Freitag, 2. Juni 2017

Abschied vom Regisseur-Theater?


Die FAZ hat gestern ein Interview mit Michael Thalheimer gebracht, dem neuen Ständigen Regisseur am Berliner Ensemble.


...Was für ein Haus wird das Berliner Ensemble in Zukunft sein?

Eines, das seinem Namen Ehre macht, also das Ensemble, die Schauspieler, ins Zentrum stellt und in ihrer Profession ernst nimmt. Wir wollen unserem Publikum Menschendarsteller präsentieren und keine Performance-Ersatz-Künstler. 

Wie passt das mit Ihnen als Regisseur zusammen, der vor allem als Bearbeiter antiker und klassischer Stoffe bekannt ist? Was für eine Art zeitgenössischer Dramatik interessiert Sie? 

Für mich ist das eine ganz schwierige Frage, weil ich ja in der Tat für etwas ganz anderes bekannt bin. Ich habe oft das Gefühl, dass mir alte Stücke mehr Zeitgenossenschaft liefern als die zeitgenössische Dramatik. Eigentlich liegt das sogar in der Natur der Sache: Denn durch die Erfahrung geschichtlicher Distanz erfahre ich manchmal mehr über meine eigene Zeit, als wenn ein moderner Autor aktuell über sie schreibt. Das, was ich mir an zeitgenössischer Dramatik für das Berliner Ensemble wünsche, wären Stoffe, die nicht einfach nur nach Aktualität schreien, sondern den Mut haben, große Geschichten zu erzählen. Was ich suche, wäre so etwas wie die „Klassiker der Zukunft“. 

Für das Theater als Erfahrungsort ist es wichtig, dass es auf die Suche nach neuen Stücken geht. Wir können nicht nur die Klassiker spielen. Es gilt heute wie nie zuvor, den Versuch zu unternehmen, etwas Neues für das Theater zu entdecken. Man muss nach dem Eros suchen, der es am Leben hält. Für mich persönlich verbindet sich damit die Hoffnung, dass ich mich nicht wiederhole. Ich bin jetzt als Regisseur bei circa achtzig Inszenierungen angelangt. Jedes Mal fällt mir die Inszenierungsarbeit schwerer, weil ich mich eben nicht wiederholen möchte. Ich brauche also dringend Stoffe, die ich noch nicht gemacht habe.

... Der programmatische Hauptschwerpunkt liegt auf der Suche nach neuen, aktuellen Theaterstücken. Aber das ist nicht ausschließlich gemeint. Dafür bin ich hier am Berliner Ensemble ja auch engagiert: als Kontrastfigur, als Vertreter des sogenannten Schauspiel- und Sprechtheaters.

Für Schauspieler muss es eine Herausforderung sein, mit Ihnen zu arbeiten. Sie führen eine strenge Regie, erlauben keine Begegnung. Für Schauspieler, die sonst gewohnt sind, alles machen zu dürfen, ist das bestimmt nicht einfach.

Der Schauspieler ist das absolute Zentrum meines Theaters. Nicht der Autor, schon gar nicht der Regisseur, sondern der Schauspieler bestimmt das Geschehen. Und ich bin geradewegs froh über die Art, wie Sie meine Schauspielregie beschreiben. In der Tat fordere ich sehr viel vom Schauspieler. Zwar sieht es am Ende so aus, als gäbe es keine Begegnung zwischen ihnen, aber nur weil sich die Schauspieler bei mir selten in die Augen schauen, heißt das nicht, dass sie sich nicht begegnen. 

Viel eher geht es um eine besondere Form der Konzentration auf die unbewusste Begegnung. Meine Schauspieler müssen sich spüren – das ist das Ziel meiner Probenarbeit, dass sie sich dafür gar nicht mehr anschauen müssen. Denn auch im Alltag schauen sich Menschen, die sich kennen, ja nicht ständig an und sagen sich Sachen ins Gesicht. Möglich, dass sie bei vielen Regisseuren mittlerweile „alles dürfen“. Aber dass man „alles darf“, interessiert mich weder fürs Theater noch fürs Leben.

Ändert sich im Laufe einer Regie-Karriere der Fokus? Interessiert man sich, wenn man jünger ist, stärker für die politischen Botschaften eines Stückes, und je älter man wird, desto mehr für Fragen der Ästhetik?

Ja, durchaus, und ich hoffe sehr, dass ich mich im Laufe meiner Karriere geändert habe. Das hat etwas mit Älterwerden, mit Reife, auch mit Erfahrung zu tun. Ich weiß gar nicht, ob das, was man sucht, wenn man jung ist, so politisch ist, vielleicht glaubt man vor allem stärker daran, dass es das sei. In jedem Fall bin ich mittlerweile viel freier von den Zwängen des Erfolgs und der öffentlichen Wahrnehmung. 

Als junger Mensch geht man zum Theater, um wahrgenommen zu werden. Ich fühle mich mittlerweile alt genug, um etwas ruhiger reflektieren zu dürfen und etwas reifer über bestimmte Stoffe nachzudenken. Ich suche jetzt nicht mehr den unbedingten Erfolg, sondern mir geht es noch mehr als früher darum, eine Geschichte so gehaltvoll wie möglich zu erzählen. ...



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