aus Badische Zeitung, 15. 7. 2014
Begegnung im Neuland
"Gauguin. Metamorphosen": Das Buch zu einer New Yorker Ausstellung erklärt den Künstler als Experimentator.
von Volker Bauermeister
Es ist eine Arbeit mit Bausteinen. Aber Paul Gauguin arbeitet
sie um, diese bildnerischen Module, wenn er sie in immer neuen
Zusammenhängen einsetzt. Und unaufhörlich wechselt er die Medien. Was
man von ihm kennt, das sind vor allem die Gemälde, die seine
Südseephantasien zelebrieren. Viel weniger bekannt ist der
Experimentator Gauguin, der auch im technischen Verfahren das Unbekannte
sucht. In Plastik und Grafik entfernt er sich weit von Europas Normen.
Tahitianerin mit bösem Geist, Durchdruckzeichnung, um 1900
Eine Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art zeigte nun neben dem
Maler gerade auch diesen anderen Gauguin. Dass Malerei "bei weitem
nicht Gauguins einzige ästhetische Leistung" ist (Elizabeth C. Childs),
erklärt das zur MoMA-Schau erschienene Buch. Dass nicht nur der
exotistische Traum allein sein Beitrag zur Kunstgeschichte ist, sondern
ein äußerst eigenwilliger Formprozess – im Austausch zwischen den
Medien: Graphik, Druckgraphik, Skulptur und Malerei. Gauguins "Ästhetik
des Geheimnisvollen" (Starr Figura) trennt das Sujet nicht von der
vermittelnden Technik. Inhalte werden mit ungewöhnlichen Bildmitteln
evoziert – nicht einfach geschildert. Er suche nicht nach technischer
Perfektion, sagt Gauguin. Im Unperfekten bringt er Geheimnis und Rätsel
zur Geltung.
Den Text "Noa Noa", mit dem er in Frankreich nach der ersten
Tahiti-Reise das Abenteuer zu erklären versucht, illustriert er
(1893/94) mit einer Holzschnittfolge. Die Motive entnimmt er seinen
Tahiti-Gemälden. Das Titelblatt rekurriert auf das Ölbild "Unter den
Pandanussbäumen". Es taucht die idyllische Genreszene in symbolistisches
Dunkel. Im Holzschnitt verbindet Gauguin die strichelnde Feinarbeit des
Stechers mit dem rauen Ausdruck des leidenschaftlichen Schnitzers. Er
druckt verschiedene Stadien, variiert Farbe und Farbauftrag. Ein
Verschwimmen der Formen ist gewollt. Den Betrachter lädt er ein, in sein
Rätsel-Tahiti einzutauchen. Eine vergleichbare Wirkung erzielen die
Aquarell-Monotypien. Dazu zeichnet er mit Wasserfarbe auf eine Platte
aus Glas oder Metall und klatscht sie auf Papier ab. Das Resultat: ein
mysteriöser farbiger Schemen.
Maruru (Offerings of Gratitude) from the suite Noa Noa (Fragrant Scent). 1893-94.
Auch das Gemälde "Te Nave nave fenua (Das herrliche Land)", das eine
skulpturengleiche tahitische Eva im Moment des Sündenfalls zeigt, wird
ihm zur Vorlage eines Holzdrucks. In einem Fall verwischt er die Farbe
so, dass die Gestalt sich ganz in Nebel hüllt und unendlich langsam wie
aus einer unergründlichen Tiefe auftaucht. Eine Holzskulptur variiert
das Motiv – und wiederum ein Aquarellumdruck.
Oviri (Savage), 1894
Das Staunen, das er suchte
Für die Eva diente ein Foto als Vorbild, das Reliefs am Tempel im
javanischen Borobudur wiedergibt. So zeigt sich in solchen
Motivgeschichten die hybride Prägung Gauguin’scher Kunst wie auch ihre
spielerische Dynamik. Das Bildnis der Eva verkörpert, was Gauguin fern
von Europa suchte. Jenes ersehnte Andere: die erotische Attraktion.
Tahiti – das ist für ihn eine Frau. Sie sieht er mit den Geistern der
Dunkelheit kommunizieren. Was sie ihm noch anziehend schöner scheinen
lässt.
Es ist nicht das wirkliche Tahiti, das seine Bilder wiedergeben, nicht
die desaströse kolonialistische Wirklichkeit. Es ist ein Wachtraum. Das
französische Dampfschiff bringt ihn gewiss nicht ans Ziel. Die
Bildarbeit ist seine nicht enden wollenden Reise ins Unbekannte. In
"Wohin gehst du?", dem Gemälde der Stuttgarter Staatsgalerie, ist die
Frau, an die sich die Frage richtet, eine ins Geisterhafte gewendete
Eva. Die selbe Körperhaltung gibt der Keramiker Gauguin einer Figur, die
er "Oviri" nennt. "Oviri" ist die umgeprägte Stuttgarterin. Es ist der
Geist, in dem er sich selbst als "Wilden" wiedererkennt. Sein "Oviri",
sein "Wohin gehst du?", wünschte sich Gauguin als Grabfigur. Im
Holzdruck kehrt diese Metapher seiner Sehnsucht wieder.
Vase with the Figure of a Girl Bathing Under the Trees, c. 1887-88
Während Holzschnitt und Monotypien Motive vor allem recyclen, entstehen
parallel zur Arbeit am Ölbild oder im Vorgriff darauf in den letzten
Lebensjahren um 1900 die ganz und gar ungewöhnlichen
Durchdruckzeichnungen. Gerade auch sie deuten darauf, dass sich Gauguin
mit seiner "Ästhetik des Geheimnisvollen" von etwas loslöst. Dass er
Bilder weniger als willentlich "gemacht" denn als eigenwirklich
"geschehen" ansehen will.
Zu dem Zweck wählt er wieder einen Weg der indirekten Gestaltung: Er
zeichnet auf Papier und legt ein mit Farbe bestrichenes Blatt darunter,
das durch den Druck des Stiftes Farbsubstanz abgibt. Damit wird ihm die
Rückseite des oberen Blattes zur bildtragenden Vorderseite. Die Linien
wirken auf dem Weg der Übertragung eindrücklich schwer, rau sinnlich,
unvermittelt greifbar. So sieht sie aus, die gewünschte Begegnung im
Neuland! So schafft sich Gauguin, der um der Kunst willen Europa den
Rücken kehrte, das Staunen, das er suchte.
Starr Figura: Gauguin. Metamorphosen. Mit Beiträgen u.a. von Elizabeth
C. Childs, Hatje Cantz Verlag, Ostfilderrn 2014, 247 Seiten, 49,80
Euro.
Nota.
Ich sagte es schon: Er wäre besser in Europa geblieben. Die Ausstellung im MoMA zeichnet ihn aus als einen Pionier des zwanzigsten Jahrhunderts. Im einundzwanzigsten ist das nicht mehr aufregend. Da sticht eher ins Auge, dass der grobe Primitivismus so gemacht ist wie die Sachen von Hans Makart oder Aubrey Beardsley - aber etwas anderes vorgibt. Heute täte man besser daran, dem Gauguin aus Pont Aven eine Ausstellung zu widmen, da könnte mancher etwas entdecken.
JE
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