Sonntag, 8. Juni 2014

Zwei frühe Manieristen in Florenz - Pontormo und Rosso Fiorentino.

aus nzz.ch, 8. Juni 2014                                                                                      Rosso Fiorentino, Angiolino musicante, 1521

Pontormo und Rosso Fiorentino in Florenz
Manierismus im Doppelblick



Mit rund achtzig Kunstwerken zeigt eine Ausstellung im Palazzo Strozzi die zeitgleich verlaufenden, künstlerisch von einander abweichenden Entwicklungsstadien der Florentiner Maler Pontormo und Rosso Fiorentino und gibt dem neu erwachten Interesse am Manierismus Auftrieb.

Rosso Fiorentino, Ein junger Mann (s. u.)

Schauen wir doch auf die Hände! – Dass Pontormo und Rosso Fiorentino die Hände der von ihnen dargestellten Figuren so unterschiedlich malten, ist ein kleines Detail der von beiden Künstlern geschaffenen Werke und Bildwelten. Die waren von sehr unterschiedlichen Lebensumständen der im Jahre 1494 geborenen florentinischen Künstler mitgeprägt worden. Ein introvertierter Stubenhocker der eine, zur Schar der Wandernomaden gehörend der andere. Hochtalentiert waren beide. Ihr Malerschicksal setzte sie am Ende der goldenen Ära der Renaissance einer politisch und kulturell unruhigen Übergangsphase aus.

Pontormo, Porträt von Cosimo de' Medici
 
In den Künsten neigte sich der Primat des klassischen Bildbegriffs der Renaissance – Zentralperspektive, Symmetrie und stimmige Proportionen – dem Ende zu, während barocker Formenreichtum noch auf sich warten liess. Giorgio Vasari, Chronist jener Dekaden und Verfasser der Künstler-Viten, bezeichnete den von 1520 an evident werdenden Stilwandel dieser Zwischenzeit neutral als «maniera moderna». Dass Vasari jedoch einzelne Werke des Pontormo überschwänglich lobte, andere ablehnte und Pontormos zeitweilige Reverenz an Dürers Werk als Irrweg geisselte, sollte sich negativ auf den Nachruhm der Erfinder der «maniera» auswirken. Spätere Jahrhunderte wiesen den Exponenten des neuen Stils einen Platz weit ausserhalb des Lichtkreises genialer Renaissancekunst des Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael zu.

Rosso Fiorentino, Pietà

Aktualität des Manierismus

Aber nun sind die Manieristen in aller Munde. Dies dank einer Ausstellung, die nach der 1956 in Florenz gezeigten Pontormo-Schau erstmals wieder den Blick auf «experimentelle» Malerei des 16. Jahrhunderts lenkt, und zwar am gleichen Ort, dem Palazzo Strozzi. Auf welche Weise Pontormo wie Rosso zu einem neuen Stil fanden, vergegenwärtigt die Ausstellung höchst eindrucksvoll. Die Kuratoren, Carlo Falciani und Antonio Natali (Direktor der Uffizien), richteten einen sehr dichten Parcours ein, der zwei zeitlich parallele, künstlerisch unterschiedlich verlaufende Entwicklungen einander gegenüberstellt. Erläutert wird der Werdegang des Pontormo und des Rosso mit Hinweisen auf Vorbilder der beiden Manieristen, neben Andrea del Sarto die grossen Meister des Quattrocento, Donatello und Masaccio (Rosso) sowie Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer (Pontormo).

 Pontormo, Kreuzabnahme

Dass der florentinische Manierismus heute so gründlich erforscht und aufgewertet wird – der Ausstellungskatalog belegt dies bestens –, hat mehrere Motive. Florenz kann sich nicht ausschliesslich auf die Monothematik klassischer Renaissancekunst stützen, um als Magnet des Kunsttourismus attraktiv zu bleiben. Eine Ausdehnung kunstgeschichtlicher Forschung wiederum freut auch die Restauratoren der Stadt. So hat die «Pontormo und Rosso»-Doppelschau diesem in Florenz traditionell stark vertretenen Berufszweig Aufträge verschafft. Schliesslich soll Florenz, wie es Bürgermeister Dario Nardella vorschwebt, «Hauptstadt der Restauratoren» und «das weltweit grösste Krankenhaus» für Kunstwerke werden.

zu restaurierendes Stück aus Pontormos Besuch der Jungfrau
 
 Restaurator

Pontormo, Besuch der Jungfrau, restauriert

Dies allein erklärt das Interesse, das der Manierismus neuerdings erregt, nicht. Ausschlaggebend ist der Zeitgeist. Der ist von Unstetigkeit und Retromania getrieben. Uns, den Zeitgenossen der späten Moderne, liegt die sich neu erfindende Kunstpraxis des Manierismus näher als den Menschen zurückliegender Epochen. Denn der sehr eigene Stil der Manieristen erscheint uns heute keineswegs «verwirrend» (Vasari), sondern als Ausdruck von Nichtkonformität und eines vertrauten, da im Wertesystem der Gegenwart verankerten Individualismus.

 
Rosso Fiorentino, Bacchus, Vernus und Amor

Unmittelbare Impression

Fahrig, fiebrig und unruhig nach Neuem greifen, von diesem Drang erzählen die schmalen Hände der von Giovan Battista di Jacopo, alias Rosso Fiorentino, dargestellten Figuren. Dass sich normative Konventionen durch einen Zustand der Unruhe, ja gleichsam der Unordnung auflösen, davon spricht das stupende Porträt eines jungen Mannes Bände. Rosso vollendete als Dreissigjähriger das Gemälde. Zwar hat der Maler im Bildvordergrund ein ornamentales Muster akkurat ausgearbeitet. Doch der mit Sorgfalt gestaltete Bildteil wird überstrahlt von einem Farbauftrag aus Licht, Schatten und schnellen Pinselstrichen, die anstelle stilistischer Perfektion die unmittelbare Impression setzen. Kühn, gewagt und unbekümmert sich über die Regeln der klassischen Renaissancemalerei hinwegsetzend, so präsentiert Rosso sich mit diesem vibrierenden Porträt und enteilt seiner Zeit und Zunft in die Zukunft.

Rosso Fiorentino, Porträt eine jungen Mannes

Pontormo hingegen malte wohlgeformte, Ruhe und Sicherheit ausstrahlende Hände. Diese repräsentieren, symbolisch gesprochen, Pontormos Haltung, mit bildnerischer Schönheit und malerischer Perfektion Menschen, Natur und Dingwelt zusammenzuführen und ein Gegenbild zu einer aus den Fugen geratenen Welt zu schaffen. Fest umschlossen hält der von Pontormo porträtierte Bischof ein Buch in den Händen. Könnerschaft verleiht dem 1541 entstandenen, 
farbgesättigten Porträt Brillanz und Schönheit. Unübersehbar ist der Zwang Pontormos zur Überkontrolle von Pinselstrich und Farbtönung. Das verweist auf die Gemäldekunst «senza errore», «ohne Fehler», die seinen nur wenig älteren Lehrmeister Andrea del Sarto auszeichnete. Pontormo und Rosso, beide erlernten in der Bottega des Andrea del Sarto an der Via Capponi ihr Metier. Doch schon in diesen Anfangsjahren hat sich Rosso dem Imperativ und der Konvention «senza errore» sacht entzogen.

Rosso Fiorentino, Jungfrau, Jesus und Johannesknabe

Sich vertiefende Divergenzen

Das zeigen die Fresken, die Andrea del Sarto, Pontormo und Rosso in den Jahren 1511 bis 1514 für die Florentiner Basilika Santissima Annunziata ausführten und im Palazzo Strozzi den Doppelblick auf das Werden und Reifen des malerischen Talents der Jungkünstler eröffnen. Bereits das Frühwerk macht Divergenzen zwischen den Bildschöpfungen der beiden evident. Der eine verleiht seinem Werk räumliche Tiefe, Farbharmonie und den Figuren ein beseligtes Antlitz; der andere, Rosso, besticht mit einer theatralisch anmutenden Bildkomposition. Dass Rosso ein gutes Ohr für melodische Klänge hatte und selbst musizierte, darauf verweist die liebliche Darstellung «Musizierender Engel» [s. Kopfbild] (1421). Überhaupt, das Repertoire des Malers, Mienenspiel zu emotionalisieren, ist breit. Helle Freude wie dunkles Geheimnis und Qual spiegeln sich auf den Gesichtern der Figurendarstellungen.

Pontormo, Jungfrau, Jesus und Johannesknabe

Klar, auch der in Pontormo bei Empoli geborene Jacopo Carucci, genannt Pontormo, war ein Suchender. Wir wissen, dass sich der eigenbrötlerische Künstler «das Hirn zermarterte» (Vasari), um seinem Stil harmonische Natürlichkeit, Anmut und Grazie zu verleihen, und dass er, aus der Sicht Vasaris, auch «patzte», indem er Fresken (1523–25, Certosa del Galluzzo) im «wunderlichen» deutschen Stil schuf. Dies aber dürfte dem Ziel, künstlerische Antworten auf den Zeitenwandel zu finden, geschuldet gewesen sein. Denn tief verunsichert waren die Menschen jener Endphase der Renaissance, in der sich in Florenz Vertreibung der Medici und Wiedereinsetzung abwechselten.

 Pontormo, Fresko

Schon in jungen Jahren war Pontormo als Auftragsmaler der Medici erfolgreich. Er bemalte Prunkwagen von Festumzügen mit prächtigem Dekor, verewigte auf dem Porträt «Cosimo il Vecchio» (1518/19) den Ruhm des Clans und schuf in der Medici-Villa di Poggio a Caiano wunderbare Fresken, so «Vertumnus und Pomona» (1518–21).

Pontormo, Venus und Amor; erinnert weniger an Leonardo als an Michelangelo.

Den 25-jährigen Rosso hingegen, der Feinde der Medici zu seinen Auftraggebern zählte, verschlug es ins Exil. Nachdem er nach vielen Zwischenstationen an den Hof des französischen Königs in Fontainebleau berufen worden war, kehrte er nicht mehr nach Italien zurück. Er starb 1440, vermutlich in Paris. Pontormo überlebte den gleichaltrigen, ihm so unähnlichen Maler um 17 Jahre.

Rosso Fiorentino, Heilige Familie

Hofmaler

Im Zeitraffer nachzuerleben, wie die beiden Künstler zu einem unverkennbar eigenen, die klassische Renaissancemalerei überwindenden Stil fanden, kann einem schon ein wenig den Atem nehmen. Wenn wir am Ende des Rundgangs das malerisch formvollendete Gemälde «Visitazione» (1528/29, Carmignano) [s. o.] betrachten, können wir den Blick kaum von diesem Meisterwerk Pontormos, das die Begegnung der schwangeren Maria mit Elisabeth verbildlicht, losreissen. Die «Kreuzabnahme» (1527, Borgo San Sepolcro) des Rosso Fiorentino hingegen fasziniert durch kühne Expressivität. 

Rosso Fiorentino, Kreuzabnahme (Volterra)

War Pontormo der überragendere Könner? – Diese Frage würde sich so nicht stellen, wenn es gelungen wäre, das grossartige Meisterwerk des Rosso, die «Kreuzabnahme» (1521, Volterra), als Leihgabe nach Florenz zu holen. Während die Kuratoren Leihgaben aus aller Welt erhielten, unter ihnen Rossos «Madonna mit Kind und Johannesknabe» (1515) vom Städel-Museum Frankfurt, erwies sich die Distanz Volterra–Florenz als überwindbar weit.

Pontormo - Rosso Fiorentino. Palazzo Strozzi, Florenz. Bis 20. Juli 2014. Katalog (Editore Mandragora, Florenz) € 49.90.

 Rosso Fiorentino, Angiolini

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