Donnerstag, 4. Dezember 2014

Kunst ist doch so alt wie der Mensch.

aus Die Presse, Wien, 4. 12. 2014

Schon Homo erectus ritzte Muster in Muschelschalen
Kunst ist viel älter als bisher gedacht, das zeigt die Neuauswertung alter Funde in Java: Dort wurde 1891 der Erste unserer Ahnen außerhalb von Europa ausgegraben. Und der war vor 540.000 Jahren schon intelligent genug für Abstraktion und Symbole. Solche Muster macht die Natur nicht, Zickzacklinien in einer Muschelschale, streng symmetrisch, ohne Unterbrechung durchgezogen. 



Solche Muster macht nur der Mensch, man bringt sie mit hohen intellektuellen Fähigkeiten in Verbindung, denen der Abstraktion und des Denkens in Symbolen. Deren Geburt sah die Forschung lange in Europa, vor 35.000 Jahren wurden Höhlenwände mit Malereien geschmückt. Aber das war ein eurozentrisches Vorurteil: Die bisher ältesten bekannten Formen von unstrittiger Kunst fanden sich in Südafrika, Rautenmuster in Ocker geritzt, vor 77.000 Jahren, Ähnliches wurde auch in Schalen von Straußeneiern graviert. Gar 100.000 Jahre alt sind perforierte Meeresschnecken in Nordafrika, sie waren keine gestaltete Kunst, aber doch Schmuck. Immerhin, die Verfertiger von allem gehörten zu uns, den Homo sapiens oder auch „modernen Menschen“ – so nennt uns die Anthropologie wegen unserer vergleichsweise grazilen Gestalt –, außer uns konnte schließlich niemand die nötige Intelligenz aufbringen.

Auch das erwies sich als Vorurteil, mit ähnlich perforierten Muscheln schmückten sich auch Neandertaler in Gibraltar, in Italien benützten sie dazu Vogelfedern, und bei kunstvoll geschnitzten Figurinen aus Mammutelfenbein auf der Schwäbischen Alb – etwa 35.000 Jahre alt – hielten möglicherweise auch Neandertaler die Messer in den Händen. Immerhin, sie waren ja Zeitgenossen unserer Ahnen. Das kann man von einem anderen nun wirklich nicht behaupten: Homo erectus. Mit ihm erhoben sich die Menschen endgültig zum aufrechten Gang – vor etwa 1,8 Millionen Jahren –, und mit dem erwanderten sie die Erde, sie kamen etwa nach Java. Dort, im Osten der Insel bei Trinil an der Mündung des Solo-Flusses, fand Eugéne Dubois 1891 den ersten, es war zugleich der erste Fund eines Ahnen außerhalb von Europa.


Besonders bemerkenswert:  In den Winkeln finden sich keine Zwischenräume.
Mit Haifischzähnen gebohrt und graviert
Aber Dubois grub auch anderes an den Ufern aus – in der „Hauptknochenschicht“, die Forschung sprach damals noch Deutsch –, Schalen von Süßwassermuscheln, vor allem von Pseudodon. Die wurden nicht von der Natur in die Hauptknochenschicht gebracht: Sie stammen alle von ausgewachsenen Individuen, und sie haben alle eigenartige Perforationen, dort, wo innen die Muskeln ansetzten. Das sind keine Bissspuren von Ottern, Ratten oder Affen – sie alle ernähren sich auch von den Muscheln –, auch keine Hackspuren von Vögeln. Sie sehen vielmehr exakt so aus wie die, die Menschen viel später in der Karibik in Muscheln bohrten, um sie zu öffnen. Dazu braucht es allerdings so spitze wie stabile Werkzeuge, und auch dafür fanden sich Kandidaten in der Hauptknochenschicht: Haifischzähne.

Mit denen kann man exakt die gleichen Löcher in die Muschelschalen bohren, Wil Roebroks (Leiden), der die ganze Kollektion von Dubois im Museum ausgewertet hat, hat es in experimenteller Archäologie getan, er hat auch bemerkt, dass viele Muschelschalen so zugeschliffen waren, dass man sie zum Schneiden benutzen konnte. Und dann stieß er auf den Höhepunkt der Sammlung: eine Muschel mit Gravur. Sie, die eine Muschel mit der Gravur, sie ist, wie die anderen auch, etwa 540.000 Jahre alt (Nature, 3. 12.). Damals gab es noch keinen Homo sapiens – der entstand vor etwa 150.000 Jahren in Afrika –, damals gab es Homo erectus.
Abstract
Nature: "Homo erectus at Trinil on Java used shells for tool production and engraving"


aus scinexx

"Ein einzelnes Individuum muss dieses Muster mit einem Werkzeug in einer Sitzung erstellt haben", so die Forscher. Sie vermuten, dass das Muster wahrscheinlich in die frische, noch mit der braunen Schalenhaut überzogene Muschel eingeritzt wurde. "Das hätte ein auffallendes Muster von weißen Linien auf einer dunklen 'Leinwand' erzeugt", so die Wissenschaftler.

Der innere Rand dieser Muschel wurde durch vorsichtiges Bearbeiten geschärft. © Francesco d’Errico/ Université de Bordeaux
In der gleichen Sammlung stießen die Forscher auch auf eine Muschelschale, die nachträglich zu einer Art Werkzeug umfunktioniert worden war. Der Rand der Schale war abgeschlagen, so dass eine Kante aus Perlmutt frei lag. "Diese Kante ist poliert und geglättet, das deutet darauf hin, dass sie zum Schneiden oder Schaben eingesetzt wurde", berichten Joordens und ihre Kollegen. In feinen Kerben der scharfen Kante fanden sie Reste von Wurzeln oder Pilzen, die der Homo erectus möglicherweise einst damit zerkleinerte.


Nota. Gerade weil es so rudimentär ist, darf man es gewisser Kunst nennen als die Höhlenmalerei von Lascaux. Jene diente kultischen Zwecken, der Beschwörung des Jagdglück vermutlich; dies Muster jedoch diente keinem ersichtlichen Zweck, es ist nur der Schönheit halber da: ästhetische Kunst, wie sie im Westen erst im 19. Jahrhundert wieder aufkam. Dass es erst noch vereinzelt auftrat, macht die Sache nur plausibler. 

- Es beleuchtet im übrigen meine Lieblingsthese, wonach 'der Geist' des Menschen - entstanden als ein Ersatz für die verlorenen Selbstverständlichkeiten seiner verlassenen Urwaldnische - selber ein 'ästhetisches', poietisches Vermögen ist, das erst im Verlauf der Geschichte, namentlich unserer Geschichte seit der Sesshaftwerdung und der Erfindung des Ackerbaus, in einen ökonomischen und einen in specie ästhetischen 'Anteil' aufgespalten wurde; indem die ökonomische Seite ein Jahrzehntausend lang die andere Seite überwuchert und verdeckt hat. - Also aufgetreten wären sie, den javanesischen Funden zufolge, gemeinsam. Dass sich das Vermögen zu nützlicher Arbeit abgespalten und verselbständigt hat, ist nun kein Wunder: Technische Neuerungen lassen sich, anders als ästhetische, akkumulieren, es kommt die Vorstellung von einem Fortschritt auf und die dazugehörige Idee der Vollkommenheit; welch letztere dem Fortschritt eine ästhetische Aura mitteilt.

Für eine Spekulation aufgrund eines einzigen archäologischen Dokuments läuft das ein bisschen zu rund, das gebe ich zu. Aber der Fund passt immerhin in mein Schema, in ein anderes passte er weniger gut - soviel werde ich doch wohl sagen dürfen.
JE




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