aus nzz.ch, 17.4.2015 Wilhelm Angerer Gesang der Seligen, 1933-1942.
Zwei Ausstellungen in Wien widmen sich alpinen Heimatbildern
Vielseitig instrumentalisiert
Ob zur Inventarisierung des Landes oder zur Eingemeindung in das Deutsche Reich – zwei Ausstellungen in Wien zeigen, wie vielseitig die Alpen als Heimatbilder instrumentalisiert wurden.
Bis Ende des 18. Jahrhunderts war «Heimat» ein nüchterner, juristischer Begriff für den Geburtsort. Erst in der Romantik schufen die Dichter daraus einen Sehnsuchtsort. Seither steht Heimat für eine heile Welt, in der Fremdheit und Entfremdung keinen Platz haben. Perfektes Sujet dieser idealisierten Weltvorstellung sind die Alpen. Wie erfolgreich das Motiv politisch instrumentalisiert wurde, zeigen gerade zwei Ausstellungen in Wien: über die Kammermaler von Erzherzog Johann in der Albertina und über Heimatfotografie im Photoinstitut Bonartes.
Matthäus Loder Erzherzog Johann und Anna Plochl im Boot (I.), um 1824-25.
Johann (1782–1859) hatte sich Anfang des 19. Jahrhunderts eine landeskundliche Inventarisierung von «Innerösterreich» vorgenommen. Dafür stellte er Maler an. So entstanden ab 1802 im Zeitraum von knapp fünfzig Jahren 1400 Zeichnungen und Aquarelle, die bis heute im Besitz der Familie von Meran verblieben sind – Johanns Sohn wurde von Kaiser Franz I. der Titel Graf von Meran verliehen. Anhand von 150 ausgewählten Werken der fünf Kammermaler zeigt die Albertina, wie die österreichische Alpenmalerei bereits in der Vorromantik politischen Zwecken diente. Akribisch skizzierte Johann Kniep von 1802 bis zu seinem frühen Tod 1818 Ansichten des Mürz- und Murtals.
Johann Kniep Admont mit dem Hochtor, 1808.
Karl Russ' bekannteste Werke sind die detaillierten Trachtendarstellungen, und Jakob Gauermann widmete sich Industrie- und Gewerbebetrieben. Wie bei Kniep und Russ kommen auch in diesen Aquarellen die Berge meist als diffuse Kulisse ins Bild, sind malerisch wenig ausgearbeitet, ohne Details und farblich sehr zurückhaltend. Diese helle Aquarellierung war jedoch kein Desinteresse, sondern sollte den Felsmassiven die Schwere und den Schrecken nehmen, um das Land als idealen Lebensraum zu präsentieren. Matthäus Loder stand dem Erzherzog am nächsten, begleitete ihn auf vielen Reisen, schildert in seinen mit feinsten Pinseln gemalten Szenen das Leben von Fischern, Sennerinnen und Holzknechten, aber auch Johanns heimliche Liebe zur Bürgertochter Anna.
Karl Russ Leobnerinnen, 1810-11.
Nach Loders Tod 1828 folgte Thomas Ender. Auch er reiste mit dem Erzherzog, zunächst nach Gastein und auf den bis dahin unberührten Gipfel des Grossvenedigers. 300 Meter unter dem Gipfel scheiterte das Unternehmen, als der Führer der Gruppe von einer Lawine mitgerissen wurde. Enders Aquarelle des Grossvenedigers gehören zu den Höhepunkten dieser Ausstellung. Seine Bilder sind weitaus malerischer angelegt, farblich differenziert und entschieden dynamischer als die seiner Vorgänger.
Thomas Ender Ansicht von Brixen, 1845 (1)
Auch die Kompositionen sind ausgefeilter und die Motive facettenreicher. Denn seine Aufgabe war es nicht mehr, die Steiermark systematisch zu erfassen. Ender dokumentierte die Besitztümer des Erzherzogs, porträtierte den Grossglockner, malte Donauansichten und begleitete Johann 1837 auf dessen diplomatischen Reisen in die Krim, nach Konstantinopel und Athen. Die letzte Reise führte ihn 1847 nach Südtirol, dann beendete die Revolution 1848 das Kammermaler-Projekt.
Thomas Ender Ausguss des oberen Sulzbacher-Venedigers, 1829.
Viele der dörflichen Szenen kommen uns heute sehr nüchtern vor. Doch es waren dezidiert idyllische Ansichten. Not, Mühe und Armut der Bauern blieben ausgespart. Denn die Maler sollten Johanns ideologisch-schwärmerische Sicht auf «das Gebirgsvolk» ins Bild rücken. Anfang des 20. Jahrhunderts dienen die Berge dann wieder einer ähnlichen Aufgabe: In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall der Habsburgermonarchie benötigte die junge Republik Österreich eine neue Identität.
Rudolf Koppitz Pflügen am Steilhang (Tirol), um 1930. Autotypie.
Der alpine Raum mit «Felswänden und Schneefeldern eignete sich ideal zur Inszenierung eines von jedem zeitlichen Wandel freigebliebenen Idylls», erklärt Monika Faber: die Alpen als Inbegriff von Standfestigkeit. Die Alpen wurden zur Grundlage eines neuen Nationalgefühls, das auf Tradition und Standfestigkeit beruhte. Faber ist Leiterin des Photoinstituts Bonartes, wo die Ausstellung «Heimatfotografie. Eine politisierte Sicht auf Bauern und Skifahrer» läuft.
Hans Angerer Am Elfer / Im Wildlahnertal. Aus Hans Angerer, Tirol, wie es ist Berg und Mensch, Innsbruck Deutscher Alpenverlag 1939.
Anders als in der zeitgleichen sachlichen deutschen Heimatfotografie suchten die österreichischen Fotografen eine ästhetische Überformung. Statt deutlich erkennbarer Gesichtszüge inszenierten sie ihre Bilder sehr bewusst, mit ausgewählten Hüten, Trachten, dramatischem Lichteinfall und Schattenspielen. Nicht das wirkliche Leben, sondern Heimat als idealisiertes Leben galt es zu zeigen. «Der deutsche Bauer ist viel runzeliger», so fasst Faber die Unterschiede zusammen.
Rudolf Koppitz Passeiertal, Südtirol, um 1930.
In den 1930er Jahren erlebte die Heimatfotografie eine nächste Blüte, diesmal als Propagandamittel der Nationalsozialisten. Zeitschriften und Bildbände zeigten teilweise identische Fotografien, denen nur ein anderer Text beigestellt wurde. Von «Gott und Boden» zu «Blut und Boden», so nennt es Elisabeth Cronin. Die Amerikanerin schrieb ihre Dissertation über Heimatfotografie in Österreich, ihre Arbeit ist die Grundlage der Ausstellung bei Bonartes. Die Nationalsozialisten erkannten die Heimatfotografie als ideales Medium, um Konflikte und Krisen vergessen zu lassen und um Bilder einer ethnisch deutschen Kultur zu präsentieren. In der Bonartes-Ausstellung sehen wir dies hervorragend in den Fotografien von Rudolf Koppitz, Peter Paul Atzwanger, auch Simon Moser, Stefan Kruckenhauser und Wilhelm Angerer. Wie in den Werken der Kammermaler wurden auch jetzt wieder Armut und Elend ausgeblendet.
Peter Paul Atzwanger Die Schnitter (Inntal), 1921.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg helfen die Bilder der Berge wieder. Diesmal wird die Illusion eines unzerstörten Heimatlandes aufgebaut – wieder mit identischem Bildmaterial. Stefan Kruckenhausers «Verborgene Schönheit. Bauwerk und Plastik der Ostmark» erschien erstmals 1938 und brachte es bis 1964 auf sieben Auflagen. Er hatte sakrale Architekturen und Plastiken mit Blick auf die künstlerische Qualität fotografiert. So konnte der Bildband in jedem politischen System erfreuen, ohne gegen herrschende Doktrinen zu verstossen. Wir sehen eine Welt, in der es weder Krieg noch Zerstörung, weder Armut noch Konflikte gibt – und dieses Bild gilt bis heute. Auch im 21. Jahrhundert ist die Heimatfotografie allgegenwärtig: als visuelles Leitmotiv für den Österreich-Tourismus.
Von der Schönheit der Natur. Die Kammermaler Erzherzog Johanns. Albertina, Wien. Bis 31. Mai 2015.
Heimatfotografie. Eine politisierte Sicht auf Bauern und Skifahrer. Photoinstitut Bonartes, Wien. Bis 8. Mai 2015.
Stefan Kruckenhauser Kristberg/Voralberg, 1954 oder früher.
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