Das Werk des Verschmähten
Zum 100. Geburtstag von Hans Erni zeigt das Kunstmuseum Luzern eine Retrospektive.
Von Nadine Olonetzky
Wünscht sich nicht jeder Künstler solche Ausstellungsbesucher? Mit einem Lächeln auf dem Gesicht stehen sie vor den Bildern, diskutieren in kleinen Gruppen und schlendern dann gemächlich weiter. Auch wenn draussen Sommer ist, die Japaner vor dem Raddampfer «Schiller» Schlange stehen, haben es die Besucher der Retrospektive zum 100. Geburtstag von Hans Erni wirklich nicht eilig. Gefällig und kitschig für die einen, anschaulich und das Resultat eines ungemeinen Könnens für die andern: Das riesige, im Lauf von achtzig Jahren entstandene Œuvre des Kunstmalers ist unverkennbar durch die schwungvollen Linien, die über die Farbflächen gezogen sind, und äusserst populär, doch vom Kunstbetrieb wird es nicht ernst genommen. Erni selbst, scheinbar unberührt von solchen Anfechtungen, ist noch immer jeden Tag am Werk.
aus Die Schweiz, Ferienland der Völker, Landi 1939
Am 21. Februar 1909 als Sohn eines Schiffsmaschinisten in Luzern geboren, lernt Hans Erni zuerst Vermessungs- und Bauzeichner, besucht aber ab 1927 die Luzerner Kunstgewerbeschule. In den frühen 1930er Jahren reist er wie fast alle Künstler nach Paris, lässt sich vom Kubismus begeistern, verdient seinen Lebensunterhalt mit der Gestaltung von ersten Plakaten und bildet sich dann an der Kunstakademie in Berlin weiter. 1935 stellt Erni an der Avantgarde-Ausstellung «These – Antithese – Synthese» im Kunstmuseum Luzern aus und bewirkt, dass auch Werke von Picasso und Braque gezeigt werden. Doch mit dem Wandgemälde «Die Schweiz, das Ferienland der Völker», das er für die Landesausstellung 1939 realisiert, wird er nicht nur bekannt, es beginnt auch jene Entwicklung hin zum Populären und Gehübschten, die ihm die Anerkennung des Kunstbetriebs verwehren wird. Spätestens seit 1979 im Luzerner Verkehrshaus das Hans-Erni-Museum eröffnet ist, muss sich kein Kunstmuseum mehr verpflichtet fühlen, Ernis Bilder, Zeichnungen oder Druckgrafik seriös zu sammeln.
Nicht einfach nur hübsch
Das Überraschendste dieser Retrospektive sind nun die abstrakten Gemälde der 1930er Jahre. Während «Stillleben mit Krug und Zitronen» (1933) noch an Braque erinnert, sind der bereits entfernter an Hans Arp gemahnende «Einfache Knoten» (1934), vor allem aber die abstrakten Bilder der Serie «Komposition A» (und B, C, D!) und die meditativen «Panta Rhei»-Gemälde (alle um 1935) nicht einfach nur hübsch, sondern stark und vielversprechend. Zwar Kinder ihrer Epoche, ermöglichen sie Vertiefung und Kontemplation, gerade weil sie keine eindeutige Botschaft haben. Einen Saal weiter beginnt man jedoch schon zu merken, dass Hans Erni ein virtuoser Phagozyt – ein Einverleiber – aller Kunstströmungen seiner Zeit war. Ein wenig Kubismus zuerst, ein bisschen Dalíscher Surrealismus dann, später eine Prise abstrakter Expressionismus und irgendwann über allem der Schmiss seiner Zeichenstriche: Dass virtuoses Können und Leichtigkeit eine Falle sein können – man hat es zunehmend vor Augen.
Clean energy 1999
In den berühmten Pferdebildern und Mutter-Kind-Kompositionen wie «Liegende Mutter und Kind» (1964), den Sport und Technik gewidmeten Gemälden «Ikarus – Lilienthal» (1941) oder «Poème nucléaire» (1958) verfährt Erni nach dem Prinzip, das ihn bekannt machte: Er zeichnet und kratzt die Figuren schwungvoll in die Farben des abstrakten Untergrunds und verbindet so mehrere Bildsprachen zu einer metaphorisch bedeutungsschwangeren Gesamtkomposition. Zuweilen addiert er technische Zeichnungen, bleibt aber meist dekorativ oder wie in «Der Kreislauf des Wassers» (1945) im Didaktischen stecken; vollends im Kitsch enden schliesslich Bilder wie «Anklagende Steine» (1985) oder «Verscharrte Opponenten» (2009).
Dass Erni politisch brisante Themen aufgriff, mag erstaunen. Der überzeugte Kommunist, der in den 1940er Jahren nach einer Intervention von Bundesrat Philipp Etter den Auftrag für neue Banknoten nicht zu Ende führen konnte, in der Folge von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen blieb und bis zu einer Ausstellung in Schaffhausen 1966 in der Schweiz geradezu geächtet war, machte keinen Bogen um die Schwierigkeiten dieser Welt. Bilder wie «Das Zeitalter der Konflikte» und «Atomschrecken» (beide 1962) oder Plakate wie «Rettet den Wald» (1983) mögen sentimental-pathetische Bildfindungen für Gewalt oder Umweltprobleme sein. Sie erreichen aber das Publikum, und das war und ist Hans Erni ein Anliegen.
Faire Würdigung ohne Lügen
Trotz der Zwiespältigkeit dieses Œuvres hat sich der Direktor des Kunstmuseums Luzern, Peter Fischer, mit unzynischer Sorgfalt an die Retrospektive gemacht. Er hat die Werke von den Entwürfen für das Landi-Wandgemälde über den Wandteppich «Mensch und Fortschritt» (1974) bis zu den neuen Gletscher-Bildern (2007) so zueinander in Beziehung gesetzt, dass die Entwicklung der Motive nachvollziehbar wird. Und das Buch zur Ausstellung, in dem ein informatives Gespräch mit dem Hundertjährigen zu lesen ist und renommierte Autoren über das Landi-Bild, die Gemälde oder Ernis Plakate schreiben, illustriert den fairen Versuch, das Werk dieses vielgeschmähten Künstlers zu würdigen, ohne über seine Schwächen hinwegzulügen.
Die Retrospektive im Kunstmuseum Luzern dauert bis am 4. Oktober 2009. Am 8. September findet ein öffentliches Künstlergespräch mit Hans Erni und Peter Fischer statt. Der Katalog mit Beiträgen von Stanislaus von Moos, Claude Lichtenstein, Peter Fischer, Serge Lemoine sowie einem Gespräch von Philip Ursprung, Hans Ulrich Obrist und Dora Imhof mit Hans Erni erschien im Benteli-Verlag, Sulgen 2009.
Nota. - Zunächst einmal: Der Mann hat unglaublich viel gemacht, selbst für einen, der ein volles Jahrhundert Zeit hatte. Und er hat alles Mögliche gemacht, Bilder, Skulpturen, Zeichungen, Druckgraphik sowieso, aber auch Postkarten, Briefmarken, Medaillen für Schützenfeste, Ausstellungen und Firmenjubiläen - ein ganzes eignes Genre, Kunst im Kleinen, und alles, was er angefasst hat, hat er gekonnt, es ist nichts gepfuscht, auch da nicht, wo die Evidenz der message jede Sorgfalt überflüssig gemacht hätte; mit andern Worten, auch die unverstellt kitschigen Sachen. Die im Text besonders als solche hervorgehobenen Stücke sind im www nicht (mehr?) aufzutreiben, ich muss mich hier auf das Gefällige beschränken.
Und dabei hätte er das selbst um des Verdienstes willen gar nicht nötig gehabt. Er konnte auch avantgardistisch, und das so souverän, dass er es nicht einmal "nachmachen" musste. Will sagen, er besaß nicht nur die Handfertigkeit, sondern auch den nötigen Horizont für die wahre Kunst. Dass er trotzdem vom volksfreundlich Gefälligen nicht ablassen mochte, kann nicht bloß Sturheit gewesen sein. Es mag auch eine entschieden eigene Meinung über Zweck und Wesen der Kunst darin gesteckt haben.
JE
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