Freitag, 27. März 2015

Stimmen zu Hans Erni.


aus nzz.ch, 27.3.2015, 14:09 Uhr                                                                                                      Selbstbildnis, 1946

Stimmen zum Künstler Hans Erni
Immer virtuos und meistens unverstanden
Dass der am 21. März verstorbene Künstler Hans Erni bei einem Stil blieb, den er im Grunde in den vierziger Jahren schon voll ausgebildet hatte, machte ihn der Fachwelt verdächtig. Sein Publikum aber fand Hans Erni dennoch. Ein kontroverses Bild des Künstlers zeichnen auch sechs prominente Zeitgenossen, die ihn gekannt und sich auf Bitten der «NZZ» im Rahmen eines kurzen Statements zu ihm geäussert haben.


Leitfigur schweizerischer Geschmacksgeschichte

Von Hans-Jörg Heusser

Kunstkritik und Kunstgeschichtsschreibung haben mit Hans Ernis Werk, aber auch mit seinem Erfolg ein Problem – in mancher Hinsicht bis heute. Sein Schaffen passt nur in den Anfängen in das – immer noch nachwirkende – Schema einer Kunstgeschichte als Geschichte der «Avantgarde». Spätestens mit seinem «Landi»-Wandbild von 1939 hat Erni bewusst der Avantgarde-Ideologie abgeschworen und sich einer grundlegend anderen Kunstauffassung und einem anderen Publikum zugewandt. Er ist ein anti-avantgardistischer Apostat. 

Ein Teilstück des"Landi"-Wandbildes; heute im Museum.

Mit seiner figurativen, oft allegorischen Ideenkunst sprach er ein Publikum an, das weit in jene breiten Schichten hineinreicht, deren Vorstellungen von Kunst der schwedische Kunsthistoriker Sven Sandström in seiner geschmackssoziologischen Feldstudie «A Common Taste in Art» (1977) zum Untersuchungsgegenstand gemacht hat. Sandström befragte darin zahlreiche Exponenten des «non public of art», einer Bevölkerungsgruppe, die sich kaum je mit Kunst beschäftigt hatte, zu Beispielen damaliger schwedischer Gegenwartskunst. Er kam zum Schluss, dass es eigentlich kaum jemanden gibt, der keine Vorstellung von Kunst hat – allerdings gehen diese Vorstellungen in vielen Fällen von einer grundsätzlichen Ablehnung der «modernen Kunst» aus. Sandströms Befund vermag vielleicht zu erklären, warum Ernis Schaffen weit über das eigentliche Kunstpublikum hinaus ein derart grosser, jahrzehntelanger Erfolg beschieden war und immer noch ist.

Allerdings nicht bei der «Fachwelt», die gegen Ernis Werk und oft auch gegen seine Person zum Teil heftig polemisierte. Angesichts seiner «Apostasie» erstaunt das nicht, denn Apostaten stellen das gesamte Credo, von dem sie abgefallen sind, infrage. Doch seit dem Dahinwelken des Modernismus und dem Beginn der postmodernen «Säkularisierung» gibt es keine Instanz und keine Normvorstellung mehr, die den einzig richtigen und wahren Kunstgeschmack zu bestimmen und zu legitimieren vermöchte. Was auf dem Kunstmarkt erfolgreich ist, gilt als Kunst. 

Pollock, N° 3

Hans Erni aber war und ist auf dem Markt erfolgreich – wenn auch vorwiegend bei einer ganz bestimmten, aber grossen Geschmacksgruppe. Diese Feststellung führt zur Frage, ob diejenige Kunst, welche die Fachwelt für die wahre und einzige Kunst hält, nicht ebenfalls die Kunst einer bestimmten Geschmacksgruppe sein könnte. Das Ende der Kunstgeschichte wäre eine solche geschmackssoziologische Relativierung nicht, aber vielleicht der Beginn einer neuen Betrachtungsweise, die dem «Phänomen Erni» besser gerecht zu werden vermöchte. In einer – noch zu schreibenden – Geschmacksgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert wäre Hans Erni wohl eine Leitfigur.

Dr. Hans-Jörg Heusser ist Kunsthistoriker und Publizist in Zürich. Er war bis August 2010 während rund zweier Jahrzehnte Direktor des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK/ISEA).


Cheval blanc, Lithographie 1960


Leichthändiger Zeichner

Von Guido Magnaguagno

Ein frischgebackener Kunsthaus-Kurator lancierte mit einer Truppe ehemaliger Mitstudenten 1981 die folgenreiche Ausstellung «Dreissiger Jahre Schweiz – ein Jahrzehnt im Widerspruch». Der Katalogautor des Abschnitts «Wandmalerei», heute Direktor des Rietbergmuseums, setzte dabei alle Hebel in Bewegung, um das als verschollen geltende «Landi»-Prunkstück «Die Schweiz – das Ferienland der Völker», eine Art gemalte Monumentalcollage, ausfindig zu machen. Aber auch der Künstler konnte nicht weiterhelfen. Schliesslich entdeckten wir es verstaubt im SBB-Bahnschuppen von Romanshorn. Wir stellten dann etwa 10 Laufmeter der insgesamt 90 mal 5 Meter aus. Hans Erni war hocherfreut.

Er beehrte mit seiner Frau Doris die Vernissage und lud uns zu sich nach Meggen ein. Er war charming. Am besten gefiel uns, dass er jeden Morgen seinen Home-Pool durchpflügte. Das sah man ihm auch an. Mit damals bereits 72 Jahren schaute er wie einer jener weissgewandeten oder nackten Götterjünglinge aus, die er so leichthändig zeichnete. Auf eine seltsame Art verehrten wir ihn, den anachronistischen Humanisten. Wohl aber auch, weil unter seinen rund 300 Plakat-Würfen Ikonen herausragen wie 1944 derjenige für die Gesellschaft Schweiz - Sowjetunion. Wie das «Landi»-Panorama, heute restaurierter Schatz des Landesmuseums, strahlt es als Höhepunkt realistisch-figurativer Schweizer Kunst einer Epoche bis ins Heute.

Guido Magnaguagno ist freier Ausstellungsmacher und Publizist in Zürich. 2000–2009 war er Direktor des Museums Jean Tinguely in Basel.

Vier Elemente

Homo universalis, Homo politicus

Von Peter Fischer

Wir verlieren mit Hans Erni eine Ausnahmeerscheinung. Auch, was seine Rezeption betrifft. Einhellig die Zustimmung der Massen, einhellig die Kritik der Kunstszene. Hatte er als 20-Jähriger noch alles «richtig» gemacht, 1931 in Paris die kubistische Künstlergruppe «Abstraction-Création» mitbegründet und 1935 für das Kunstmuseum Luzern die legendäre Ausstellung «These – Antithese – Synthese» organisiert, stellte der Auftrag für ein Wandbild für die Landi 1939 in Zürich einen folgenschweren Wendepunkt in seiner Künstlerkarriere dar. Erni erlag der Verführungskraft seiner Kunst. 

In einer eigentlich sehr komplexen Komposition vermittelte er in einfachem Stil und mit klaren Motiven ein anspruchsvolles, überraschendes Bild der aktuellen Schweiz, notabene, ohne am Vorabend des Zweiten Weltkriegs der Versuchung zu erliegen, einen mythen- und klischeebehafteten Nationalgeist heraufzubeschwören. Das «Landi»-Bild vermochte die Massen zu begeistern, und Erni sagte sich fortan zugunsten der Verständlichkeit von der radikalen Abstraktion seines Frühwerks los.


Seine breiten Interessen – am klassischen Bildungsgut ebenso wie an den neuesten technischen Errungenschaften – hätten ihn in der Renaissance zum Homo universalis gemacht. Trotz dieser ganzheitlichen Geisteshaltung war und blieb Erni aber ein Kind des 20. Jahrhunderts. Die Fülle der Interessen und Themen setzte bei ihm eine unbändige Schaffenskraft in Gang. Erfolg bei den Massen war ihm wichtig, da die Kunst dann erst wirkungsvoll seine Mission vermitteln konnte. Grundfragen des Menschseins wollte er darlegen, wozu auch ganz einfache Dinge gehören wie körperliche Ertüchtigung oder die natürliche kreatürliche Schönheit – man denke an seine ungezählten Pferdeleiber. 

Erni wollte aber auch auf die grossen aktuellen Probleme des Menschseins aufmerksam machen. Insofern war er ein äusserst politischer Mensch, wenn auch nicht im Sinne der Parteipolitik – als Kommunist wurde er von der offiziellen Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg zwanzig Jahre lang zu Unrecht beschimpft und verfemt –, sondern aus einer zutiefst humanistischen Überzeugung heraus. So zählen denn auch die Bilder und Plakatgestaltungen seiner zweiten Lebenshälfte zu Anliegen der Völkerverständigung oder im Zuge der beginnenden Ökologiebewegung nicht nur zu seinen meistbeachteten, sondern auch eindrücklichsten. Ein grosser Künstler und ein grosser Menschenfreund ist von uns gegangen.

Peter Fischer ist der Direktor des Zentrums Paul Klee in Bern. Zuvor war er von 2001 bis 2011 der Direktor des Kunstmuseums Luzern und dort Kurator der Retrospektive zum 100. Geburtstag von Hans Erni.

Ta panta rhei, Genf, Palais des Nations

Aussergewöhnliche Virtuosität

Von Gottfried Honegger

Die Stadt Zürich hat mir im Jahre 1948 den Auftrag gegeben, im Helmhaus Zürich eine Ausstellung zu gestalten unter dem Titel «Die Schweiz 1848 / 1948 – vom Staatenbund zum Bundesstaat». Als Konservator hat der Stadtpräsident Konrad Farner bestimmt. Es ist eine schreckliche Geschichte, ich musste Farner in meiner Wohnung verstecken, weil er dauernd zum Tode verurteilt wurde. In diesem Rahmen habe ich auch Hans Erni kennengelernt. Wir beide bewunderten Konrad Farner als ein kulturpolitisches Genie, das uns in keinem Moment bedrängte mit seiner Ideologie, dem Kommunismus.

Hans Erni ist eine aussergewöhnliche Erscheinung, nicht nur in der Schweiz, sondern im gesamten Kunstbereich. Ich selbst liebte ihn für sein Engagement, für seine Treue zur Kultur, für sein ungeheuerliches Können. Ja, er war eine nationale Figur. Aber nun – warum haben wir uns getrennt? Es gibt in der Kunst verschiedene Ebenen, eine davon ist die Virtuosität, die dem digitalen unsinnlichen Fernsehbild nahesteht. Ja – Hans Erni besass eine aussergewöhnliche Virtuosität. Virtuosität heisst virtuoses Können ohne ethische (ja, ethische) Verantwortung. Er konnte alles und machte alles.

Verantwortung

Dieses virtuose Können hat mich beunruhigt. Am Anfang war ich neidig, deprimiert, dass mir diese Begabung fehlt. Bis ich durch einen Musiker, einen Pianisten, mir bewusst wurde, was Virtuosität ist. Virtuosität ist Klavierspielen ohne Noten. Virtuosität ist ein unkontrolliertes Können, ein Können ohne Leiden, ohne Skrupel. Dieses virtuose Können hat ihn auch distanziert von der anderen Seite, von jenen, die an der Kunst auch litten, die sich Sorgen machten, die ein Zeitbild gestalteten. Die aber glaubten, dass nur Kunst Kunst ist, die aus der Erde der Gesellschaft aufblüht als Zeitzeichen, als Mahnmal, als Hoffnung und Schönheit.

Gottfried Honegger ist Grafiker, Maler und Plastiker in Zürich.



Ungedeutetes Phänomen

Von Cäsar Menz

Die ewige Jugend seiner krausköpfigen Jünglinge und die Linienherrlichkeit ihrer weiblichen Geschwister, die seine Werke bevölkern und seine Bildthemen illustrieren, erfreuen ein breites Publikum und stossen auf das Missfallen, ja die Verachtung der Kunstkritik. Sie lassen vergessen, dass Erni in den dreissiger und vierziger Jahren in seinem politischen Engagement Werke schuf, die Skandale Hirschhornscher Dimension auslösten, und die von ihm geschaffenen Banknotenentwürfe, die zu den schönsten gehören, die unsere Nationalbank je hätte herausgeben können, der politischen Zensur zum Opfer fielen. 

Fünf Pferde, 1956

Erni der Avantgardist, Erni der «Kommunist», Erni der Humanist, Erni der Künstler, der das Herz der Massen erobert. Ein langes Künstlerleben hat viele Facetten. Noch ist es der Kunstgeschichte und Kunstkritik nicht gelungen, das Phänomen Erni in seinen Widersprüchen auszuleuchten. Die Frage, warum sich ein Künstler, der lange zur Avantgarde der Schweizer Kunst gehörte, dessen Kunst und Gesinnung den Politikern verdächtig vorkam, ab den sechziger Jahren zum Publikumsliebling und beinahe zum Staatskünstler entwickelt hat, der mit seinen virtuos angelegten Werken gefallen wollte, bedarf der Klärung. Dabei wären nicht nur die Kunsthistoriker, sondern auch die Historiker und Soziologen gefordert.

Cäsar Menz ist der ehemalige Direktor der Genfer Musées d'art et d'histoire.


Lange hinschauen.

Von Peter von Matt

Ob er gelegentlich unterfordert war? Auffällig ist, wie harmlos seine vielen Liebespaare, spielenden Pferde und antikisierenden Szenen anmuten, während in die Arbeiten, die in die Breite wirken mussten, ganz andere Energien einschossen. Er hat Plakate geschaffen, die zu den Ikonen der Gattung in der Schweiz zählen. Armut und Not, die Gefahren für Luft und Wasser, der drohende Atomkrieg

rücken darauf bedrängend nahe. Seine griechischen Jünglinge und Mädchen sind seltsam blass, aber für das Titelblatt des Romans «Sokrates träumt» des Luzerner Schriftstellers Josef Vital Kopp warf er einen Sokrates aufs Papier, der, auf dem Bauche liegend, eine Pranke vorgestreckt, den Betrachter fixiert, als würde er ihn gleich mit der nächsten Frage anspringen.

Im Kunsthaus Luzern ist gegenwärtig Ernis grosses Gemälde «Ikarus-Lilienthal» von 1941 ausgestellt. Man steht davor, studiert den stürzenden Jüngling und die merkwürdigen schwarzen Flügel. Erst später, beim Suchen im Internet, merkt man, dass diese die genaue Wiedergabe von Otto Lilienthals «Segelflugapparat» sind, in dem der Konstrukteur 1896 den Tod fand. Vor allem aber erschrickt man, wenn man entdeckt, dass der antik-moderne Ikarus im Bild selbst auf eine Wand gemalt ist, von der die Farbe bereits abblättert. Der junge, von den Surrealisten geprägte Erni hat die Betrachter schroff provoziert, malerisch und intellektuell. Das kann auch im späteren Werk wieder aufblitzen. Dann schaut man lange hin.

Prof. Peter von Matt 
lebt als Germanist und Schriftsteller in Dübendorf bei Zürich. Bis 2002 lehrte er als Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich.



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