Samstag, 4. April 2015

Künstler und Propheten in der Frankfurter Schirn.


aus Badische Zeitung, 3. 4. 2015                                                                                    in der Austellung: Fidus.

Die Weltverbesserer
"Künstler und Propheten" in der Frankfurter Schirn Kunsthalle.

von Volker Bauermeister

Ein schmaler Gang, oben läuft ein Schattenfries. Triumphzug der Kinder in Scherenschnittmanier; ein priesterlicher Kuttenträger bringt ein neues Menschlein ein. Und am Himmel zeigt sich – Zeichen der Verheißung! – ein Paradiesvogel. Karl Wilhelm Diefenbachs 1892 allererst in Wien präsentierter Sinnbildstreifen "Per aspera ad astra" führt in die Ausstellung "Künstler und Propheten".


Diefenbach, Per aspera ad astra, 1892

In dieser "geheimen Geschichte der Moderne" in der Frankfurter Schirn ist der längst vergessene Sektierer eine Hauptfigur: der "Kohlrabi-Apostel", Barfußgänger und selbsterklärte Weltverbesserer auf der Basis von Vegetarismus und Menschenliebe. Von pittoresken Propheten wie Diefenbach, von Jesus-Mimen und "Naturmenschen" in den Jahrzehnten um 1900 schlägt die Ausstellung den Bogen zur Avantgarde, die aus derlei gutmenschlichem Gedankengut verblüffende ästhetische Schlüsse zog.


Fidus, Diefenbach

Das Unbehagen in der Kultur und die Sehnsucht nach dem Neuen verband die heiligmäßigen Aussteiger mit Künstlern der Moderne. Die Frankfurter "geheime Geschichte" legt das ideologische Wurzelwerk frei – und reicht noch selbst bis in die 1970er Jahre. Von Joseph Beuys ist zu hören, dass er Diefenbach schätzte und in Neapel seinen Galeristen Amelio bat, ihm "Per aspera ad astra" als Leporello zu besorgen. Das legendäre Foto des voranstürmenden Beuys mit der Aufschrift "La rivoluzione siamo Noi" (Die Revolution sind wir) nimmt den Gestus des Wanderpredigers auf und ist auf Capri entstanden, wo Diefenbach ein halbes Jahrhundert zuvor sein Wanderleben beendet hatte. Mit seiner "sozialen Plastik" rekurriert dieser Weltverbesserer-Performer Beuys auf die Arbeit der Heilsaktivisten von anno dazumal, die seinen "erweiterten Kunstbegriff" vorprägten.


Die Kommune des Himmelhofs, 1898,  

Die Künder vom Neuen Menschen

Gusto Gräser war so einer. Bevor er die Malerei dem Kunstwerk seines einfachen Lebens opferte, brachte er die Botschaft auf die Leinwand. In "Der Liebe Macht" lässt er vom Paradies aus, im weltanschaulichen Rückspiegel, noch einmal das Inferno einer Industriestadt sehen. In Ascona war Gräser pünktlich zu Beginn des neuen Jahrhunderts Mitbegründer des "Berges der Wahrheit" (Monte Verità). Hermann Hesse suchte ihn da in seiner Tessiner Wohnhöhle auf und ließ sich inspirieren. Ein Foto zeigt den zu paradiesischer Nacktheit bekehrten Körper des Literaten in Licht und Luft am Walensee.


Fidus, Verlorener Sohn

Da im nordschweizerischen Amden hatte der Bildkünstler Hugo Höppener, dem Meister Diefenbach den Künstlernamen Fidus schenkte, von der Verwirklichung seiner Tempelkunstvisionen geträumt. Die Weltanschauungsgymnastik von Fidus’ anämischen Aktfiguren ("Tempeltanz der Seele") drängte sich den gedachten Altären der Genesungskulte auf, deren Bedeutung für die Kunst der Moderne Kuratorin Pamela Kort in der Schirn konstatiert. Die Nähe von Höppener/Fidus’ Tempelentwürfen zu Rudolf Steiners erstem Dornacher Goetheanum ist so offensichtlich wie die zu Walter Gropius’ Bauhausmanifest von 1919, das "den neuen Bau der Zukunft" als "kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens" beschwor. Die Religion der Zukunft hatte schon der Blaue Reiter Franz Marc als Malziel ausgerufen. Der Geist der Weltbeglückung kennt keine stilistischen Gräben. Für den jungen Expressionisten Egon Schiele war ein aktiver Fidus-Verehrer und einstiger Diefenbach-Kommunarde Anreger und Intimus. Schiele imaginierte den Freund Arthur Roessler mit Aura und probte im Selbstporträt die Rolle des Künstlerpropheten. Ungleich glaubhafter sind seine sexuell aufgeladenen Akte als die Astralkörper der theosophischen Geisterseher – und doch auch von der selben Sehnsucht nach den Sternen und dem "ewig Einen" gelenkt.
Fidus, Der Tempel der Erde, 1901

Die emblematischen Formflüsse Schieles machte sein später Bewunderer Friedrich Stowasser für seine Bildproduktion fruchtbar. Stowasser, der sich zu Hundertwasser stilisierte und zum Wunderheiler der von der urbanen Zivilisation geschlagenen Wunden, ihm galten – nicht anders als Diefenbach, Fidus oder Schiele – die Kinder als Hoffnungszeichen umfassender Neuerung. "Lasst die Kinder sprechen", predigte er und kleidete seinen Prophetenernst in Buntheit.


Egon Schiele, Jüngling in violetter Kutte mit verschränkten Händen, 1914

Damit endet die Frankfurter Parade der Künder vom Weltnotstand und vom Neuen Menschen. Selbstdarstellung und Selbstvermarktung gehörte für viele zum hehren Auftrag. Die Rollenanmaßung konnte auch satirische Züge annehmen, wie beim "Oberdada" und "Präsidenten des Erdballs" Johannes Baader, der die Weltenwende in Gestalt der Vereinigung von Himmel und Erde verkündete.
Johannes Baader, Reklame für mich, 1919-20

Andere mehr oder minder charismatische Phantasten der irdischen Rundumerneuerung dachten bei "Vereinigung" eher an den intimen Zugang zu der ihnen zu Füßen liegenden Damenwelt. Ludwig Christian Haeussers Art und Weise, "Frauen anzublicken", war Walter Gropius nicht ohne Grund suspekt. Dies allerdings erst, nachdem er dem Schwadroneur und "wahren Führer der Menschheit" einen Auftritt im Bauhaus verschafft hatte, bei dem die Kandinskys und Klees alle da und – wie man hört – ganz Ohr gewesen sein sollen.

Schirn Kunsthalle, Frankfurt. Bis 14. Juni, Di bis So 10–19, Mi, Do 10–22 Uhr.



aus Schirn                                                                                          Heinrich Vogeler, Die Geburt des neuen Menschen, 1923

KÜNSTLER UND PROPHETEN. EINE GEHEIME GESCHICHTE DER MODERNE 1872-1972 6. MÄRZ – 14. JUNI 2015

Egon Schiele verstand sich als einen visionären und prophetischen Künstler, František Kupka schuf einen von spiritistischen Leitlinien durchdrungenen abstrakten Malstil, Joseph Beuys rief mit seiner Theorie der „Sozialen Plastik“ die Menschen dazu auf, durch kreatives Handeln zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen, und Friedensreich Hundertwasser war ein Umweltaktivist, dessen Spiralen-Bilder im Wesentlichen einem ganzheitlichen Denken entsprangen.

Friedensreich Hundertwasser, Das Blut, das im Kreis fließt und ich habe ein Fahrrad, 1953, 

Diese wegweisenden künstlerischen Haltungen und Entwicklungen wären ohne den Kontakt zu verschiedenen „Propheten“ nicht entstanden. Einige waren Künstler-Naturisten, andere neuzeitliche Christusgestalten und wieder andere betrachteten sich als Sozialrevolutionäre. Ihre Bedeutung für die Kunst der Moderne ist in weiten Teilen eine unerzählte Geschichte geblieben. Ihre Namen – Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Gustav Nagel sowie Friedrich Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser – sind heute fast in Vergessenheit geraten. Zu ihren Lebzeiten waren sie jedoch bei einem breiten Publikum und in Avantgarde-Kreisen weithin bekannt. Auch Künstler und Intellektuelle bewunderten sie, wenn auch oft unter vorgehaltener Hand. 
Haeusser N° 124, 1922

Die SCHIRN widmet diesem Thema eine groß angelegte Ausstellung mit rund 400 Werken mehrerer Künstler wie Egon Schiele, František Kupka, Johannes Baader, Heinrich Vogeler, Joseph Beuys, Jörg Immendorff oder Friedensreich Hundertwasser sowie vielfältigen Dokumentationsmaterialien. Die Ausstellung deckt nicht nur Kausalitäten auf, sie zieht auch unerwartete Verbindungslinien und bettet die Propheten und die künstlerische Avantgarde in einen weitreichenden sozial-historischen Kontext ein.

Kuratorin: Dr. Pamela Kort



aus Journal Frankfurt                                                                      František Kupka ,  Printemps cosmique I, 1913/14

"KÜNSTLER UND PROPHETEN" IN DER SCHIRN 
Eine geheime Geschichte der Moderne

Mit ihrer neuen Ausstellung "Künstler und Propheten" schlägt die Schirn Kunsthalle neue Wege in der Kunstgeschichte ein und leistet damit eine äußerst faszinierende wissenschaftliche Pionierarbeit.
Es ist eine geheime, fast unbekannte Geschichte der Moderne, die derzeit in der Schirn Kunsthalle erzählt wird. Eine Geschichte von selbst ernannten Propheten, die barfüßig und mit einer Gefolgschaft von Jüngern durch die Lande zogen, um die Gesellschaft zu verändern und den Menschen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Neuzeitliche Christusgestalten, die heute überwiegend in Vergessenheit geraten sind, zu Lebzeiten jedoch Legenden waren - und die Kunstwerke schufen, die herausragende Meisterwerke des 20. Jahrhunderts darstellen.

Karl Wilhelm Diefenbach, Der Prophet, um 1892

Es ist das erste Mal, dass diese speziellen und faszinierenden Figuren, zu denen als Hauptvertreter Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Gustav Nagel, Friedrick Muck-Lamberty und Ludwig Christian Haeusser gehören, nicht nur in einer Ausstellung, sondern überhaupt in der Kunstgeschichte derart ausführlich betrachtet werden. Mehrere Jahre forschte die amerikanische Kunsthistorikern Pamela Kort zu diesem speziellen Thema und machte dabei Facetten der Kunst der Moderne sichtbar, die ebenso verblüffend wie überwältigend sind. Dementsprechend ist auch der über 500 Seiten starke Katalog, den die Kuratorin komplett alleine schrieb, eine "wissenschaftliche Pionierarbeit", wie es Max Hollein, Direktor der Schirn Kunsthalle, nennt.

Egon Schiele, Selbstbildnis mit Modell (Fragment), 1913

In 400 Werken, die teilweise seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen waren, wird das ganze künstlerische Können der Propheten sichtbar. Eingeleitet wird die Ausstellung mit einem Fries von Karl Wilhelm Diefenbach, bekannt als der "Vegetarier-Apostel" und wohl der erste Künstlerprophet in Deutschland. 22 von den insgesamt 34 Tafeln des Fries "Per aspera ad astra" sind in der Schirn zu sehen, man muss den Blick heben um das gewaltige Werk, das in seiner Gesamtlänge 68 Meter misst, zu betrachten, denn es hängt ganz oben, am äußersten Rand des verwinkelten Ganges, der in die Schau führt. Nicht nur diese Seherfahrung ist ungewohnt, die gesamte Ausstellungsarchitektur kommt einem eleusinischen Labyrinth voller Mysterien gleich, hinter jeder Ecke verbirgt sich etwas Neues, Unerwartetes.


darf nicht fehlen: Fidus, Lichtgebet, eine vor 1000 Versionen

Diefenbach, Gräser und Nagel lebten als Wanderapostel und Verfechter der freien Liebe am Rande der Gesellschaft, ihr Einfluss auf die Kunst ihrer Zeit und auch auf die nachfolgender Kunstschaffender ist jedoch überdeutlich. So wurde beispielsweise František Kupka durch seinen Kontakt zu Diefenbach und dessen Jüngern zu seinen bahnbrechenden Abstraktionen inspiriert und Egon Schiele wählte aufgrund der Lehren, die er in der Wiener Szene kennenlernte, das Motiv des gemarterten Propheten als eines seiner wichtigsten Themen. Nach 1945 entdeckten Friedensreich Hundertwasser und Joseph Beuys die radikalen Ansichten für sich und übernahmen einige der Ideen.


Fidus

Man muss diese außergewöhnliche Ausstellung selbst gesehen haben, um das volle Ausmaß dieser geheimen Geschichte der Moderne erfassen zu können. Nicht nur findet man dort eine Fülle an meisterhaften Kunstwerken, man erhält einen Einblick in ein Kapitel der europäischen, insbesondere der deutschen Kunstgeschichte, das durch den Fortschritt der Aufklärungs-Bewegung und die Schrecken des Nationalsozialismus nahezu unbekannt ist, das jedoch unbedingt Aufmerksamkeit verdient hat.

"Künstler und Propheten. Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972", Schirn Kunsthalle, 6. März bis 14. Juni, weitere Informationen gibt es hier.

Fidus

Nota. - Ja, Kunst kommt von können, und man stellt überrascht fest, dass Fidus & Co. mehr gekonnt haben, als man ihnen in der Erinnerung zugestehen wollte. Aber Können ohne Geschmack, lieber Max Liebermann, bringt nur Kitsch hervor. Und wie sollte einer, der von sich selbst eine so disproportionierte Meinung hat, Geschmack entwickeln? Das ästhetische Urteil hat es mit Qualitäten zu tun, allerdings, und die muss man anschauen und nicht analysieren. Der Witz ist aber: Bei ästhetischen Qualitäten handelt es sich selber um Proportionen. Nicht die Farben selbst, sondern wie sie zueinander stehen, nicht Flächen und Linien selbst, sondern ihr Rhythmus. Wer vor sich selber auf den Knien liegt, kennt kein Maß. Ob schön oder Schrott kann ein Beuys nicht beurteilen.
JE

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