Man erwartet immer noch Großes von ihm.
Je größer die Umgebung wurde, desto gewichtiger wurden seine Werke: Anselm Kiefer hat sich wie kein anderer deutscher Künstler mit den Schrecken und den Mythen der deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Nun wird er 70.
von Thomas Steinfeld
Es ist nicht weit von Donaueschingen, wo Anselm Kiefer am 8. März 1945 im Luftschutzkeller eines Krankenhauses geboren wurde, bis in das Dorf bei Rastatt, wo er seine Jugend verbrachte. Und von dort sind es nicht viele Kilometer nach Freiburg, wo er, in seltsamer Kombination, ein Studium der Rechtswissenschaften und der Romanistik begann.
Und schließlich liegt auch Karlsruhe in der Nachbarschaft, wo Anselm Kiefer bis 1969 an der Akademie studiert hat. Danach trug es ihn hinaus in die Welt, nach Düsseldorf und in den Odenwald und dann weiter nach Südfrankreich und nach Paris, bis er in der ganzen Welt als deutscher Künstler bekannt war.
Lasst 1000 Blumen blühen
Anselm Kiefer hat der Kunst einen Ausweg eröffnet
Und je größer und weltläufiger die Umgebung wurde, desto gewichtiger wurden die Werke, so sehr, dass sie oft aus allen Rahmen herauszufallen drohen, um sich irgendwo niederzulassen, dauerhaft und unverrückbar - wie die Zweige in Gips oder die Bücher aus Blei. Nur liegt dieser Ort weder in Donaueschingen noch am Oberrhein, sondern irgendwo auf dem Globus, und vermutlich ist das Werk, so gewaltig es ist, doch transportabel.
Mit keinem anderen deutschen Künstler, Gerhard Richter ausgenommen, haben sich Kunstbetrieb und Kunstkritik auf der ganzen Welt so beschäftigt wie mit Anselm Kiefer. Das hat durchaus etwas mit der Größe und dem Gewicht dieser Werke zu tun. Der erste Grund dafür ist ein kunsthistorischer: Seit die Kunst vor hundert Jahren abstrakt wurde, scheint der Weg zurück ins Figurative versperrt zu sein. Anselm Kiefer aber wollte ihn gehen.
Am Anfang, 2008
Der Ausweg, den er der Kunst eröffnete, nachdem er im Jahr 1971 zunächst mit seinem ultrabreiten Gemälde "Märkische Heide" international für Aufsehen gesorgt hatte, führt in den Stoff und ins Stoffliche. Stroh, Sonnenblumen, Sand, Blei, Holz, Äste, Erde - Anselm Kiefer hat, eher als dass er malte, seinen Bildern Stoffe einverleibt.
Bis die Leinwände - von Anfang an groß zugeschnitten - Zwitter wurden zwischen Gemälden und Skulpturen, in hohem Maße physische Gebilde, in denen ganze Lebenswelten aufgehoben sein können. Und immer scheint zu viel Stoff da zu sein, als dass man ihn tatsächlich bewältigen könnte.
Märkische Heide 1971
Scheinbar Wertloses zum Leben erweckt
Der zweite Grund ist die Geschichte. Von Joseph Beuys, seinem Lehrer an der Düsseldorfer Kunstakademie, hatte Anselm Kiefer die Begeisterung für die scheinbar würdelosen Materialien übernommen. Was für jenen Fett, Talg und Filz gewesen waren, ist für diesen das Holz, der Lehm und das Blei.
Beide nutzen diese zweifelhaften Stoffe, weil sie Geschichte bergen, oder weil die Geschichte an ihnen in einer viel intensiveren Weise hängen bleibt als an den Materialien der Repräsentation: Es ist das Historische, das in der Materie gelebte Leben, das den Stoffen ihre Energie verleiht.
Bei Anselm Kiefer bleibt alle Geschichte als Verhängnis erhalten
Doch wenn Joseph Beuys eine Straßenbahnhaltestelle aufstellt, um Lebenserinnerungen in "Selbstbestimmung" zu verwandeln, dann will er sich und den Betrachter von der Geschichte erlösen; bei Anselm Kiefer aber gibt es keine Befreiung. Im Jahr 1973 wird er die fast sieben Meter breite, mit Sackleinen verstärkte Leinwand "Deutschlands Geisteshelden" malen. Als lang gestrecktes, düsteres Dach-Gebälk, in das Namen wie Friedrich Hölderlin, Adalbert Stifter, Richard Wagner und Theodor Storm eingeritzt sind, in schlichter Schrift, von flackernden Feuern beleuchtet. Beuys war der einzige Lebende unter ihnen.
Deutschlands Geisteshelden
Bei Anselm Kiefer bleibt alle Geschichte als Verhängnis erhalten, und je tiefer er sich in die Geschichte hineinarbeitet, in den historischen Schrecken und in den Mythos hinein, desto verhängnisvoller - und desto faszinierender - wird sie. Auch für dieses Verhängnis steht das Übermaß an Stoff. Denn der dritte Grund schließlich ist das Motiv der Macht. Anselm Kiefer ist ein Künstler der Bemächtigung, ein Macher, einer, der sich der Dinge und Stoffe bemächtigen will - und der dann erfährt, dass sie sich nicht befehlen lassen: Als junger Künstler reiste er durch Europa und hob - für die Kamera - den Arm zum Hitlergruß.
20 Jahre Einsamkeit
Doch die "Besetzungen" bannten die Geschichte nicht. Die Dinge und die Stoffe blieben, und je größer und schwerer sie werden, desto mächtiger werden sie. An den Objekten von Anselm Kiefer - vor allem den bleiernen Flugzeugen mit ihren hängenden Tragflächen - sieht man beides: den Versuch der Überwältigung und das, was diesem Versuch widersteht.
Und wenn die Dinge ganz groß werden, so in Gestalt des Sternenhimmels , dann hören sie, in ihrer Allgewalt und in ihrer Distanz zum Betrachter, fast auf, Dinge zu sein. Kiefer setzt, ganz klein, die Bezeichnung der Sterne darunter, so wie in der Astronomie, in Gestalt von Ziffern und Buchstaben. Es ist das nicht zu Bewältigende, das sich dann Ausdruck verschafft.
Nur mit Wind
An diesem Sonntag wird Anselm Kiefer, der Deutschland im Jahr 1980 auf der Biennale in Venedig vertreten hat und dreimal zur Documenta eingeladen war, siebzig Jahre alt. Unter all den Auszeichnungen, die er für sein Werk erhielt, fällt der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auf, den er im Jahr 2008entgegennahm, als erster bildender Künstler überhaupt. Es wäre ironisch zu sagen, man erwarte noch Großes von ihm. Aber es trifft ja zu, in jedem Sinne.
aus Tagesspiegel.de, 08.03.2015 10:31 Uhr Mutterkorn
Anselm Kiefer wird 70.
Ackerkrume in Aschgrau
von Christiane Meixner
Grau ist die Farbe von Anselm Kiefer, als Blei liegt sie in seinen Regalen oder als ein vom Himmel geholter Vogel auf dem Boden. Beide Werke, der aus Bleiplatten zusammengeflickte Düsenjet „Mohn und Gedächtnis“ und die gigantische Bibliothek „Volkszählung“, standen eine halbe Ewigkeit in der Eingangshalle des Hamburger Bahnhofs. Ein Entree von unglaublicher Wucht, das jeden beeindruckte. Bis es vorbei war mit der Wirkung, weil man das Duo zu oft gesehen hatte.
Ein Prozess, so zwangsläufig wie das Auf und Ab der Wertschätzung, die Kiefers Werk bis heute erfährt.
Lilith am Roten Meer
Anfang der achtziger Jahren passte es wunderbar zum wieder erwachenden Interesse an einer künstlerischen Subjektivität. Kiefer, der heute 70 Jahre alt wird, präsentierte monumentale Gemälde wie seine „Parsifal“-Serie, in der er zerbrochene Schwerter in Räumen aus dunkler, schwerer Eiche arrangierte. Andere Bilder zeigen Ackerfurchen mit echten Krumen oder auf der Leinwand klebende, verdorrte Sonnenblumen. Kiefer schreibt Namen wie Friedrich Hölderlin und Richard Wagner in seine Malerei und öffnet so Kammern, in denen die Deutschen ihre Erinnerungen aufbewahren. Alte Mythen, unbequeme junge Geschichte, Figuratives: Die Mischung wirkte anziehend, aber eben auch verdächtig.
Essence Ek-sistence
Kiefers Geschichtsbild so gebrochen wie seine Malerei
Drei Jahre lang war er Student von Joseph Beuys an der Kunstakademie in Düsseldorf. Sie diskutierten, Kiefer zeigte seine Arbeit, ließ sich dann allerdings nicht auf die soziale Plastik ein. Sein Blick ging weiter zurück in das 19. Jahrhundert, wo er das Historienbild für sich entdeckte. Ein beschädigtes Genre, weil Geschichte schon damals nicht mehr in Bildern zu erklären war. Kiefer interessierten auch keine siegreichen Schlachten oder Krönungszeremonien. Er wollte wissen, was sich aus dem Format machen ließ, inszenierte sich selbst mit großdeutschem Gruß oder als königlich bayerische Wasserleiche Ludwig II. Das Urteil fiel schnell: falsches Heroentum.
Sternenfall
Dabei ist Kiefers Geschichtsbild so gebrochen wie seine Malerei. 1945 kam er in Donaueschingen im Schutzkeller eines Krankenhauses auf die Welt. Die Eltern steckten ihm Wachs in die Ohren, um das Geheul der Sirenen zu dämpfen. Seine Kindheit zwischen Trümmern hat der Künstler als Transit empfunden – als Weg zu etwas Neuem, für das man das Gewesene nicht zuschütten darf. Asche ist für ihn ein „wunderbares Medium“, das Anfang und Ende symbolisiert, die jüdische Kabbala ebenso ein Thema wie die Bibel. Im Ausland wurde er dafür als Künstler gefeiert, der sich endlich mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt. Berührend und gleichzeitig intellektuell. Schon 1978 würdigte ihn das Van Abbemuseum in Eindhoven mit einer großen Einzelausstellung, 1980 nahm er an der Biennale in Venedig teil. Es folgten Los Angeles, New York, Chicago. 1990 erhielt Kiefer den Kaiserring Goslar, im Jahr danach hatte er eine Soloschau in der Berliner Nationalgalerie. Dreimal war sein Werk auf der Documenta zu sehen, aber auch die Diskussionen hielt an. Als ihm der französische Kulturminister 1992 den Umzug und gleich ein paar Grundstücke zur Auswahl anbot, zog Kiefer in eine ehemalige Seidenfabrik in Südfrankreich nahe Nimes. Und während sich ein Sammler das Gemälde „Säulen“ den Rekordpreis von 638 000 US-Dollar kosten ließ, grub sich der Maler immer tiefer ein, baute an seinem gigantischen Atelier – unter der Erde.
Steigend sinke
Nota. - Dass er ein Schüler von Beuys ist, sieht man seinen Sachen nicht so an, ein Glück. Er hat der Malerei nicht nur einen Rückweg ins Figurative gezeigt, er hat der Kunst einen viel breiteren Ausweg eröffnet. Er hat einen Hinweis gegeben, wie es mit dem Bilden weitergehen kann, nachdem das Tafelbild beinahe erschöpft ist. Das hat er mit Gerhard Richter gemein, doch bei dem hat man oft den Eindruck, er macht das, was er macht, mehr aus Verlegenheit - weil ihm was Überzeugendes noch immer nicht eingefallen ist. Anselm Kiefer scheint sich seiner Kunst dagegen sicher; ob er auch so ein Alleskönner ist wie Richter, kann man aber nicht wissen; er macht ja nicht alles.
JE
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