Mittwoch, 26. Februar 2014

Paul Klee im Tate Modern.

aus NZZ, 26. 2. 2014                                                                                                                                 Feuer bei Vollmond 1933

Das Leben kein Traum
Grosse Paul-Klee-Retrospektive in der Londoner Tate Modern

von Marion Löhndorf 

Was lässt sich noch sagen zu Paul Klee, dem Vielgefeierten, -beschriebenen und -ausgestellten? Die Tate Modern versucht es mit einem Abgesang auf das Bild Klees als Mystiker der Moderne.

Paul Klee lebte zwischen den Kategorien. Sein Werk überschneidet sich mit dem Expressionismus, dem Konstruktivismus, dem Kubismus und dem Surrealismus, aber in Wirklichkeit versagen die Ismen hier. Er experimentierte mit Inhalten, Formen und Techniken und überbrückte dabei die Pole von abstrakter und gegenständlicher Malerei. Bei der Wahl seiner Laufbahn schwankte er zwischen Malerei und Musik, auch Nationalität und Herkunft weisen ihn als Wanderer zwischen den Welten aus. 1879 in Münchenbuchsee im Kanton Bern geboren, wuchs er als Sohn einer schweizerischen Mutter und eines deutschen Vaters in der Schweiz auf, erhielt aber als deutscher Staatsbürger 1916 den Einberufungsbefehl. Nach dem Krieg arbeitete er in Deutschland und emigrierte 1933 in die Schweiz, wo er 1940 starb - kurz bevor ihm die Schweizer Staatsbürgerschaft zuerkannt worden wäre. Seine Grabinschrift beginnt mit den eigenen Worten «Diesseitig bin ich gar nicht fassbar». Sie führen ex negativo in eine weitere, letzte Gegenwelt, das Jenseits, und verorten ihren Autor als Einzelgänger - trotz seiner Zugehörigkeit zur Künstlergruppe «Der Blaue Reiter» und seiner langjährigen Tätigkeit am Bauhaus.

Architektur 1923

Entmystifizierung

Eine Retrospektive in der Londoner Tate Modern legt es nicht darauf an, den Widersprüchen und Spannungen im Leben und Werk des Künstlers nachzuspüren. Stattdessen wartet sie mit einer klaren Lesart auf, die Abstand nimmt von der Vorstellung von Klee als einem verträumten Mystiker und Radikalindividualisten. London präsentiert, im Fahrwasser einer jüngeren Generation von kritisch-nüchternen kunsthistorischen Beiträgen zum Thema Klee, eine entsakralisierte Version des Malers. Dabei erscheint seine Arbeit als eines der bedeutendsten Lehrer am Bauhaus und grosser Kenner und Theoretiker der Kunst des 20. Jahrhunderts in der Ausstellung selbst nur kursorisch in den begleitenden Texten. Sie hätte in einer zur Entmystifizierung entschlossenen Schau mehr Platz verdient. Erst der Katalog klärt vieles: Er erläutert die Anordnung der Werke, das didaktische Vorhaben der Präsentation und die mäandernde Entwicklung des darin gezeigten OEuvre selbst, das Wiederaufnehmen, Verändern und Vereinen von Themen, Motiven und Verfahren.

Wintertag kurz vor Mittag; Jahr?

Das Material wird chronologisch inszeniert. Tate-Direktor Chris Dercon hatte angekündigt, die Werke anhand des von Klee geführten Verzeichnisses zum ersten Mal so zu zeigen, wie er selbst sie der Öffentlichkeit präsentieren wollte. So strebt man also von Jahr zu Jahr, durch siebzehn Räume, vorbei an 131 Zeichnungen, Aquarellen und Gemälden aus Museen und Privatsammlungen aus der Zeit von 1912 bis 1940. Man tritt heran, man lehnt sich vor - jedes Bild will ganz genau angesehen werden, in seinem formalen Reichtum, seiner Detailfülle. Auf dem weitläufigen Parcours deutet sich die scheinbar grenzenlose Schaffenskraft des Künstlers an, der fast 9000 Werke hinterliess, mehr als die Hälfte davon Arbeiten auf Papier.

Stufen, 1929

Klees kleinformatige Bilder erscheinen an den massiven Wänden winzig. Die nüchterne Wucht der Räume und die Intimität der Kleeschen Kunst sind einander herzlich fremd. Doch dienen die Säle der Tate wohl auch der mit dieser Präsentation angestrebten Ausnüchterungskur: Der Mythos vom weltentrückten Lyriker der Malerei, der zu einer Art Heiligsprechung Klees führte, kommt hier nicht zur Entfaltung. Dass Klee an seinem Image als Künstler-Poet selbst nicht unbeteiligt war, indem er etwa von der «gleichnishaften Zusammengehörigkeit seiner Kunst zum Werke Gottes» sprach, bleibt unberücksichtigt. Der Surrealist René Crevel nannte Klees Kunst ein Museum unserer Träume, «un musée complet de nos rêves». Klees Vertrauter Will Grohmann aber fand, dass Klee «durchaus gesund fest auf seinen Beinen steht. Er ist in gar keiner Weise ein Träumer.» Das war die andere Seite des Malers, der eben auch das Pathos ablehnte und grosse Anstrengungen unternahm, das eigene Werk analytisch zu durchdringen und zu katalogisieren; und er war ein harter, unerbittlicher Arbeiter mit höchstem Anspruch an sich selbst. Träumer oder nicht: Die Londoner Schau interessiert sich für die unromantische Wesensseite des Künstlers und unternimmt keine Anstrengung, die Gegensätze einfach nebeneinander bestehen oder aufeinanderprallen zu lassen. Dass das unter der Hand und quasi ungebetenerweise dennoch passiert, liegt am hier gezeigten Werk selbst.

Sie beißen, 1920

Brüchige Verspieltheit

Klees schwebender Kosmos, dessen Leichtigkeit so hart erarbeitet war, erscheint in seiner Formen- und Themenvielfalt unerschöpflich, was auch für eine Robustheit seiner fragil erscheinenden Schöpfungen spricht. Sein Diktum von der Kunst, die nicht das Sichtbare wiedergebe, sondern sichtbar mache, ist der Schau als Titel eingeschrieben, «Making Visible». Darunter lässt sich vieles fassen. Wir begleiten Klee von seinen Radierungen und Zeichnungen der Vorkriegszeit und den Aquarellen der Tunisreise hin zu den magischen Quadraten der zwanziger Jahre und der strengeren Architektur seiner ägyptischen Landschaften. Ihnen folgen Anfang der dreissiger Jahre Farbkompositionen, die fast vollständig ohne den gezeichneten oder gemalten Strich auskommen. In den letzten Lebensjahren werden Anspielungen an Politisches und Persönliches leichter entzifferbar. Da klingen, mit wie immer verhaltener Ausdrücklichkeit, Klees Erfahrungen mit den Nationalsozialisten, die Emigration und seine letzte Krankheit an.

 Park bei Lu., 1938

Vermieden wird auch jeder Populismus, der Klee zum beliebten Postkarten- und Postermotiv macht, dank den reichen Farben und Mustern, den Graffiti-ähnlichen Elementen, den heiteren Studien über Farbharmonien, Improvisationen über Raum und Perspektive mit dunkleren, bedeutungsvollen Untertönen. Hervorgehoben werden sein Sinn für Humor, seine brüchige Verspieltheit und Eleganz, die gelegentlich morbide Handschrift, seine Zeitgenossenschaft und das systematische Erfragen und Erarbeiten einer künstlerischen Welt. Was so spielerisch aussah, folgte in Wahrheit, so lernen wir, einer konsequenten Methodik. Klee wird als besessener Archivar der eigenen Kunst erlebbar, der von 1911 an jedes Bild akribisch katalogisierte. Es gibt Beispiele seiner Buchführung, inklusive der Verkaufsvermerke. Nachzulesen ist auch seine minuziöse, handschriftliche Vorbereitung zu einer ersten Seminarstunde als Lehrer am Bauhaus.

Klee im Tate Modern

Nach Jahren seiner unheilbaren Sklerodermie-Erkrankung, in denen er nicht mehr als 25 Werke produzierte, nahm sein Schaffen im vorletzten Lebensjahr einen enormen Aufschwung, den der Kranke, wie im Wettlauf mit dem Tod, gleich wieder numerisch bezeichnete: «Zwölfhundert Nummern im Jahr 39 sind aber doch eine Recordleistung.» Doch das Eindeutige, Buchhalterische behält naturgemäss nicht das letzte Wort. In Klees Werk, bis hin zu den letzten wiederum sehr verschiedenartigen Bildern, in die sich Verzweiflung, Abgeklärtheit oder Rätselhaftigkeit hineinlesen lassen, leben die Spannungen und Widersprüche im elegantesten, schönsten Schwebezustand fort.

Paul Klee - Making Visible. Tate Modern, London. Bis 9. März 2014. Katalog £ 24.99.

 Titel? 1927


Nota.

Einen so nichtssagenden Beitrag hätte ich in der Neuen Zürcher nicht erwartet; und dabei haben sie sich reichlich Zeit gelassen, die Ausstellung wurde im Oktober eröffnet.

Da ich nichts zu kommentierten habe, erzähle ich Ihnen eine Geschichte, die Sie kaum interessieren wird, die ich aber loswerden will: Mit Klee ist mir etwas Merkwürdiges widerfahren. Jahrelang habe ich auf meiner Festplatte jedes Bild von ihm gesammelt, das ich im Internet finden konnte, und als ich auf einem (inzwischen von Google gelöschten) Blog einen Beitrag über Picasso brachte, in dem dieser "der größte Maler des zwanzigsten Jahr- hunderts" genannt wurde, kommentierte ich: Da würden mir andere einfallen; und dachte natürlich an Max Ernst und Paul Klee. Und dann im vergangenen Herbst, pünktlich zur Eröffnung der Tate-Ausstellung, hatte ich seine Bilder über Nacht satt. Ich mochte sie nicht mehr sehen und kopierte nichts mehr auf meine Festplatte. 

Zu diesem Eintrag musste ich mir einen Ruck geben. Hab ich getan, und nun lade ich wieder einiges auf meine Festplatte. Aber es irritiert mich weiter.
JE

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