aus NZZ, 15. 2. 2014 L. Mies van der Rohen, Neue Nationalgalerie
Das Neue als Sucht oder Suche
Betrachtungen zur Frage der Notwendigkeit formaler Innovation in der Architektur
von Tom Schoper
Eine grundlegende Frage beschäftigt die
Architektur seit der Moderne: Wie neu muss ein Bauwerk in seiner
Formensprache sein, um zu überzeugen? Am Beispiel von Peter Zumthors
«Werkraum Haus» in Andelsbuch im Bregenzerwald lässt sich dieses
Phänomen in der zeitgenössischen Architektur kontrovers diskutieren.
Woran bemessen wir die Qualität
von Architektur? Jedem mögen eigene Kriterien dazu einfallen: die
Schönheit der Räume, die Harmonie der verwendeten Elemente, die
Selbstverständlichkeit im Gebrauch. Vonseiten der entwerfenden
Architekten kommt ein weiteres Kriterium: die Neuheit der
architektonischen Form. Diesem selbstauferlegten Sog folgen die
Architekten in unterschiedlicher Weise - meist durch das, was man von
aussen als speziellen «Stil» des Architekten bezeichnet.
Nicht selten
aber werden aus Stilismen reine Stilblüten, insbesondere, wenn das
vermeintlich Neue nicht so neu ist, wie es zunächst erscheint. Die
Architekturzeitschrift «Bauwelt» hat lange auf ihrer «Letzten Seite»
unter der Überschrift «Original und Fälschung» das architektonische
Abwandeln bereits bekannter Entwürfe gebrandmarkt. Üblicherweise waren
in dieser Kategorie jene Architekturbüros vertreten, die noch keinen
eigenen Stil entwickelt hatten. Nun aber betrifft diese Frage nicht mehr
Büros, die im Wettbewerbsstress schlecht kopiert haben und dabei
erwischt wurden; nun wird in Kommentaren im Internet ein Meister der
Architektur der Kopie bezichtigt. Was ist geschehen?
Mimesis, Metamorphose, Innovation
Im Sommer des vergangenen Jahres
ist im kleinen Ort Andelsbuch im Bregenzerwald ein neues Gebäude von
Peter Zumthor eröffnet worden, das «Werkraum Haus». Es dient als
Ausstellungsraum für Handwerksfirmen und Objektgestalter aus der näheren
Umgebung; es ist zu verstehen als Bühne für die in den vergangenen
Jahren aufgekommene Rückbesinnung auf handwerkliche Tradition im
Bregenzerwald. Bauten des Pritzkerpreisträgers Peter Zumthor werden
üblicherweise medial schnell verbreitet und überschwänglich gelobt -
doch in Bezug auf das «Werkraum Haus» hält sich die Zahl der
Publikationen in Grenzen. Ist es das Gebäude nicht wert, besprochen zu
werden? Ist es qualitativ nicht gut gemacht? Das trifft es nicht; und
doch haftet dem Objekt ein scheinbarer Makel an, mit dem die
zeitgenössische Architekturdebatte (noch) nicht recht umzugehen weiss:
Das Gebäude ist in seiner Erscheinung nicht so ausdrücklich «neu», wie
es die Architektenszene möglicherweise erwartet oder gewünscht hätte.
Dem schnellen Blick erscheint es vielmehr als Nachbildung eines
omnipräsenten Vorbildes: Ludwig Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie
aus den späten 1960er Jahren in Berlin [s. Kopfbild].
Peter Zumthor, Werkraum Haus
Angesichts des breiten schwarzen
Dachrahmens, der umlaufenden Verglasung und der beiden eingestellten
massiven Kerne scheint dieser Vergleich auf der Hand zu liegen. In
etlichen Online-Kommentaren wird diese Analogie herangezogen, die Szene
reagiert verwirrt bis verärgert, wenngleich die wenigsten der
Kommentatoren das «Werkraum Haus» selbst vor Ort gesehen haben dürften,
und Begriffe wie «Plagiat» und «Kopie» machen vorschnell die Runde. Dass
man einem unbestrittenen Meister nicht mit solchen Urteilen beikommt,
versteht sich angesichts der architektonischen Leistungen Zumthors von
selbst. Und doch erscheint an diesem Phänomen ja gerade interessant,
dass ein anerkannter Schöpfer des «Neuen» der Kopie verdächtigt wird.
Das Symptom der Diskussion ist hier also von Interesse: Warum diese
vehemente Forderung nach dem Neuen? Oder anders gefragt: Wie «neu» muss
ein Gebäude sein, um zu überzeugen?
Fragen wir zunächst danach, woher
diese ständige Suche nach dem Neuen in Kunst und Gestaltung rührt. Ein
Blick auf die Geschichte der Gestaltung erlaubt es uns, daraus eine
Entwicklung der inneren Gesetzmässigkeit, der Motivation zum Neuen hin
abzuleiten. In ihrem Ursprung, d. h. ausgehend von der Antike, ist die
künstlerische Gestaltung «Mimesis», also Nachbildung der Natur, egal, ob
in der Malerei, der Bildhauerei oder der Dichtkunst. In diesem Denkraum
ist der beste Künstler derjenige, der handwerklich dem Ideal der Natur
weitestgehend nahekommt. Die Geschichte vom antiken Wettstreit der
«Trauben des Zeuxis» fasst dieses mimetische Ideal in eine anschauliche
Anekdote mit überraschendem Ausgang (da nicht Zeuxis der Sieger des
Wettstreites ist, an dessen Bild der Trauben die Vögel picken, sondern
sein Rivale Parrhasios, der einen Vorhang malt, den sogar Zeuxis
wegzuziehen versucht!). In der Architektur dagegen zeigt sich die
Mimesis als ein strenges Befolgen eines einmal gefundenen Bautyps: Jeder
Tempel ist Abbild eines bestehenden Typus. Es gibt nicht schöne oder
weniger schöne Tempel - es gibt nur Tempel als solche.
Friedrich August Stüler, Alte Nationalgalerie, Berlin
Mit dem Humanismus und der
Renaissance findet im 14. Jahrhundert ein neuer Begriff Eingang in das
künstlerische Schaffen: das Konzept des «disegno», hinter dem wir schon
den uns vertrauten Begriff des Designs bemerken. Nach Francesco Petrarca
gibt diese erweiterte Konzeption von Gestaltung nun dem Künstler die
Möglichkeit an die Hand, gemäss seiner eigenen Interpretation zu
gestalten, also nicht nur darzustellen, was er in einem Gegenstand
objektiv erkennt, sondern, was er subjektiv darin sieht. Dieses Konzept
eröffnet dem Künstler eine neue Position des eigenen Schaffens. Die
gestaltete Welt wird zu einem «Pergament», auf dem Künstler, Musiker,
Schriftsteller, Architekten ihre Sichtweise im Sinne eines «Ausdrucks»,
einer «Aussage» in das Werk einfliessen lassen. Dieses repräsentiert
damit mehr als dasjenige, was der Betrachter konkret vor sich hat, es
verfolgt eine Intention, eine (durchaus auch politisch-zielgerichtete
oder belehrende) Aussage, die über das eigentlich Sichtbare hinausgeht.
Solange die Welt der Gestaltung dabei noch dem institutionalisierten
Ideal des Schönen, Guten, Wahren folgt (in wechselseitiger Ergänzung
zueinander), sind die in den Werken getroffenen Aussagen in unseren
heutigen Augen allerdings nicht radikal «neu», vielmehr geprägt von
einer grundlegenden Ähnlichkeit und einer sanften Metamorphose.
Schinkel, Altes Museum, Berlin
Die Aufklärung, insbesondere Kants
«Kritik der Urteilskraft», überantwortet schliesslich das
gesellschaftliche Gestalt-Ideal dem Geschmack des einzelnen Subjektes.
In diesem Gedankengut, im Zurückdrängen des Religiös-Metaphysischen und
Gottesfürchtigen zugunsten des durchgreifenden Prinzips des Rationalen,
entsteht letztlich der Glaube an das radikal Neue. Denn wo Gott tot ist,
wie Nietzsche schliesslich formuliert, da sucht der Mensch nach einem
selbstgestalteten Äquivalent. Es reicht nicht mehr allein die
Nachbildung der Natur als Schöpfung Gottes, wie sie als «Mimesis» über
Jahrtausende das Wesen der Kunst ausgemacht hatte; in seiner
selbstbestimmten Mündigkeit zielt der Mensch auf die eigene Schöpfung,
auf das Neue aus eigener Hand. Boris Groys umschreibt dies in seinem
Buch «Über das Neue» (1992) wie folgt: «Seit der Aufklärung wird von dem
Schöpfer eines <neuen> Werkes verlangt, er solle alle
Traditionen, Vorurteile, Fertigkeiten und Formen der äusseren,
rationalen Kontrolle abwerfen und die verborgenen Kräfte zur Macht
kommen lassen (. . .).» Auf der Ebene von Kunst und Gestaltung zielt
das Erschaffen damit auf eine andauernde Hinterfragung der Gegenstände
des Alltags und ihrer Wahrnehmung. Macher und Betrachter sind
gleichermassen aufgefordert, sich einem Objekt anzunähern, welches nicht
mehr durch objektive Ähnlichkeit unserer gewohnten Lebenswelt
entspricht, sondern welches die Lebenswelt durch seine eigene
«Objektität» durchstösst und damit auf die Wahrnehmung des Einzelnen
zielt.
Schinkel. Neue Wache, Berlin
Der französische Philosoph Maurice
Merleau-Ponty hat diesem Streben besonderen Ausdruck gegeben, wenn er
schreibt: «Das Sein verlangt Schöpfungen von uns, damit wir es
erfahren.» Das gestaltende Hervorbringen entspringt einer ursächlichen
Suche nach der Wahrheit unseres Seins. Die Schöpfungen, welche die
Kunst, die Musik, die Literatur oder die Architektur hervorbringen,
werden zu Gegenbildern unserer selbst, in denen wir den Sinn unseres
Daseins zu entschlüsseln suchen.
Vom Abbild zum Affekt
Der Existenz- und Erkenntnis-Sinn
eines Werkes liegt damit nicht mehr in der Wiederholung einer bereits
gemachten Erfahrung oder in dem Wiedererkennen von Objekten, sondern in
der Herausforderung einer neuen Erfahrung: vom Abbild zum Affekt. Der
Betrachter soll berührt werden durch das Werk - nicht belehrt. Der
Affekt aber besteht auf seiner Alleinstellung. Kommt es im Modus unserer
zeitgemässen Affekt-Erwartung zu einer mimetischen Wiederholung, so ist
das Wesen der Suche nach dem Neuen untergraben: Die Wiederholung eines
bereits bekannten Reizes entspricht nicht der Erwartung, das Erlebnis
gleicht daher einer Enttäuschung. Die Suche nach immer neuen
Wahrnehmungserfahrungen wird so mehr und mehr zu einer Sucht, die alle
Gestaltungsdisziplinen im Griff hat, ohne differenzierte Sicht auf die
spezifischen Charakteristika der Disziplinen selbst. Die Paradoxie
dieses Phänomens für die Architektur liegt in der doppelten Richtigkeit
der sich hier entgegenstehenden Aussagen: Denn weder will man sich der
Monotonie und Selbstgenügsamkeit einer Umwelt ohne gestalterische
Impulse aussetzen, noch will man sich die visuelle Lautstärke einer Welt
vorstellen, die nur auf den Affekt des Neuen setzt.
Leo v. Klenze, Walhalla
Gegen den Teufelskreis des Neuen,
der um des Neuen willen neue Formen gebiert, der den Inhalt und die
darin beheimatete Idee einer Architektur aber vernachlässigt, hat Peter
Zumthor immer schon gearbeitet - und hat auf seine Weise in seinen
Werken Räume geschaffen, die unsere Wahrnehmung mit ungeahnten
Erfahrungen bereichern. Denn, wie Zumthor richtig bemerkt, der
vermeintliche Mehrwert des Neuen liegt nicht im sogenannten
Bilbao-Effekt begründet, weil Bauten wie das Guggenheim-Museum von Frank
O. Gehry nicht die Architektur selbst, ihren Raum und ihren Gebrauch,
sondern das Besondere an der Baugestalt, das Sensationsdenken um das
Gebäude und damit einen momentanen touristischen Mehrwert in den Fokus
der Auseinandersetzung rücken. Zumthor dagegen sucht in seinen Entwürfen
- von den frühen Schutzbauten über römischen Ruinen in Chur (1986) über
die Kapelle in Sogn Benedetg (1988) und die Therme Vals (1996) bis zum
Museum Kolumba (2007) in Köln - jeweils nach «passenden Bildern». Für
den Betrachter waren diese angemessen «uneindeutig» in ihrem Ursprung.
Es waren Bilder, die für ein Anonym-Vertrautes in der Architektur
standen und aus denen Zumthor in seiner spezifischen Umformulierung dann
eine Gestalt gewonnen hat, der man durchaus das Prädikat «neu», vor
allem aber das Attribut «angemessen» verleihen konnte.
Jean-Jacques-Marie Huvé, Église de la Madeleine, Paris
Im «Werkraum Haus» scheint sich
Zumthor aber anders als sonst in seiner Arbeitsweise der Abwandlung
passender Bilder zu versagen. Oder ist das hier gewählte Vorbild des
schwebenden schwarzen Gitterrostes schlicht zu stark, zu prägend, zu
wenig anonym und damit in seiner ursprünglichen Autorschaft zu bindend?
Das Neue jenseits der neuen Form
Zumthors Entwurfsstrategie gleicht
hier einer Suche nach dem Grundprinzip «Ausstellungsraum». Was braucht
es dazu? Ein Dach, eine transluzente Hülle sowie massive Kerne zur
konstruktiven Aussteifung und zur Aufnahme von Nebenräumen. In diesen
wenigen architektonischen Elementen findet sich die Idee «Öffentlicher
Schaukasten» wieder - und nolens volens wohl auch die formale
Verwandtschaft zur Nationalgalerie. Ist umgekehrt also die Forderung
nach Neuheit der Form angesichts der Fülle an architektonischer
Produktion und ihrer medialen Verbreitung schlicht überholt? Der Wert
der von Zumthor vorgenommenen analogen Anpassung mag in diesem Sinne
darin liegen, das grundlegend Architektonische hier über das subjektive
Erlebnis zu stellen, quasi als Gegenmotiv zum Neuheitsdogma. In der
Berliner Nationalgalerie erkennt Zumthor ein grundlegendes
architektonisches Prinzip, das als strukturelle Idee auch anderweitig
nutzbar sein mag und das auf diese Weise «geerdet» wird. Das «Werkraum
Haus» ist somit eine rein prinzipielle Betrachtung zum Typus
Ausstellungsraum. Er führt das Besondere zum Allgemeinen zurück, er
stellt die Idee des Raumes über die Autorschaft. Darin können wir eine
übergeordnete Botschaft lesen: Architektur wird hier als kulturelles
Prinzip aufgefasst, nicht als Objekt eines Starkultes, nicht als
Kunstwerk mit Anspruch auf Einzigartigkeit; eine «Mimesis» im Gewand
eines Readymade. Das Neue ist nicht die Form als solche, sondern ihre
Wirkung und Wertung vor Ort.
Maison Carrée, Nîmes
Doch ist das Readymade ein
Prinzip, das in der Architektur funktioniert? In der Literatur vermag
die «Kopie» als eine witzige, ironisch-intellektuelle Spielerei zu
erscheinen, so wie Jorge Luis Borges in seinem «Pierre Menard. Autor des
Quijote» die Geschichte des Cervantes Jahrhunderte später von dem Autor
Menard wortgleich nachbilden lässt - doch Borges schreibt nur über die
Kopie, er lässt den Leser nicht die Kopie selbst lesen. Auch in der
Kunst würde niemand die Brillo-Boxes aus Andy Warhols Factory eine Kopie
nennen - die Nachbildungen von Kartons mit Putzreinigern gelten als
Kunstwerke, als Kommentar zu unserem Konsumverhalten, damit zu uns
selbst. In der Architektur aber steht die konkrete Existenz eines
Bauwerks über seiner Interpretation. Der Architektur fehlt der
repräsentierende Rahmen der Galerie oder des Museums, der gleichermassen
Schutzmantel vom Alltag ist, wie er Interpretationsmöglichkeiten für
die ausgestellten Objekte eröffnet. Architektur lebt mehr vom Erleben
als vom Interpretieren.
Neuheit oder Angemessenheit
Zudem gilt in der Architektur
neben der Neuheit ein weiteres Kriterium, das in den benachbarten
Gestaltdisziplinen der Kunst oder der Literatur einen geringeren
Stellenwert hat: Es ist die Angemessenheit - in ökonomischer,
ökologischer, aber auch in semantischer Hinsicht. Es verbirgt sich
dahinter die Frage, welche Aussage von der Form ausgeht. Wesentlich für
das architektonische Werk ist also das Verhältnis von formaler Neuheit
und semantischer Angemessenheit. Und auch wenn das Publikum nach Neuheit
ruft, so tut der Architekt doch gut daran, diesem Ruf nicht blind zu
folgen; denn die Frage sollte weniger lauten, ob das «Werkraum Haus» als
architektonische Form «neu» ist - wesentlicher ist es zu fragen, ob
seine Form in der Analogie zum Miesschen Vorbild «angemessen» ist. Und
hier können wir mit unserer Kritik sicherer ansetzen: Denn wenn, worauf
man sich allgemein verständigt hat, die Nationalgalerie ein «Tempel der
Kunst» ist, soll dann das «Werkraum Haus» ein «Tempel des ländlichen
Möbelbaus» sein? Mit anderen Worten: Stimmen hier die semantischen
Proportionen?
Parthenon, Athen
Eine ernstzunehmende Kritik am
«Werkraum Haus» fragt also nicht nach Kopie oder Plagiat - denn ein
einfacher Blick reicht aus, um diese Verdächtigung im Detail zu
widerlegen. Doch steht das «Werkraum Haus» als Bauwerk mehr für die
Wiederholung einer bereits gemachten Raum-Erfahrung und repräsentiert
damit auch die Bedeutungen seines Vorbildes. In diesem Sinne ist
vielleicht die harsche Kritik in den Social Media zu lesen: Indem
Zumthor einem bekannten Prinzip folgt, hat er eine erwartbare Antwort
gegeben und die Hoffnung auf eine neue Erfahrung (nach Merleau-Ponty)
nicht erfüllt; die erwartbare Antwort aber sagt uns nur, was wir bereits
wissen.
Dr. Tom Schoper
lehrt an der Architekturfakultät der TU Dresden und untersucht die
Wechselbeziehung von Architektur, bildender Kunst und Philosophie.
Franz J. Gehry, Starwood Hotel, Riscal, Baskenland; nach dem Guggenheim Museum im benachbarten Bilbao auch nicht mehr ganz neu.
Kommentar.
Seit in der Malerei das historisch-motivisch-Thematische hinter das rein-Ästhetische zurückgetreten ist, wurde das Neue
allerdings zu einer notwendigen Bedingung der Bildenden Kunst. Nicht
mehr sein Gegenstnd kann das Werk rechtfertigen, sondern allein seine
ästhetische Qualität. Und die muss, je mehr man "alles schon mal gesehen
hat", eine neue sein: Der Künstler rechtfertigt sich, indem er dem Publikum die Augen öffnet für etwas, das vorher nicht sichtbar war.
Da müssen sie sich seit gut einem halben
Jahrhunderet immer fester an den Finger saugen, damit was kommt, und die
Unken im Tümpel lassen vernehmen: "Das Tafelbild ist erschöpft, mit der
Malerei geht es zu Ende."
Die Architektur ist keine Bildende Kunst, sondern
ein nützliches Handwerk. Sie schafft Räume, die für Zwecke bestimmt
sind. Wenn sie ihrem Zweck gerecht werden, gefällt es dem Bauherrn - aus
Interesse. Aber Bauwerke stehen, je größer sie sind, umso auffälliger,
in der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit fragt, soweit sie nicht
selber zu den Nutzern zählt, nicht nach der Funktion, sondern "ob es in
seine Umgebung passt". Darüber kann gestritten werden; aber nicht dafür
baut der Architekt ein Haus, sondern damit es eben seinen Zwecken
entspricht.
Repräsentation
gehört zu den möglichen Zwecken eines Bauwerks (und eines Gemäldes,
solange Kunst auch aus Interesse gefallen sollte). Dies auf der einen,
der zwie- oder mehrspältige Anspruch der Öffentlichkeit, 'dass es in
seine Umgebung passt', auf der andern Seite eröffnet der Architektur
einen weiten ästhetischen Spielraum; macht sie aber nicht zu einer
Bildenden Kunst. Macht die Architekten nicht zu Künstlern, aber
womöglich zu mehr als das. Anders als jene können sie nämlich nicht in
Beliebigkeit versinken. Denn ihrem Zweck entsprechen müssen die Bauwerke nun einmal, da führt kein noch so einfallsreicher Weg vorbei, und irgendwie aussehen werden sie auch, selbst wenn dem Baumeister gar nichts einfiel.
Das ist eine Herausforderung, um die, vielleicht
ohne es zu wissen, mancher Künstler den Architekten beneidet. Denn dass
es für sie keine Herausforderungen mehr gibt, sieht man den Werken so
vieler Maler leider an.
JE