"Welten der Romantik":
Innere Aufwallung statt äußeres Drama
Als Flucht in eine neue, der Erkenntnis dienende Weltanschauung: So beschreibt die Albertina den Beginn der Romantik, einer Epoche, in der die Natur zur existenziellen Daseinsmetapher wurde
von Anne Katrin Feßler
Wien – Philosophie und Religion, Wissen und Glauben, Wissenschaft und Kunst – für die Romantiker gehörte das eine zum anderen, alles war eines. Das klingt in seiner romantischen Ganzheitlichkeit – Stichwort "Universalpoesie" – recht mystisch und ordnete sich tatsächlich einer verklärenden, wiederentdeckten Religiosität unter.
Religion ist Einssein des Einzelnen mit dem Unendlichen, meinte etwa Friedrich Schleiermacher, der neben Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ("Alles im Universum ist beseelt") zu den zentralen Philosophen der Frühromantik zählt.
C. D. Friedrich, 1835
Bevor sich allerdings die beseelte See in Richtung unendlich öffnet, Nebel und Dunst schicksalhaft Felsen und Klippen umwabern und sich die Natur wie eine majestätische und zugleich uneinnehmbare Festung vor dem Menschen aufbaut, ja ihm Respekt abringt – bevor wir also zu den die Epoche am vortrefflichsten verkörpernden Arbeiten von Caspar David Friedrich kommen, zu Felsenlandschaft, Frühschnee oder Blick auf Arkona -, erinnert die Albertina noch einmal an die Zeit, als die Vernunft gewissermaßen abdanken musste.
Zerbrochenes Europa
Die Französische Revolution hatte hehre Ideale, aber auch größte Unsicherheit hervorgebracht, die Napoleonischen Kriege tobten, das Heilige Römische Reich löste sich auf, Europa zerbrach in Nationalstaaten: Rationalismus und Vernunft als Errungenschaften der Aufklärung hatten ausgedient. Nun also lieber Metaphysik. Mehr innere geistige Aufwallung als äußeres Drama.
Goya, Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, aus Caprichos, 1799
Und so bestreitet nicht nur Goyas Radierung Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer den Auftakt zur Ausstellung Welten der Romantik, sondern auch der lange Zeit Goya zugeschriebene, furchterregende Koloss aus dem Prado: El Coloso (1810) gilt als eines der ersten Antikriegsbilder und zeigt ein vor dem den Horizont verdunkelnden Riesen, Sinnbild für die Bedrohung durch Napoleon, in Panik flüchtendes Volk.
C. D. Friedrich, Die Lebensalter
Von dort weg geht es in Kapiteltrippelschrittchen weiter. Zunächst nach Österreich an die Wiener Akademie, wo sich die Künstler des Lukasbundes dem Wecken religiöser Empfindungen verpflichtet sahen. Sie griffen auf die Kunst aus Mittelalter und Renaissance zurück, schien ihnen dort noch eine Einheit aus Kunst, Religion und Leben zu bestehen. Ihre Meister hießen Dürer und Raffael, und sie eiferten ihnen nicht nur im Stil nach (vieles sieht aus wie aus Werken ihrer Idole zusammencollagiert). Sie trugen auch das Haar wie sie – lang und mit Mittelscheitel -, was den auch in Rom Wirkenden den Spottnamen Nazarener einbrachte.
Peter Birmann Die Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht auf dem Weg über den Gotthard, mit einem Maultierzug, vor 1805
Folgt man dieser Spur, verpasst man jedoch das Ansinnen der von Christof Metzger gemeinsam mit der im Sommer verstorbenen Cornelia Reiter (Kupferstichkabinett, Akademie) vorbereiteten Schau: protestantisch-norddeutsche Romantik und ihre katholische Spielart gegenüberzustellen. Das bedarf schärferer Trennlinien.
Carl Blechen, Bau der neuen Teufelsbrücke
Schön anzusehen sind die glorifizierenden Mittelalterfantasien, von Rittern bevölkerte Sagen- und Mythenwelten, die auch als Projektionsfläche nationaler Identität dienten. Auch die Überhöhung von Gotik und Kathedrale stützte das Deutschnationale, was man bei so wunderbar irrealen Bildern wie Karl Friedrich Schinkels Schloss am Strom, einer Art Garten Eden mit Hirsch auf der Terrasse, oder seiner geradezu surreal nah am Meer gebauten Kathedrale, gern vergessen möchte.
Schinkel, Schloss am Strom
Die Romantik vermischte Lieder, Märchen, Poesie, Wissenschaft und Philosophie. Zu diesem lebendigen Universum fehlt der Schau ein gutes Stück.
Albertina, bis 21.2
Turner, Dolbadern Castle, 1799
Man kann bezweifeln, dass es überhaupt einen Sinn hat, in der Malerei von Romantik zu reden. Jedenfalls nicht in der spezifischen Bedeutung wie in unserer Literatur: Die frühe Romantik in Jena hatte sich als deutsches Echo auf die französische Revolution verstanden, und als sie sich gegen die Aufklärung wandten, da nicht, um die Uhren zurückzustellen, sondern im Gegenteil: um sie zu radikalisieren und zu entspießern; nicht als Verleugner der Vernunft haben sie angefangen, sondern als deren Speerspitze, die Philosophie der frühen Romantik wollte die Kant'sche Kritik bis zu ihren letzten Konsequenzen weitertreiben. 1799 war plötzlich Schluss, die Romantikergruppe bröselte auseinander, es machte sich zusehends Katzenjammer breit. Eine große Rolle hatte der Atheismusstreit um Fichte gespielt, aber der war selber nur ein Zeichen der Zeit gewesen.
Guardi, Venezianischer Hinterhof
Das hat kein Gegenstück in der Malerei; nicht Runge, nicht Friedrich und schon gar nicht die Nazarener passen in dieses Bild. Idyllik, gotische Schwärmerei und deutsche Innerlichkeit sind Markenzeichen des Biedermeiers und der politischen Restauration, denen die Romantik nur insofern den Weg bereitet hat, als sie den bis dahin geltenden Kanon des Guten Geschmacks zerbrochen hat.* Positiv ist sie nicht geworden, aber positiv scheint die Kunst sein zu müssen, wenn sie eine bildende sein will. Eine zersetzende, sprengende Kunst ist die Malerei erst mit den Fauves und den Expressionisten geworden.
*) Die dekadente Malerei eines Fragonard, Guardi oder Füssli hatte schon gründlich vorgarbeitet.
JE
Füssli, The Shepherd's Dream, 1786
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