Mittwoch, 11. November 2015

Nochmal Ernst Fuchs.

Selbstbildnis
aus Die Presse, Wien, 10. 11. 2015  

Der Gesamtkunstwerker des Fantastischen
Ernst Fuchs, Wunderkind und Malerfürst, begründete die Wiener Schule des Phantastischen Realismus und hielt bis zuletzt an ihrem Stil fest – mit stupender Technik und mystischer Verve. Am Montag starb er 85-jährig in Wien.

von Bettina Steiner

Seine Großmutter, erzählte Ernst Fuchs gern, war eine berühmte Wahrsagerin. Viele kamen zu ihr, um sich die Karten legen zu lassen, die – so war die alte Dame überzeugt – niemals lügen würden. Auch von der Zukunft des Enkels hatte sie sehr klare Vorstellungen. „Ernstl“, sagte sie zu ihm, „du wirst viel Geld machen mit deiner Musik“.


Totentanz

Die Musik ist es denn doch nicht geworden, auch wenn er nie ganz von ihr gelassen und bis zuletzt auch als Komponist und Sänger die Öffentlichkeit gesucht hat – sondern die Malerei: Sein Talent war augenfällig. In seinem letzten Schuljahr bat einer seiner Lehrer, ein Mundartdichter, den 14-jährigen Ernst Fuchs immer wieder an die Tafel, spannte Packpapier auf und ließ ihn zeichnen: So entstanden erste großformatige Arbeiten, meist Bilder von kämpfenden Rittern und von Pferden in vollem Harnisch, höchst präzise in der Ausführung und in der Komposition an Dürer geschult.


Titel?

Schon ein Jahr später, nach acht Jahren Volksschule, trat Ernst Fuchs in die Akademie der bildenden Künste ein: Albert Paris Gütersloh nahm das Wunderkind unter seine Fittiche. Angesichts der in den ersten Jahren an der Akademie entstandenen Werke kann man nur staunen über die Raffinesse, das Einfühlungsvermögen und die technische Fertigkeit, mit denen sich der Teenager die alten, aber auch die neuen Meister von Schiele bis Picasso anverwandelte.
Cinderella
Er forschte. Er suchte. Was er fand, gemeinsam mit seinen Kollegen Arik Brauer, Wolfgang Hutter und Rudolf Hausner, war die „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“. Wichtige Impulse kamen vom Surrealismus, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Wien noch neu und revolutionär war. Doch während der Surrealismus träumt, unzusammenhängend und grenzüberschreitend, versucht der Phantastische Realismus zu erzählen. Und während Breton und Co. ergründeten, was bei jedem Einzelnen unter der Oberfläche verborgen war, griff Ernst Fuchs auf die christliche und jüdische Mythologie zurück und suchte so zu erfassen, was uns zum Menschen macht.


Judith mit dem Haupt des Holofernes
Das Motiv von Christus am Kreuz etwa begleitete Fuchs, der als sogenannter „Mischling 1. Grades“ die Nazi-Zeit überlebte und mit zwölf getauft wurde, über die Jahrzehnte. Ähnlich leiden sah man den Erlöser zuletzt in den Werken der Donauschule rund um Albrecht Altdorfer! Christus, die zutiefst gedemütigte Kreatur. Kunst ohne Religion, meinte Ernst Fuchs noch diesen Februar in einem Interview mit der „Presse“, sei für ihn nicht denkbar.


Bei allem Hang zu Religion und Mystik – Ernst Fuchs war stets auch verkaufstüchtig. Sein Begriff vom Gesamtkunstwerk kam ihm da zupass, er beruhte unter anderem darauf, dass alles und jedes als Kunst zu vermarkten ist: Fuchs machte Werbung für den neuen Farbfernseher („Ohne Kontakt zur Farbe ist unser Verhältnis zur Wirklichkeit unvollkommen“). Die Münchner Society lud er zu einem Happening, bei dem er Nahrungsmittel drapierte und mit Blattgold verzierte. Er designte Bikinis – manche davon signierte er auch – und brachte eine Möbelkollektion auf den Markt. Er sollte eine Villa für Prince gestalten, entwarf das Bühnenbild für eine „Zauberflöte“ in der Stadthalle und bezeichnete die von ihm entworfene Bibel, die aussah wie ein riesiger Goldbarren, als sein „Lebenswerk“. Ein weiteres „Lebenswerk“: Die von ihm erworbene und umgestaltete Otto-Wagner-Villa in Wien-Hütteldorf, über die „Presse“-Kunstkritiker Kristian Sotriffer schrieb, Fuchs habe sie „usurpiert und geschändet“.


Fuchs-Kapelle in St. Egid
Das Sinnliche und das Göttliche, Ernst Fuchs hat versucht, es zusammenzubringen: Gold und Glauben, Opulenz und Andacht. Sein „Heiliger Wolfgang“ aus dem Jahr 1999 blickt entrückt gen Himmel, während links von ihm eine schöne Nackte ihn beobachtet, die Hure Babylon (1995) trägt eine lila Robe, während die in den Achtzigerjahren entstandene reichlich nuttige Cinderella nur einen blauen Hut auf dem Kopf hat und gelbe Schuhe an den Füßen. Auch später dominierten sein Werk noch mythologische Themen, nur fiel Fuchs immer öfter zu einem selbst gewählten Thema nichts weiter ein als das, was die Alten Meister vorgeführt hatten, nur greller. Vom Fantastischen blieb da oft nicht mehr als ein Farbenrausch, vom Sinnlichen nur ein nackter Po.


Die Kopfsammlerin
Über jeden Zweifel erhaben, von Kindheit bis ins hohe Alter: die stupende Technik, die geduldige Akribie, die zur Perfektion getriebene Kenntnis der malerischen Mittel. Sie kann man etwa in der Kapelle St. Egid in Klagenfurt bewundern, an der er zwanzig Jahre gearbeitet hat und die seit 2010 öffentlich zugänglich ist.
Ernst Fuchs, der 15 Kinder hinterlässt, ist am Montag in Wien im Kreis seiner Familie gestorben.


Cul du Monde, um 2000
Nota. - Meine Bemerkung im vorigen Eintrag, vieles bei Fuchs sähe so aus, als hätte ich es schon irgendwo gesehen, war naiv. Soviel hab ich noch garnicht gesehen, wie seine Bilder wonach aussehen! Fast scheint es, als habe er sich für jedes Stück einen neue Vorlage gesucht. Aber den ästhetischen Wert würde das nicht schmälern, und große Kunst könnte es trotzdem sein...

Ich habe als Nachruf ein Paradox, das ihm vielleicht gefallen hätte: Das, was er macht, finde ich gut, aber wie er's macht, mag ich nicht. Wobei die älteren Stücke meist besser abschneiden als die neueren; jene sind mir zu grell, ich meine: zu berechnend grell.

Er soll der Meinung gewesen sein, Kunst könne isoliert und nur für sich nicht bestehen, sie müsse Teil eines Kults wer-den. Es kommt mir vor, als habe er sich damit um die verheerende Frage Was kann man heute noch malen? herum-drücken wollen. Um die Frage, wie man heute noch malen kann, hat er sich damit aber auch gedrückt, und schwankt zwischen altmeisterlich und schrill. So dass man über ihn das Schlimmste sagen muss, was man über einen Künstler sagen kann: Er war interessant.
JE


Fuchspalast in St. Veit

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