort wurde sie in der Tat zu eine "Verwandlung der Welt", die zu einem Ozean aus stilisierten Pflanzenranken und Koranversen zusammengepresst wurde. Bizarrerweise hat Kant die arabische Kunst als die gewissermaßen 'reinere', weil nicht an der Darstellung des Gegenstands haftende Schönheit (pulchritudo vaga)* aufgefasst, wo sie doch dem Künstler nicht nur die Hände, sondern mehr noch die Einbildungskraft bindet. Von Perspektive, Verteilung der Massen, Hell-Dunkel, Farbe, ja nicht einmal eigentlich von der Linie (von denen es nämlich viel zu viele, nämlich nichts anderes gibt) kann die Rede sein. Es ist eine gefesselte, gewürgte, gequälte Kunst.
Das wäre auch ein weites Feld, worüber man sich Gedanken machen kann (aber vielleicht nicht grade in Frankfurt).
*) KU, A/49f.
JE
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