Montag, 22. Dezember 2014

Der Untote xscaped.

aus Süddeutsche.de, 22. 12. 2014

Best-of-Plattenkabinett
Unsere Alben des Jahres 
Michael JacksonXscape

Seit fünfeinhalb Jahren ist er schon tot, und nicht nur jüngeren Generationen ist er vor allem in Erinnerung geblieben als der weltfremde Phantast, als märchenhaft reich und berühmt gewordener und wieder abgebrannter Verrückter. Als großes Kind und Wohltäter, dem pädophile Neigungen nachgesagt wurden. "Off the Wall"? 30 Jahre alt, wird heute nie in Gänze gehört. "Thriller" und "Bad"? Klar, die schon. Der Rest aber ist Ekel. Das traf auch auf das erste posthum veröffentlichte Album "Michael" zu. Eine schöne Schweinerei war das. Doch Jacksons musikalischer Nachlass ist riesig. Es drohten weitere Projekte.



Im Namen des einstmals alles beherrschenden Sonnenkönigs der Musikwelt ist 2014 das zweite posthume Album erschienen, das aus diversen Gründen eigentlich nicht das Album des Jahres sein kann. Weder stellt "Xscape" den Ist-Stand der Popmusik im Jahr 2014 dar (wie es vielleicht FKA Twigs vermag, oder St. Vincent, oder Beyoncé oder oder oder), noch steht es an der Spitze einer Retrowelle. Es ist, bei Lichte betrachtet, lediglich ein von gewieften Produzenten mit aktuellen Beat-Zutaten angereichertes Werk, das vor Jahrzehnten eingesungene Gesangsparts Jacksons ins Jahr 2014 begleiten soll. Und doch: Sie haben ein paar Schätze gehoben und herrlich aufpoliert, die gewieften Produzenten Timbaland, Jerome "J-Roc" Harmon, Rodney Jerkins und die Norweger von "Stargate".


Was also passiert auf "Xscape"?

Erinnerungen werden wach, und keine schlechten.

In "Love Never Felt So Good", das eine ganz passable Daft-Punk-Pharrell-Williams-Disco-Behandlung erfahren hat, klingt Jackson wieder nach dem Mann, der auf "Off the Wall" und "Thriller" Pop und Soul vereint hat: dieses Entspannt-Nonchalante, Unbeschwert-Verliebte wie in "The Girl is Mine" oder in "I Just Can't Stop Loving You". Er scheint seinen Spaß gehabt zu haben, als er es 1983 einsang, das "Alright, it's fine" am Ende des Stücks hätte es da gar nicht als Beweis gebraucht.

In "Chicago" steigert sich Jacksons Stimme - über Timbalands stolpernden Bass - vom Raunenden aus "Liberian Girl" ins Eindringliche von "Man in the Mirror".



"A Place With No Name" gelingt das Kunststück, sich gleich an zwei Stücke anzulehnen: Americas "A Horse With No Name" und Jacksons eigenes "Leave me Alone", dessen Bassline hier kaum getarnt durch die 5:35 Minuten wummert.

In "Slave to the Rhythm" treiben es die Produzenten mit dem Bass, befeuert von Michaels "Whoo-hooos", seinem Jauchzen und Juchzen, auf die Spitze und lassen den Zuhörer an "Dangerous" denken, Jacksons wohl letztes großes Album. In "Do You Know Where Your Children Are", das mit einem massiven Keyboardeinsatz der Botschaft des Songs Nachdruck verleihen soll, ist man dann beim späten Jackson gelandet, jener Mann, der möglichst direkt eine Message rüberbringen wollte: gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen, gegen Kindesmissbrauch.

Zurück im Jahr 2014

Spätestens bei dieser Nummer ist man wieder zurück im Jahr 2014 und erinnert sich an den Ruf, der Jackson bis kurz vor seinem Tod anhaftete.

Trotzdem will man den Machern von "Xscape" ein Kompliment machen. Ihnen gelang weitestgehend, den alten Songs einen modischen Anzug zu verpassen - und Jacksons überbordendem Talent den Platz zu lassen, den es immer verdienen wird. Keine Ahnung, ob "Xscape" so klingt, wie Jackson heute klingen würde, wäre er nicht vor sechs Jahren gestorben. Aber man könnte gut damit leben, wenn es so wäre.

Gökalp Babayiğit




Nota. - Sollte ich ein persönliches Wort anfügen? MICHAEL habe ich nicht angeschafft, ich war von den Hörproben im Netz bedient. Es war schrecklich. An Xscape, Sie können es sich denken, habe ich mich erst gar nicht herangetraut. Die Hörproben waren viel besser, aber der Schreck saß tief.

Nun ist Zeit vergangen, und jetzt kann ich sagen: Xscape ist viel besser, nur keine Bange, zwei Tage sind noch bis Weihnachten, Sie können es ruhigen Herzens kaufen.

Und Slave to the Rhythm ist eins der großen Jackson-Stücke, es hätte ohne weiteres einen Platz auf Dangerous finden können, höher könnte ich es nicht loben, doch wissen Sie was? Da waren schon zu viele ganz starke Stücke drauf, da musste Slave to the Rhythm auf eine - na ja, eine bessere Gelegenheit warten.
JE


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