Nach
dem mit 320 000 Besuchern überwältigenden Erfolg der
Eröffnungsausstellung des Potsdamer Museums Barberini darf man, da am
Wochenende die zweite Sonderausstellung eröffnet hat, auf ein nur wenig
nachlassendes Besucherinteresse rechnen. Denn „Von Hopper bis Rothko.
Amerikas Weg in die Moderne“ bietet, wie schon die vorangehende Impressionismus-Schau,
Malerei vom Feinsten. Großartige Bilder, die man je nach Geschmack
einzeln oder im Ganzen genießen mag, ohne ein aufgeschlagenes Lehrbuch
zu erwarten.
Clyfford Still („1950 B“), links, und Adolph Gottlieb („Equinox“, 1963) Denn die hier gezeigte Amerika-Kollektion verdankt sich dem subjektiven
Geschmack eines einzelnen Sammlers, mag das von ihm gestiftete Museum
auch weiterhin erwerben und den Anfangsbestand des Stifters mittlerweile
um ein Vielfaches übertreffen. Duncan Phillips, der 1886 geborene Sohn
aus wohlhabendem Hause, konnte seine Neigung zum Beruf und seinen Beruf
zur Grundlage seiner Sammlung machen. Er studierte Kunst in Yale, wurde
Kunstkritiker und wandte sich seiner Gegenwart zu, der amerikanischen
Malerei zu einer Zeit, da sie im Vergleich zur europäischen Kunst nichts
galt. Gewiss, Phillips sammelte auch Europäisches, und das auf
allerhöchstem Niveau; aber seine Liebe, seine selbst auferlegte
Verpflichtung fühlte er gegenüber den Künstlern seiner Gegenwart.
Richard Diebenkorn, Berkeley No. 12 Bis zu seinem Tod im Jahr 1966 hielt Phillips die Zügel in der Hand.
Insofern ist das von ihm bereits 1921 gestiftete und in der elterlichen
Villa in Washington eingerichtete Museum das Zeugnis eines einzelnen
Mannes – so wie es für die europäische Moderne das lediglich ein Jahr
später geöffnete Haus des Sammlers Albert Barnes in Philadelphia wurde.
Barberini-Museumsdirektorin Ortrud Westheider
sprach bei der Vorbesichtigung denn auch davon, dass es zu Beginn von
Phillips’ Sammeltätigkeit „keinen Markt, keine Bücher, keinen Kanon,
keine Galerien“ gegeben habe – was so pauschal denn doch nicht stimmt.
Aber wichtig ist das in ihrer Ausführung versteckte Wort „Kanon“: Eine
solche allgemein anerkannte und auf einer Entwicklungsgeschichte
beruhende Rangordnung amerikanischer Kunst gab es in der Tat nicht.
Phillips sammelte, was er für wichtig erachtete, von Künstlern, deren
Bekanntschaft er suchte, um ihr Werk verstehen, ihre Stärken erkennen zu
können.
Georgia O'Keeffe, Kirche in Ranchos Nr. II (1929) Wer also „die“ Geschichte der amerikanischen
Kunst im Museum Barberini erwartet, ist in Potsdam an der falschen
Adresse. Auf acht Räume, vier Mal je ein großer und ein kleiner
hintereinander, verteilt sich die Ausstellung mit 68 Werken von 50
Künstlern. Wenige sind mit zwei, und nur Arthur Dove ist mit fünf
(kleinformatigen) Werken vertreten. Das Einzelwerk zählt, es steht für
sich und den Künstler, sonst nichts. Aus der Phillips-Sammlung eine
Lehranstalt des Weges zur Abstraktion zu machen, wie es immer wieder
anklingt, geht am Kern des Phillips’schen Sammelns vorbei: einzelne
Künstler und ihre Kunst zu würdigen, nicht aber, wie es in Phillips’
späten Lebensjahren von einer übermächtig gewordenen Kunstkritik
unternommen wurde, die gesamte Kunst auf die Nachkriegs-Abstraktion
hinzubiegen.
Milton Avery Schwarze See, 1959
Die erste Barberini-Ausstellung lief unter dem Titel
„Impressionismus. Die Kunst der Landschaft“, und ähnlich hätte die
zweite heißen können. Denn Amerika ist Landschaft. Macht man sich die
Bedeutung der Landschaft für das US-amerikanische Selbstverständnis, für
das Erlebnis der Künstler, für die reale Gegenwart noch im Hier und
Heute bewusst, löst sich die Gegenüberstellung von „gegenständlicher“
und „abstrakter“ Malerei erstaunlich weitgehend auf. Die Ausstellung
beginnt verhalten mit gemalten Landschaften (darunter überflüssigerweise
zwei europäische), geht kraftvoll zum Kapitel „Urgewalten. Natur als
Ausgangspunkt der Moderne“ über und findet nach Ausführungen zur
Zwischenkriegszeit – Phillips’ eigener „Pionierzeit“ – in den drei
Kapiteln zur Nachkriegskunst ihren mehr oder minder ungegenständlichen
Endpunkt.
Winslow Homer, Rowing home, 1890
Winslow Homer malte Ende des 19. Jahrhunderts
die Urgewalt des Meeres; er zog sich an die raue Küste von Maine zurück.
Rockwell Kent, hierzulande kaum bekannt, bildet mit seinen Ansichten
einsamer Gegenden eine Brücke in die Zwischenkriegszeit. Da entdeckte
Georgia O’Keeffe die Wüstenlandschaften von Neu-Mexiko für sich, vor
allem aber machte sie die Entdeckung, dass sie das Große klein und das
Kleine groß malen konnte: In Potsdam stehen dafür das Gemälde von
Herbstlaub (1925) und eines der Rückansicht der aus Lehm erbauten Kirche
von Taos (1929).
Edward Hopper, Sonntag (1926) Ende der dreißiger Jahre beginnt Jackson Pollock,
ungegenständlich zu malen. Seine kleinformatige, aber in seinem Oeuvre
ungemein wichtige „Komposition“ leitet zu den Großformaten von Clyfford
Still, Philip Guston, Robert Motherwell über. An den ihnen gewidmeten,
geradezu von Farbmaterie verdichteten Saal, schließt sich der kleine
Raum mit eher lyrischer Farbfeldmalerei an. Aber auch das ist, mit den
Augen der amerikanischen Künstler gesehen, Landschaft.
Jackson Pollock, Composition, um 1940
Deutlicher noch wird das bei dem großartigen, hierzulande
noch immer weit unterschätzten Wahl-Kalifornier Richard Diebenkorn
(1922-1993), der sein künstlerisches Ur-Erlebnis vor den Bildern von
Henri Matisse hatte: Die aber sah er als junger Soldat eben in der
Phillips Collection. Später malte er das Spiel des Sonnenlichts in
seinem Atelier als Landschaft so wie die, die er, sonnenbeschienen,
durchs Fenster draußen sah.
In einer solchen, von der
Bedeutung der Landschaft geprägten Perspektive bleibt die urbane Malerei
der Zwischenkriegszeit außen vor. Sie ist bei Phillips, gut, aber bei
Weitem nicht herausragend vertreten. Das Barberini wirbt mit Edward
Hoppers „Sonntag“ von 1926. Das Bild ist, in all seiner Melancholie,
geradezu die Essenz des Hopper’schen Lebenswerkes. Ähnlich trostlos ist
der zweite Hopper, „Einfahrt in die Stadt“ von 1946, doch damit hat es
sein Bewenden. Charles Sheelers hoch bedeutendes Kleinformat geht neben
Großansichten zweitrangiger New-York-Maler nahezu unter. Nein, dieses
Kapitel, das doch Stadt „als Landschaft“ vorführen könnte und müsste,
hält im Niveau nicht stand.
Edward Hopper, Approaching Citiy, 1948
Phillips sammelte, man muss
es konstatieren, eben auch wenig prägende Maler, wie etwa Walt Kuhn oder
Guy Pène du Bois. Zum Kanon taugt seine Sammlung nicht. Sie hat Stärken
und Leerstellen, sie hat einen großen Auftakt und ein noch größeres
Finale, und sie lässt erahnen, was die USA im Innersten bewegt: ihre
unbegrenzte, als unbegrenzt gedachte und empfundene Landschaft.
Potsdam, Museum Barberini, bis 3. Oktober. Täglich geöffnet. Katalog bei Prestel, 29,95 €, www.museum-barberini.com
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