Donnerstag, 5. Juni 2014

Roboter in der Architektur.

aus nzz.ch, 5. Juni 2014, 11:30                                                                                                          Gramazio &  Kohler, 2013

Roboter in der Architektur
Der befreiende Zauberstab

von Gabriele Detterer

Der Arm eines Roboters reicht weit – weit in die Zukunft hinein. Die Fähigkeiten dieser programmierten Bewegungsapparate beeinflussen auch das heutige Architekturdenken, wie eine soeben erschienene Studie zum Einsatz von Robotern in der Architektur belegt. Unter dem Titel «The Robotic Touch – How Robots Change Architecture» gibt sie einen Einblick in die Forschungsarbeit, die in den letzten Jahren vor allem an der ETH Zürich vorangetrieben wurde. 2005 entstand dort das weltweit erste Labor, das die Möglichkeiten von Robotereinsätzen bei der Umsetzung digitaler Entwürfe in reale Baukörper erprobt. Die Publikation, die mit der 2008 realisierten Fassade des Fläscher Weinguts Gantenbein in der Bündner Herrschaft einsetzt und bis hin zum Design von Hochhäusern durch das «Future Cities Laboratory» des Singapore ETH Centre reicht, umfasst eine Reihe von Projekten, in denen der Roboter zum «Macher» wird. Dabei veranschaulichen die dokumentierten Projekte, wie sich mit Bewegungsautomaten individuelle bauliche Formen realisieren lassen und die zeitgeistige Norm der «Einzigartigkeit» erfüllt werden kann, ohne dass Handwerker ihr Know-how einbringen müssen.

 eine dreidimensional gekurvte Wand in Venedig; Gramazio & Kohler

Technische Revolution

Als «Digital Craft» wird die Fähigkeit der von Algorithmen gesteuerten Greifarme bezeichnet, mit denen Roboter bauliche Elemente aus phantasiereichen Micro-Patterns fertigen und neobarocken Formenüberschwang generieren können. Das zeigen in sich verschlungene Backstein-Säulen, die komplexen Strukturen des «Metal Folding»-Projektes (2011) oder zu einem Dickicht versponnene «Räumliche Aggregationen» (2012). Die neuen Maschinen gleichen einem «Zauberstab», mit dem sich immer phantastischere und bizarrere Einfälle durch die «physische Materialisierung digitalen Designs» realisieren lassen.

Roboter beim Bau der «Fragile Wall» 2012 in Zürich.


Blickt man auf die Industriegeschichte zurück, so hatte jeder neue Schritt im Bereich der Rationalisierung von Fertigungsverfahren zwei Seiten: eine konstruktive und eine destruktive. Technische Revolutionen haben einerseits Menschen von schwerer Arbeitslast befreit, andererseits Wissen und handwerkliche Fertigkeiten entwertet oder gar vernichtet. Dass die in der vorliegenden Studie zu Wort kommenden Autoren den Robotereinsatz in der Architektur primär positiv sehen, ergibt sich aus ihrem Engagement für digitale Herstellung baulicher Formen. Aber die Feststellung, dass durch den «Robotereinsatz» eine Autonomie der Architektur erreicht werden soll, reizt ebenso zum Widerspruch wie die Idee einer Gleichwertigkeit von Mensch und Maschine.

Nach der Fertigstellung des «Pike Loop» vor fünf Jahren in New York wird der kranartige Roboter weggefahren

In der anthologieartigen Publikation wird reichlich Material geboten, um über Möglichkeiten, Folgen und Nebenwirkungen «digitaler Baukultur» zu diskutieren. Gleichzeitig wird die kritische Architektenschaft durch die Studie aufgefordert, den baukünstlerischen Wandel mitzugestalten.

Digitale Baukultur

Im Vergleich zur Digitalisierung von Architekturplänen durch die CAD-Programme der 1980er Jahre bedeutet die seit der Jahrtausendwende sich vollziehende zweite digitale Revolution einen noch gravierenderen Umbruch. Denn die bis anhin geltende zeitliche Aufeinanderfolge von Entwerfen, Planen, Konstruieren und Montieren wird nun als synchron verlaufender Prozess definiert. Die traditionell arbeitenden Architekten und Ingenieure dürften vermehrt durch Experten ersetzt werden, die die Komplexität der Arbeitsvorgänge in Algorithmen darstellen können. Das schafft neue Abhängigkeiten. Wie gross die Freiheit der Architekten und der Bauwirtschaft noch ist, den Wandel hin zur «digitalen Baukultur» zu steuern und kreativ zu nutzen, erweist sich als gesellschaftspolitische Fragestellung, die über den in der Studie dokumentierten technischen Fortschritt hinausreicht.

The Robotic Touch. How Robots Change Architecture (englisch). Hrsg. Fabio Gramazio, Matthias Kohler und Jan Willmann. Park Books, Zürich 2014. 488 S., 910 Abb., Fr. 55.–.

Mit Hilfe eines Flugroboters konstruierten Gramazio & Kohler zusammen mit Raffaello D'Andrea 2011 diese Bauform für eine Ausstellung im FRAC Centre in Orléans

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