aus nzz.ch, 9.4.2015, 05:30 Uhr Giovanni Lanfranco, Jeune homme nu sur un lit avec un chat, 1620-1622
Düsterer Barock in Paris
Wenn der Faun die Augen aufschlägt
von Samuel Herzog
Rom glich im 17. Jahrhundert wohl einem riesigen Theater, durch das man, besoffen von ständigem Himmelfahrts-Jubel, schweben konnte. Eine Ausstellung in Paris arbeitet nun etwas andere Aspekte der barocken Kapitale heraus.
Man ahnt sofort, worum es geht. Wer die gegenwärtige Sonderausstellung im Pariser Petit Palais betritt, findet sich auf Augenhöhe mit dem Schoss des Barberinischen Fauns wieder. Und an diesem Mann schläft ja allenfalls das Gesicht. Der Körper präsentiert sich mit angespannten Muskeln in einer perfekten Pose, die nicht nur den Blick provoziert, sondern mit jeder Faser flüstert: «Berühre mich!» Und im Zentrum dieses Leibs, der sich dem Begehren wie ein Trichter öffnet, lauern die Geschlechtsteile, Inkarnationen der Latenz.* Wir verspüren Lust, das schöne Wesen anzufassen. Würde ihn das wohl wecken? Oder würde es bedeuten, dass wir in den schwülen Dunst seiner Träume versinken?
Bouchardon, Schlafender Satyr
Das Unwillkürliche
Natürlich ist es nicht das Original aus der Münchner Glyptothek, das in Paris zu sehen ist, sondern eine Kopie der Nachbildung von Edmé Bouchardon aus dem 18. Jahrhundert. Als Auftakt für eine Schau, die sich den Niederungen des Barockzeitalters in Rom widmet, ist die Plastik dennoch kaum zu überbieten. Auf den ersten Blick schon sind wir angeheizt und spüren, dass hier das Unwillkürliche im Vordergrund steht: «Der Atem des Bacchus», «Zauberei», «Sünde, Vergnügen und Leidenschaft», «Unordnung und Gewalt» oder «Das schmutzige Rom» lauten denn auch einige der Untertitel dieser Schau.
Anomym, Homme faisant le geste de la fica, 1615-1625
Die hellenistische Fauns-Figur wurde im frühen 17. Jahrhundert in der Engelsburg ausgebuddelt, was ihre Präsenz in diesem Kontext legitimiert. Das antike Erbe war ja durchaus Teil des unglaublichen Spektakels, mit dem das barocke Rom seinen Gott, vor allem aber wohl sich selbst verherrlichte. Wie sich die Stadt damals präsentierte, bringt die Ausstellung im ersten und grössten Raum mit massiv aufgeblasenen Kupferstichen von Giovanni Battista Falda zur Darstellung, welche die Wände lückenlos überziehen. Von da aus betritt man eine Reihe von dunklen Stuben mit groben Wänden, auf denen die weinseligen, erotischen oder magischen Malereien wie Lichter funkeln – zweifellos sollen wir uns hier wie in einer Gasse oder einer Taverne aus jener Zeit fühlen. Kaum haben wir das begriffen, schlägt die Schau ins Gegenteil um. Nun werden die Bilder von Bettlern und Säufern zwischen kostbaren Spiegeln und Goldverzierungen präsentiert. Was uns daran erinnert, dass die Maler ja keine Sozialstudien anfertigen wollten, wenn sie die Misere der Strasse zum Motiv erhoben – das gemalte Elend diente der Unterhaltung der Fürsten und zierte die Wände von Palästen.
Theodoor Rombouts - Rauferei beim Spiel, ca.1620-30
Die Inszenierung von «Les Bas-fonds du Baroque» ist alles andere als zurückhaltend: Hier werden die Bilder nicht nüchtern präsentiert, sondern mit dramatischer Geste vorgeführt. Ein Wunder ist das nicht, hat Kurator Christophe Leribault die Ausstellung doch in Zusammenarbeit mit dem Theater-Szenografen Pier Luigi Pizzi realisiert. Die grosse Kulisse soll vielleicht auch ein bisschen Ausgleich dafür schaffen, dass es kaum Hauptwerke der Barock-Malerei zu sehen gibt – und zum Beispiel kein einziges Bild von Caravaggio, an dem man in diesem Zusammenhang eigentlich wirklich nicht vorbeikommt. Caravaggios Selbstporträt als kranker Bacchus mit seinem im Leiden ganz nach innen gekehrten Blick und seiner bronzegelb verfärbten Haut stellt zwar die Nummer 1 im Katalog dar, fehlt in der Ausstellung jedoch.
Caravaggio, Bacchino malato
Grossartige Bilder gibt es trotzdem zu sehen – und wer weiss, vielleicht bekommen manche in diesem Kontext erstmals die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Bartolomeo Manfredi zum Beispiel malt um 1621 die Begegnung zwischen einem Säufer und Bacchus. Wie zwei Tänzer stehen sie nah beieinander. Der Gott hält eine Weintraube hoch, aus der Saft in einen Glasbecher träufelt, den sich der Trinker gierig an die Lippen führt. Beider Blick ist auf diese Traube gerichtet, die ja das Wunder der Trunkenheit bewirkt, hier aber gleichsam auch als eine Art Schnittstelle fungiert zwischen dem durstigen Diesseits des Säufers und der transzendenten Sphäre des Gottes. Und ist es nicht genau das, was wir trinkend erleben, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion durchlässig werden?
Bartolomeo Manfredi, Bacchus et un buveur, 1621
Ein eigener Raum ist den «Bentvueghels» gewidmet. Im frühen 17. Jahrhundert strömten deutsche, holländische, flämische und französische Maler zuhauf nach Rom, um hier die Meisterwerke der Antike und der Renaissance zu studieren. Einige schlossen sich zu eine Art Bruderschaft zusammen, deren Initiationsrituale dionysischen Orgien glichen. Dazu gehörten auch Tableaux vivants, wie sie etwa auf einem Stich nach Domenicus van Wijnen dargestellt sind. Rund um eine Bacchus-Figur, die rittlings auf einem Weinfass hockt, wird da gesoffen, geraucht, gelacht und gelärmt. Zu Füssen des Gottes sehen wir den Neuling, der sich tief verbeugt und auf seinem Rücken ein Tablett mit Krug und Becher balanciert. Er hat auch die Hose herunterlassen müssen, und aus dem Spalt seines blanken Hinterteils ragt eine brennende Lunte – sie lässt ahnen, was die nächste Lachsalve provozieren wird.
Domenicus van Wijnen, Aufnahme eine neuen Mitglieds der Bentvueghels, um 1700
Das Ungeheure
Ein paar Schritte weiter blickt uns ein Mann mit verschmitztem Grinsen an. Er hält sich die rechte Faust so vors Gesicht, als wollte er damit auf uns zielen. Seinen Daumen hat er zwischen Zeigefinger und Mittelfinger gesteckt – «Fica» heisst das schöne Zeichen, das gleichsam das weibliche Geschlecht darstellt und auch dessen Penetration mimt. Man könnte es als einen barocken Vorläufer des ausgestreckten Mittelfingers ansehen, mit dem man sich heute auf der Strasse unbeliebt machen kann. Es findet sich nicht nur auf dieser Malerei eines anonymen Caravaggisten, sondern auch auf einem Bild von Simon Vouet, wo eine Wahrsagerin damit für den Betrachter diskret und doch unmissverständlich den sexuellen Gehalt ihrer Prophezeiungen kenntlich macht.
Simon Vouet, Die Wahrsagerin, 1617
Valentin de Boulogne, Le concert au bas-relief, 1620-1625,
Es gibt viel zu entdecken in dieser Ausstellung, die mit knapp 70 Bildern angenehm übersichtlich bleibt. Die Schau schliesst mit ungewöhnlichen Tavernen-Szenen. Auf einem Bild von Valentin de Boulogne etwa haben sich verschiedene Musiker um ein antikes Relief versammelt, das ihnen als Tisch dient. Sie spielen Geige, zupfen die Laute, singen, trinken oder schenken sich Wein ein. Dem gemeinsamen Musizieren zum Trotz wirken sie alle, als seien sie gänzlich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Lustig ist hier keiner, am allerwenigsten der kleine Knabe im Zentrum der Komposition, der seinen Kopf auf die Hand gestützt hat – nicht erst seit Dürer die klassische Geste der Melancholie. Nicht der Rausch ist hier das Thema, sondern jenes Gefühl von Leere und latenter Traurigkeit, das einen après la fête befallen kann.
Claude Lorrain, Blick auf Rom mit einer Prostitutionsszene im Vordergrund, 1632
Auf dem Rückweg kommen wir nochmals an dem Faun vorbei. Immer noch liegt er schlafend da – und wieder spüren wir diese Lust, ihn zu berühren. Der Stein wird sich nicht aufwecken lassen. Aber vielleicht stehen wir ja auch gar nicht vor dem Bildnis eines besonders verführerischen Waldgeistes, sondern vor dem Bild des Fauns in uns – und der kann sehr wohl die Augen aufschlagen. Auch das passt für unsere Begriffe gut zum Barock: Technisch konnten die Künstler jener Zeit erstmals alles malen, was es auf der Welt zu sehen gab – Grund genug, sich auch für das zu interessieren, was unter ihren Oberflächen steckt.
Les Bas-fonds du Baroque, Le Rome du vice et de la misère. Petit Palais, Paris. Bis 24. Mai 2015. Katalog € 90.–.
*) Es ist überheblich, wenn ein Journalist auf den Rat der Wörterbücher verzichtet. Latent heißt verborgen. Das ist es hier wohl eben nicht. JE
Roeland van Laer Les Bentvueghels dans une auberge romaine, 1626-1628,
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