Sonntag, 19. April 2015

Romantische Gauermänner.

aus Der Standard, Wien, 18./19.4.2015

Friedrich Gauermann
Drama in der Alpenidylle
Im Dorotheum gelangen kommende Woche vier "Gauermänner" zur Auktion, die sowohl das motivische Repertoire als auch die Arbeitsweise des Künstlers dokumentieren

von Olga Kronsteiner

Geschätzter Meister, ich hätte gerne eine Landschaft mit angedeuteter Bergkulisse, so ein Bildwerk, wie ich es unlängst beim Grafen Clary bewundern durfte. Eine Variante mit zwei oder drei Kühen, auch ein paar lümmelnden Ziegen. Vielleicht gedenken Sie das Ganze an einem Ufer zu arrangieren, nun, das überlasse ich Ihnen. Kalkulieren Sie und lassen Sie mich wissen, wann das Idyll abholbereit wäre.
Friedrich Gauermann, Schiffspferde bei einem Wirtshaus an der Donau. Aquarell

Der fiktive Monolog eines Klienten, wie er ehedem im Atelier von Friedrich Gauermann durchaus stattgefunden haben könnte. Damals, als der Kunsthandel noch in den Kinderschuhen steckte, die Künstler nicht über Galeristen, sondern über Ausstellungen an der Akademie oder über Empfehlungen ihren Kundenkreis generierten.
Friedrich Gauermann, Kornwagen im Gewitter; Ölstudie

Patchwork-Methode

Und darin haben wohl bis heute überlieferte Mythen ihren Ursprung - solche, die Gauermann etwa eine Fließbandproduktion attestieren, die jedoch keiner Überprüfung standhalten, wie ein Blick in das Werkverzeichnis belegt: Ölstudien nicht einkalkuliert, beläuft sich der Umfang auf rund 380 Gemälde, die von 1821 bis zu seinem Tod 1862 entstanden. Rein rechnerisch produzierte er also zwischen acht und neun Bilder jährlich - Ferdinand Georg Waldmüllers Jahresdurchschnitt lag im Vergleich bei 21 Bildern.
Friedrich Gauermann Alpenwirtschaft am Untersberg 1835
Neben kunstsinnigen Bürgern zählte Gauermann von Anbeginn vor allem Vertreter der Aristokratie zu seinen Klienten. Darunter die Grafen Czernin, eingangs erwähnten Clary, Rothschild-Barone, die Fürsten Metternich, Liechtenstein und Esterházy sowie Kaiser Franz I., Kaiser Franz Joseph oder die Erzherzöge Ludwig und Franz Karl. Bis auf wenige Ausnahmen erwarben die meisten nur ein oder zwei Werke aus dem charakteristischen Standardrepertoire: Alpengenres, Wildtier- bzw. Tierkampf- und Jagdszenen.
Friedrich Gauermann Adler und sterbender Hirsch 1836
Die Kulissen und Darsteller fand der Künstler bei Reisen durch Österreich, hielt diese in seinem wachsenden Vorrat an Skizzen oder Ölstudien fest und setzte diese Elemente ähnlich einer Patchwork-Methode für die endgültige Komposition zusammen. Im Dorotheum gelangen im Zuge der nun anberaumten Auktionswoche in der Sektion Gemälde des 19. Jahrhunderts (23. 4.) vier "Gauermänner" zur Versteigerung: eine Ölstudie ("Herabstürzendes Wasser", 25.000-30.000 Euro), einst in der Sammlung Rudolf Leopolds, sowie drei im Werkverzeichnis erfasste Gemälde. Zu Letzteren gehört die klassische Darstellung eines erlegten Hirschs (80.000-150.000 Euro), die Baron Rothschild 1840 im Wiener Kunstverein für 900 Gulden erwarb. Laut Verbraucherpreisindex entspricht das einem Gegenwert von rund 17.800 Euro. Das Bild wechselte über die Jahre mehrfach den Besitzer, dreimal über Auktionen in den Jahren 1882, 1929 und zuletzt 1984 im Dorotheum.
Friedrich Gauermann Der Altauseer See mit dem Dachstein
Dem stehen Werke gegenüber, die seit der Entstehung nie öffentlich zu sehen waren und nun mit dem Prädikat marktfrisch um die Gunst des Käuferpublikums buhlen, wie das 1834 entstandene Gemälde Der Überfall, s. o.. Einst erwarb es ein in Paris angesiedelter Rothschild-Spross für 300 Gulden (rd. 5800 Euro), später gelangte es in habsburgischen Privatbesitz und soll nun zwischen 50.000 und 70.000 Euro einspielen. Motivisch blieben Raubzüge von gerissenen und schießwütigen Banditen innerhalb des OEuvres mit nur drei weiteren zwischen 1827 und 1847 in Öl verewigten Kompositionen eine Ausnahme, und handelt es sich bei diesem idyllischen Alpendelikt damit um ein nachweislich rares Sujet.  
Der Überfall, 1847

Nota. - Den Namen Gauermann habe ich erst durch meinen gestrigen Eintrag kennengelernt; aber das war ein anderer. Aber immerhin hat mich die Verwechslung auf den heutigen Friedrich aufmerksam gemacht. Der hat seine ersten Bilder schon gemalt, als C. D. Friedrich seine letzten noch nicht fertig hatte. Das ist nicht bloß ein stilistischer, ein ästhetischer Unterschied - das ist ein andere Welt. Doch die Welt der Düsseldorfer Schule ist es auch nicht.

In den fünfziger Jahren habe seine raue, wilde Malerei, dem Zeitgeschmack folgend, einen süßlich kitschigen Zug bekommen, lese ich. Dass sich auch sein eigener Geschmack geändert hat, ist damit nicht gesagt. Aber wer nicht nur zum Vergnügen malt, sondern weil er davon (und dafür) lebt, der muss Konzessionen machen.

À propos. Gefällt Ihnen unter den obigen Bilder auch die Ölskizze am besten? Vielleicht hat sie dem Maler auch besser gefallen als die fertigen Stücke. Aber unfertige Sachen konnte er seinen Auftraggebern nicht anbieten. 

Nehmen wir versuchsweise mal an, ihre unfertigen Stücke hätten allen Malern (bis zu den Impressionisten) eigentlich besser gefallen, als das 'abgeschlossene Werk'. Für die ästhetische Würdigung der Kunst wäre das eine Revolution. Aber würde es für die Kunstgeschichte irgend einen Unterschied machen? Ach, das ist ein ganz weites Feld...
JE



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