Fotograf Michael Ruetz
"Allen fehlt die Geduld"
Mehr als 20 Jahre lang hat Michael Ruetz immer wieder ein- und dasselbe Landschaftsmotiv fotografiert. In seinen Großprojekten arbeitet er ohne Eile und ohne Druck. Ein Gespräch über Innehalten, Vergänglichkeit und die Dramatik vor der Haustür.
von Carolin Gasteiger
Süddeutsche.de: Für "Die absolute Landschaft" haben Sie zwischen 1989 und 2012 mehr als 2000 Mal eine Aufnahme gemacht. Das Motiv ist immer dasselbe - der Blick auf eine oberbayerische Landschaft. Und doch sind die Aufnahmen überraschend facettenreich.
Michael Ruetz: Die Bilder sind eine Antithese zur emsigen Reisefotografie, wie sie viele gängige Zeitschriften oder Tourismusprospekte betreiben. Ihre Fotografen reisen unentwegt durch die Welt und meinen, dort das Dramatische zu finden. Aber auch an einem einzigen Ort, ganz gleich wo, können höchstdramatische Licht- und Himmelsphänomene auftreten, setzen Wetter, Wind und Wolken die Landschaft in Szene. Man muss dafür nicht pausenlos zwischen Alaska, Feuerland und dem Nordpol unterwegs sein.
Wir müssen also - egal wo - nur auf den richtigen Moment warten?
Warten allein nützt nichts. Es gilt, aktiv zu warten, mit höchster Aufmerksamkeit am Geschehen teilzunehmen. Wann der entscheidende Moment ist, bestimmt man selbst.
Aber?
Allen fehlt die Geduld. So viel Zeit und Warten kann sich heute niemand mehr abverlangen. Was ja auch verständlich ist. Auch malende Künstler nehmen sich nicht gerade viel Zeit. Studenten an meiner Hochschule (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Anm. d. Red.) würden am liebsten schon im dritten Semester eine eigene Ausstellung machen, anstatt sich Zeit zu lassen. Das ist heutzutage so.
Völlig neu ist diese Beschleunigung nicht. Als Stern-Fotograf unterlagen Sie Anfang der Siebziger selbst den Zwängen eines aktuellen Mediums. Vor 40 Jahren haben Sie gekündigt - ein Befreiungsschlag?
Ich konnte mir als Journalist einfach nicht genug Zeit für etwas nehmen. Seitdem mache ich nur noch meine eigenen Projekte, keine Auftragsfotografie mehr. Das ist zwar anstrengend, aber in der Tat sehr befreiend. Und noch besser: Ich gebe meine Souveränität nicht auf.
Ist es ein Manko der digitalen Fotografie, dass immer schneller und hektischer fotografiert wird?
Wie bei allen technischen Innovationen muss man auch bei der modernen Fotografie erst lernen, damit umzugehen. Die digitale Fotografie, wenn man sie richtig versteht und anwendet, ist letztlich ein malerisches Medium. Weil sie dem Fotografen erlaubt, was Maler tun: Farben zu verändern und Farben zu adaptieren. All das ging mit der analogen Fotografie nicht.
Die wenigsten gestalten ihre Fotos, versuchen eher, sie möglichst schnell zu verbreiten.
Mit den Smartphones wurden die Grenzen zwischen Amateur- und professionellen Fotografen vollständig aufgehoben. Nehmen Sie das Unglück in der Ukraine: Ich könnte mir denken, dass die ersten, die an die Absturzstelle des Flugzeugs kamen, die aufregendsten und wichtigsten Momente festhalten konnten. Und die Berufsfotografen, die dorthin gehen, kriegen nur noch das, was man ihnen zugesteht.
Mit den Smartphones wurden auch Selfies populär, Selbstporträts, die die Subjektivität fast zur Leitkultur erheben. Ihre Art der Fotografie ist das genaue Gegenteil.
Ich sehe eben genau hin und nehme mir Zeit, meine Bilder zu machen. Andere tun das nicht. Manchmal entwickelt sich ein Geschehen erst langsam und das kriegen Sie nur mit, wenn Sie geduldig dabei bleiben. Auf diese Weise kommt man zu interessanten Bildern, die mehr als nur die Oberfläche zeigen.
Wollen Sie in Ihren Bildern eher die Vergänglichkeit oder die Beständigkeit der Landschaft zeigen?
Beides. Man sagt zwar, die Zeit vergeht. Aber eigentlich vergehen wir und die Zeit bleibt. Wenn wir tot sind, ist die Zeit immer noch da. Also können wir nur das Unbeständige dokumentieren.
Versuchen Sie, dieser Vergänglichkeit bewusst Ihre Bilder entgegenzusetzen?
Das Leben ist zwar von der Einsicht des Vergänglichen bestimmt, aber immer auch vom Protest dagegen. Man versucht, der Zeit etwas Beständiges entgegenzusetzen. Wenn das dann - für uns Künstler - in einem Museum hängt, ist das tröstlich und hilft über den bitteren Gedanken an den Tod hinweg.
Michael Ruetz: Die absolute Landschaft. Bis 5. Oktober 2014. Museum für Fotografie, Berlin. Im Herbst erscheint außerdem im Steidl Verlag ein Buch mit Aufnahmen des Künstlers.
Freie Universität Berlin, 3. Juni 1967
Michael Ruetz
Als Fotoreporter für den Stern hielt Michael Ruetz aufregende Momente fest: Seine Aufnahmen der Studenten-bewegung in den Sechzigern, darunter Rudi Dutschke am Mikrofon, machten den gebürtigen Berliner bekannt. Als Ruetz aus dem schnelllebigen Geschäft ausstieg, entdeckte er die Langsamkeit für sich: In mehreren länger-fristigen Projekten widmet er sich den Themen Zeit und Vergänglichkeit - darunter fallen auch die Bilder aus seiner aktuellen Serie "Timescape 817".
Nota I.
Das ist wirklich alles sehr gut gemacht. Aber insbesondere auch: sehr gemacht. So gut es mir nach wiederholtem Ansehen immer noch gefällt: Es ist eine Manier, und irgendwann wird man sie satt haben. Nirgends sei die Versuchung zur Manier so groß wie bei der Landschaft, habe ich behauptet. Und bei keinem Medium so stark wie bei der Fotografie, schwant mir.
JE
Nota II., 2. 8. 14:
Noch sind keine drei Tage vergangen, da ist es schon so weit; die Bilder sind auf meinem Blog, da sehe ich sie immer wieder, und - schon bin ich sie leid. Das überzogene Clair-obscur, die dunkel eingegrauten Farben, dasselbe Motiv, derselbe Winkel, es macht Effekt, aber der ist fad. Nochmal drei Tage und ich sage, das ist Kitsch.
JE
Nota II., 2. 8. 14:
Noch sind keine drei Tage vergangen, da ist es schon so weit; die Bilder sind auf meinem Blog, da sehe ich sie immer wieder, und - schon bin ich sie leid. Das überzogene Clair-obscur, die dunkel eingegrauten Farben, dasselbe Motiv, derselbe Winkel, es macht Effekt, aber der ist fad. Nochmal drei Tage und ich sage, das ist Kitsch.
JE