Griechische Kostbarkeiten im Norden
von Geneviève Lüscher
In Frankreich kamen bei Bauarbeiten die Überreste eines keltischen Fürstengrabes zum Vorschein. Dem Toten waren reiche Beigaben aus dem Mittelmeerraum mit ins Jenseits gegeben worden – ein Jahrhundertfund.
Die Bilder sind überwältigend: eine griechische Kanne mit Goldauflagen, ein mächtiger Bronzekessel, dessen Henkel mit Tier- und Menschenfratzen verziert sind, eine gigantische Ausgrabungsfläche. Die Fotografien stammen aus Lavau, einem Vorort von Troyes im französischen Departement Aube, rund 150 Kilometer südöstlich von Paris. Dort wurde der Grabhügel eines keltischen Fürsten entdeckt. Eine Überraschung für die Ausgräber – und aufgrund der einzigartigen Objekte ein Jahrhundertfund, wie sich mittlerweile gezeigt hat.
Unter Geheimhaltung
Seit dem letztem Herbst graben die Archäologen und Archäologinnen des Institut national de recherches archéologiques préventives (Inrap) auf der Baustelle eines künftigen Einkaufszentrums am Rande von Troyes. Das Inrap untersucht vor geplanten Bauvorhaben den Boden auf archäologische Funde hin – eine Aufgabe, die in der Schweiz von den Kantonen wahrgenommen wird. Das Institut hatte die sensationellen Entdeckungen so lange wie möglich unter dem Deckel gehalten und erst kürzlich publik gemacht. Dies, weil die riesige Grabungsfläche seither permanent bewacht werden muss, denn das eigentliche Fürstengrab im Zentrum ist noch gar nicht freigelegt. Weitere Überraschungen sind daher zu erwarten.
Was aber lässt sich jetzt schon verbindlich sagen? Dominique Garcia, Dozent an der Universität Aix-Marseille und Präsident des Inrap, bestätigt die Datierung des Grabes in die frühkeltische Epoche, ans Ende der sogenannten Hallstattzeit, die von 800 bis 450 vor Christus dauerte: Das Grab stammt aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Und damit aus ungefähr der gleichen Zeit wie die Gräber des Fürsten von Hochdorf in Baden-Württemberg (entdeckt 1977) und der Fürstin von Vix im Burgund (entdeckt 1953). Damit ist einmal mehr das Kerngebiet der keltischen Kultur umrissen, die damals Mitteleuropa bis zu den Alpen umfasste.
Ein enormer Bronzekessel
Das neu entdeckte Prunkgrab steht den beiden obenerwähnten Gräbern in nichts nach. Die bis jetzt geborgenen Funde – Ton- und Bronzegefässe sowie ein zweirädriger Streitwagen – zeugen nicht nur vom immensen Reichtum des Bestatteten, sondern vor allem von dessen Verbindungen zum Mittelmeerraum. Aus dieser Region nämlich stammen die Prestigeobjekte, die dem Toten auf die Reise ins Jenseits mitgegeben wurden.
Das bis anhin grösste Fundstück ist ein enormer Bronzekessel von rund einem Meter Durchmesser, dessen vier Henkel jeweils mit einem fein gearbeiteten Kopf des Acheloos verziert sind. Acheloos, ein griechischer Flussgott – mit seinen Hörnern, Stierohren, seinem Bart und dem Schnauz – ist dank seiner Expressivität ein in der griechischen wie der etruskischen Kunst beliebtes Motiv. In der keltischen Kunst hingegen kämen so realistisch dargestellte Wesen nicht vor, sagt Felix Müller, der Berner Spezialist für keltische Kunst und ehemalige Vizedirektor des Bernischen Historischen Museums. Den Rand des Kessels zieren hübsche, kleine Löwinnenköpfe. Man vermutet denn auch, dass der Kessel etruskischer oder griechischer Provenienz ist, wie die für die Fundobjekte in Lavau verantwortliche Archäologin Emilie Millet sagt. Genaueres wird erst die wissenschaftliche Untersuchung bringen. Das Gleiche gilt auch für alle anderen Gegenstände, die sich im Kessel und darum herum befanden.
Einzigartig ist die kleine Tonkanne aus Griechenland, die im Bronzekessel lag und vermutlich zum Ausschenken dessen Inhalts – Wein oder Met – diente. Diese sogenannte Oinochoe ist vollständig erhalten und zeigt auf dem Bauch eine Bankettszene mit Dionysos, dem griechischen Gott des Weins, der unter einer Weinrebe lagert, und einer Frau, die mit ihm zu zechen scheint. Wie Garcia erklärt, ist dieses Trinkgeschirr für die keltische Elite typisch, die gerne die Sitten und Gebräuche ihrer südlichen Hochkulturen nachgeahmt habe. Dazu gehörte auch das sogenannte Symposion, ein ritualisiertes Trinkgelage, das nicht selten in einem Besäufnis endete.
Aufgepepptes Trinkgeschirr
Die Kelten liessen sich das dazu nötige Geschirr – und auch den Wein – über Marseille aus Etrurien oder Griechenland kommen. Weil es ihnen aber zu wenig luxuriös schien, peppten sie es gerne mit Gold auf. So auch bei der Oinochoe von Lavau, die an der Ausguss-Öffnung und am Fuss Applikationen aus Goldfolie aufweist. Aus vergoldetem Silber ist das zugehörige Löffelsieb, das dazu diente, die dem Wein oder Met zugesetzten Kräuter abzuseihen. Laut Garcia könnte es sich bei diesen Prestigeobjekten auch um diplomatische Geschenke gehandelt haben, welche die südlichen Händler den keltischen Potentaten machten, um dafür im Norden ungehindert Handel treiben zu können. Sie könnten auf der Suche nach Gold, Zinn, Bernstein und Sklaven gewesen sein.
Der Tote, dessen Skelett noch nicht vollständig ausgegraben ist, dürfte wohl ein Mann sein; hierauf deutet ein mit ihm gefundener Dolch hin. Ob eine in seiner Nähe bestattete Frau mit ihm verwandt ist, müssen die zukünftigen anthropologischen Untersuchungen und DNA-Analysen zeigen. Auch über die Anordnung des Toten in der Kammer, das eventuell vorhandene Mobiliar oder über Textilien, wie sie zum Beispiel in Hochdorf gefunden wurden, ist noch nichts bekannt.
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