Donnerstag, 30. April 2015

Der ästhetische Sinn drückt einen Mangel aus.

aus Rohentwurf
 Ferdinand, pixelio.de

7. 'Das Schöne ist ein Bild der Transzendenz.' - Aber das Schöne 'gibt es' nicht; sondern nur viele Bilder, die erscheinen. Daß 'es' sich immer nicht festhalten läßt, sondern ewig neu gefunden werden muß, ist eine Chiffre dafür, daß das Trans- zendente kein Positum ist, sondern... das Gefühl eines Mangels. Nämlich das Gefühl, daß Stoffwechsel und Fortpflan- zung "nicht alles gewesen sein kann". Daß das Leben sich nicht selbst genügt, sondern daß 'etwas da sein muß, das es wert ist, um seinetwillen das Leben zu führen'. Also daß das Leben seinen 'Sinn' (sensus = Richtung) außer sich findet. Ein Gefühl, bien sûr, das sich erst einstellt, nachdem die Notdurft befriedigt war. - Das ästhetische Erleben ist 'gegeben'; mal so, mal so. In ihm 'erscheint' das Ungenügen an der Immanenz des Daseins. In ihm erscheint der Anspruch eines Plus ultra. (Das Wesen, das Absolute, der Sinn usw.)


Nota, 13. Jan. 2014: 
Das muss unter meinen gesammelten Splittern einer der allerfrühesten gewesen sein. Er erinnert an Platos Gastmahl: Eros strebt nach Schönheit, weil er sie nicht hat.
JE

Nota, 1. 5. 2015:
Eben fällt mir auf - es ist dasselbe Thema, das Joachim Ritter und Odo Marquard in ihrer Kompensations-Theorie des Ästhetischen behandelt haben. Aber die sachliche Aussage ist eine ganz andere. Das Ästhetische kann das Ungenügen am bloßen Dasein eben nicht kompensieren, sondern reproduziert es immer neu; wie Salzwasser den Durst.
JE



Der Kunstmarkt hat den Zenit überschritten.

aus Der Standard, Wien, 29. 4. 2015

Gerhard Richter ist gefragtester Maler

Picasso-Werke erzielten von 1970 bis 2014 die höchsten Umsätze. Der Deutsche Gerhard Richter ist der am meisten gehandelte lebende Künstler

Gerhard Richter ist einem Ranking zufolge der gefragteste lebende Maler auf dem Auktionsmarkt der vergangenen 40 Jahre. Nach dem Kunstindex des "Manager Magazin" erzielten von 1970 bis 2014 Werke von Pablo Picasso die höchsten Umsätze. Dahinter folgen Andy Warhol, Claude Monet, Francis Bacon, Pierre-Auguste Renoir und dann der in Köln lebende Richter (83).



Die vier begehrtesten Maler des Jahres 2014 waren demzufolge Andy Warhol, Pablo Picasso, Francis Bacon und Richter auf Platz 4 - wieder als erster lebender Künstler. Der Index basiert nach Angaben des Magazins auf fünf Millionen Verkaufsdaten von 700 Auktionshäusern.

Spekulationsmaschine Kunstmarkt

Verschiedene Studien haben in jüngster Zeit ergeben, dass sich der Weltkunstmarkt derzeit auf einem Allzeit-Hoch befindet. Der Autor des "mm-Kunstindex", Roman Kräussl von der Luxembourg School of Finance, hält diese Preisentwicklung für übertrieben.

"Die Preise für Contemporary Art (zeitgenössische Kunst) haben einen kritischen Wert überschritten", warnte er in dem Artikel. "Es herrscht eine Spekulationsmanie, auf die in der Vergangenheit meist ein Crash folgte." Ein Preisrutsch bei den großen Frühjahrs- oder Herbst-Auktionen würde ihn nicht überraschen.



Die Spekulationsmanie beschränkt sich dabei nach Beobachtung von Kräussl auf das absolute Topsegment. Wer zur Jahrtausendwende 100 000 Dollar in einen Index der 50 meistgehandelten Nachkriegs- und Gegenwartskünstler gesteckt hat, hat demnach seinen Einsatz fast versechsfacht.

Bei einem Gesamtindex für alle Künstler hätte sich der Gewinn inflationsbereinigt dagegen auf null belaufen. Und selbst bekannte Namen sind keine Garantie für Rendite. Kräussl verweist auf den britischen Künstler Damien Hirst, dessen Durchschnittspreis sich zwischen 2000 und 2008 verneunfachte. Doch mit der Finanzkrise von 2008 brach der Preis dramatisch ein - "bis heute hat sich sein Marktwert nicht erholt". (APA, 28.4.2015)



Mittwoch, 29. April 2015

Kannten Sie Luc Simon auch noch nicht?

aus Badische Zeitung, 27. 4. 2015

Kunstverein Schopfheim zeigt Werke des französischen Künstlers Luc Simon.

Der Kunstverein Schopfheim widmet seine diesjährige Frühjahrsausstellung in der Kulturfabrik Schopfheim dem französischen Künstler Luc Simon. 1924 geboren und 2011 gestorben, war Simon stets ein Künstler, der innerlich in Aufruhr war, der von sich selbst sagte, dass er gelegentlich in Rage malte und dabei seine Bilder auch immer wieder übermalte, bis sie die gewünschte Aussage enthielten.



Es sind teils großformatige Farbepen, die zum Beispiel in "mes caravanes" seine Reisen nach Afrika aufarbeiten oder seine emotionale Nähe zu den deutschen Romantikern skizzieren. In ihrer unkonventionellen Maltechnik und den intensiven Licht durchfluteten Farben sind seine Werke auch inspiriert vom aufrührerischen Dichter Arthur Rimbaud. Rimbaud sagte von sich: "Ich ist ein anderer" - Simon sagte über sich: "Ich bin von Rimbaud gezeichnet wie von einer Tätowierung".



Der Kunstverein zeigt in der Ausstellung mit dem Titel "Atelier Luc Simon" etwa 45 teils großformatige Öl- und Aquarellbilder, dazu Entwürfe zu Kirchenfenstern, die Simon unter anderem in Reims realisierte. Daneben sind auch kleinformatige Holzskulpturen zu sehen, die er als Vorlagen für große Originale zusammensetzte. (bz)

Ausstellung "Atelier Luc Simon", Kulturfabrik Schopfheim (Johann-Karl-Grether-Straße 2): bis 17. Mai
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag jeweils von 14 bis 17 Uhr, Mittwoch von 15 bis 18 Uhr



Nota. - Das, was ich im Netz finden konnte, war sehr ungleichartig. Malen konnte er aber. 
JE 

Dienstag, 28. April 2015

Emile Bernard in der Kunsthalle Bremen.

aus nzz.ch, 23.4.2015, 05:30 Uhr                                                                           Madeleine im Bois d’Amour 1888.

Die heimliche Sehnsucht eines bahnbrechenden Neuerers
Unter dem Titel «Am Puls der Moderne» präsentiert die Kunsthalle Bremen die erste grosse Retrospektive des französischen Künstlers Emile Bernard, die auch sein kaum bekanntes Spätwerk einbezieht.

von Peter Bürger

«Hommage à Cézanne» lautet der Titel eines in der Kunsthalle Bremen aufbewahrten Entwurfs eines 1900 fertiggestellten programmatischen Bildes von Maurice Denis. Um ein Stillleben Cézannes sind im Gespräch mit Odilon Redon die jungen Maler placiert, die sich 1890 zur Gruppe der «Nabis» (der «Propheten») zusammenschlossen. Ausser Denis sieht man unter anderen Sérusier, Bonnard, Vuillard und den Galeristen Vollard. Emile Bernard fehlt auf dem Bild, obwohl er es gewesen ist, auf den der «Cloisonnisme» zurückgeht, eine Malweise, die, sich gleichermassen vom Akademismus wie vom Impressionismus absetzend, die dargestellten Gegenstände vereinfacht, mit Konturlinien einfasst und als farbige Flächen behandelt. Gauguin, der in den späten 1880er Jahren zusammen mit dem jungen Bernard in der Bretagne arbeitet, hat diesem Verfahren zum Durchbruch verholfen und wurde 1891 von dem Kunstkritiker Albert Aurier in einem einflussreichen Aufsatz als bahnbrechender Neuerer gefeiert. Die Kunstgeschichte hat diese Sicht weitgehend übernommen und durch ästhetische Werturteile noch pointiert.

Bretonische Frauen mit Sonnenschirmen 1892

Bestens ausgestattet

In Zusammenarbeit mit dem Pariser Musée d'Orsay macht sich die Kunsthalle Bremen nun daran, den Fall Bernard neu zur Diskussion zu stellen mit einer Ausstellung, die nicht nur das Frühwerk des «Cloisonnisten» Bernard, sondern auch sein Spätwerk zeigt, das sich zunächst an mittelalterlichen Fresken, später an der Malerei der Renaissance und des Manierismus ausrichtet. Die Kunsthalle Bremen ist dafür bestens ausgestattet. Nicht nur besitzt sie mit der «Blauen Kaffeekanne» ein herausragendes Stillleben des Cloisonnisme, sondern darüber hinaus ein monumentales Album, in das Bernard ein Leben lang Skizzen und Zeichnungen eingeklebt hat. Dorothee Hansen, die Kuratorin der Ausstellung, hat die Skizzenblätter von Bernards erster Reise durch die Bretagne, 1886, aus dem Konvolut herausgelöst und gesondert zugänglich gemacht, wodurch auch die von dem Zeichner genutzten Rückseiten der Blätter zum Vorschein kommen. Allein dieser Teil der Ausstellung, der zeigt, wie der junge Künstler mit den verschiedensten Techniken experimentiert, lohnt den Besuch.


Die blaue Kaffekanne 1888  

Nur zweimal provoziert die Ausstellung Vergleiche zwischen Bernard und seinen heute berühmten Malerfreunden van Gogh und Gauguin, und beide Male erweist sich das Bild Bernards als das stärkere. Mit sicherem Griff wendet der 19-jährige Künstler im «Porträt der Grossmutter» von 1887 die gemeinsam mit Anquetin entwickelte flächige Malweise für die die alte Frau umgebenden Gegenstände an, so auf die Schaffung einer Raumillusion verzichtend, den Kopf der Alten jedoch modelliert er mit markanten Hell-Dunkel-Tönen, so dass das durch ein dreieckiges Lid hervorgehobene Auge den Betrachter fest in den Blick nimmt. Van Gogh dagegen evoziert in seinem ein Jahr später entstandenen Bild «Alte Frau aus Arles» den Raum mit dem herkömmlichen Mittel der verkleinerten Wiedergabe des Bettgestells. Auch die Weise, wie Bernard die Porträtierte ins Bild setzt, ist weitaus kühner als die Placierung in der Bildmitte bei van Gogh. Dessen in Gelb-, Grün- und Blautönen gehaltenes, sehr harmonisches Bild wirkt daher im Vergleich zu demjenigen Bernards fast traditionell. Das gilt auch von dem sehr ausgewogenen Stillleben Gauguins, das malerische Reize in den dargestellten Früchten zur Wirkung bringt, wo Bernard in seinem Bild deutlich mit farblichen Verfremdungseffekten arbeitet.


Porträt der Großmutter 1887

Schon das «Porträt der Grossmutter» zeigt, dass Bernard mit der Entdeckung der vereinfachenden, flächenhaften Malweise behutsam umgeht, dass er sich der Grenzen des neuen Verfahrens bewusst ist. Das trifft auch für seine radikalsten Bilder zu. In der «Weizenernte» scheint die fast das ganze Bild einnehmende gelbe Fläche hinter den vier Gestalten in bretonischer Tracht wie eine Wand aufzuragen, nicht als Teil einer gegliederten Landschaft. Trotzdem verzichtet Bernard nicht ganz auf die Andeutung einer räumlichen Illusion. Die beiden Frauen im Vordergrund rechts sind deutlich grösser als die beiden männlichen Gestalten im Mittelgrund. Und auch die gelbe Fläche ist in der unteren Bildhälfte durch den Wechsel von dunkleren und helleren Streifen andeutungsweise räumlich gegliedert. Zwar dominiert der Gegensatz zwischen dem leuchtenden Gelb des Feldes und dem Schwarz-Weiss der Gewänder das Bild und nähert es einer abstrakten Komposition an, zugleich aber sind die Gestalten in ihrer räumlichen Verortung und in ihren Bewegungen präzise erfasst. Bernard scheint der Auffassung zu sein, dass die flächige Malerei traditioneller Elemente bedarf, um sich davon abzusetzen.


Weizenernte

Der Begriff des Dekorativen

Auf der Rückseite hat Bernard die «Weizenernte» als «dekorative Tafel» bezeichnet. Nun muss man wissen, dass für die an einer Flächenmalerei arbeitenden Künstler der Begriff des Dekorativen nicht abwertend konnotiert ist, sondern, im Gegenteil, das Ziel benennt, das sie sich gesetzt haben: die Schaffung einer Komposition mit malerischen und zeichnerischen Mitteln, nicht die Wiedergabe eines Realitätsausschnitts. Von Monfreid, einem Maler-Freund Gauguins, ist der Satz überliefert: «Besteht die Malerei nicht vor allem darin, eine Fläche mit dem Mittel der Farbe und der Zeichnung zu dekorieren?» Bernard hat in der Epoche des Cloisonnisme diese Auffassung geteilt. Im Begriff des Dekorativen schwingt gleichwohl – auch wenn die Flächenmaler das damals nicht wahrhaben wollten – eine pejorative Nuance mit: das unfreiwillige Eingeständnis der Einschränkung der Malerei auf das Sinnliche. Damit tritt aber ihr malerisches Ziel in Widerspruch zu dem spirituellen Anspruch, den sie unter Berufung auf Redon erhoben und der in den religiösen Bildern Bernards einen nicht immer überzeugenden Ausdruck gefunden hat.


Sur la colline

Frühere Bernard-Ausstellungen haben sich weitgehend auf das Frühwerk des Malers beschränkt, das sich bruchlos in die herkömmliche Geschichte der modernen Malerei einfügt. Auch die Mannheimer Ausstellung von 1990 hat nur wenige Beispiele aus dem Spätwerk gezeigt, das mit der Moderne bricht. Die Provokation der Bremer Ausstellung liegt darin, dass sie dieses breit dokumentiert und den an der klassischen Moderne geschulten Betrachter auffordert, sich zu diesen postmodernen Werken avant la lettre zu verhalten.


 Eisenbrücken in Asnières 1887

In den Jahren 1893 bis 1904, die er in Ägypten verbringt, malt Bernard mehrere grossformatige Frauenporträts, in denen sich die Rückkehr zu einer traditionellen Darstellung überdeutlich ankündigt. Neben den radikalen Frühwerken gehören diese Bilder zu den eindrucksvollsten der Ausstellung. «Die Afrikanerin» von 1895 zeigt die Frau des Künstlers im violetten Kleid auf einem Diwan sitzend. Den Kopf, nach links geneigt, mit der Hand abstützend, während die Rechte auf dem angezogenen Knie ruht, blickt sie mit gesenkten Lidern melancholisch vor sich hin. Man muss das Bild aus dem Folkwang-Museum Essen im Original sehen, um die abgründige Trauer dieses Blicks ganz zu erfassen. Dabei strahlen die Farben des Bildes – das den Diwan beherrschende Orange und das helle Violett des Kleides – eine Freude am Leben aus, die die hoffnungslose Niedergeschlagenheit der Frau umso stärker hervortreten lässt.


 L'Africaine 1895

Was das Bild unmittelbar überzeugend macht, ist die Tatsache, dass es die Spannung zwischen zwei unterschiedlichen Malweisen austrägt. Während der Diwan flächig gehalten ist und so gut wie keine räumliche Illusion suggeriert und auch die Gestalt der Frau wie im Cloisonnisme teilweise mit einer dunklen Linie eingefasst ist, hat der Maler ihr Gesicht fein herausgearbeitet. Zwei undefinierte Objekte in der unteren rechten Bildecke wirken als Störfaktor, der den Eindruck der Harmonie, den das Bild auf den ersten Blick machen könnte, aufbricht.


Frauen am Nil

Dieses Bild aus der Periode des Übergangs zu einer an der Renaissance orientierten Malerei ermöglicht, zumindest eine Hypothese darüber zu formulieren, was den Maler zu einem derart einschneidenden Stilwechsel hat motivieren können. Die herkömmliche Erklärung, dass er bei einem Spanien-Aufenthalt 1896/97 sich durch die Malerei Zurbaráns und Murillos habe beeindrucken lassen, lässt die Frage unbeantwortet, was ihn für «die plastische Erscheinung» empfänglich gemacht hat. Ganz davon abgesehen, dass die vor der Spanien-Reise vollendete «Afrikanerin» ihn bereits auf dem Weg zu einer anderen Malerei zeigt. Anders als bei seinem frühen «Porträt der Grossmutter», das das Ergebnis eines spontanen Wurfs sein dürfte, stellt sich Bernard in Ägypten das Porträt als bildkünstlerische Aufgabe, was bereits am repräsentativen Format der Bilder erkennbar wird.


Spanische Bettler, 1897

Vormoderne Verfahren?

Die Absicht, die seelische Befindlichkeit der dargestellten Frauen zu erfassen, hat ihn vermutlich bald zu der Einsicht kommen lassen, dass bei der Wiedergabe der Gesichtszüge das vereinfachende, die Flächigkeit des Bildes betonende Verfahren den Porträtmaler vor kaum zu lösende Probleme stellt. Macht es doch das Streben nach Vereinfachung dem Maler so gut wie unmöglich, Feinheiten des psychologischen Ausdrucks wiederzugeben. Mit der «Afrikanerin» zieht er daraus die Konsequenz und kehrt zunächst für die Gestalt zu einem vormodernen Verfahren zurück, das er später auch für den räumlichen Aufbau übernimmt.


Nach dem Bad

Picasso wird in seiner kubistischen Phase auf dasselbe Problem stossen. Mit «Olga im Lehnstuhl» von 1917 wendet auch er sich einer traditionellen, an Ingres erinnernden Malweise zu, freilich nicht dauerhaft. Übrigens wie Bernard in der «Afrikanerin» gestaltet auch Picasso den Lehnstuhl, auf dem Olga sitzt, flächig, dadurch das Bild als das eines modernen Malers kennzeichnend.


(Titel?)

Vielleicht ist das klassisch ausgewogene Bild die heimliche Sehnsucht des modernen Malers. Picasso jedenfalls hat es verstanden, sie sich zu erfüllen bei gleichzeitiger Verformung der menschlichen Gestalt. (Ich denke dabei vor allem an die Bilder der späten 1920er und 1930er Jahre, die 2005 in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen waren.) Bernard dagegen wendet sich 1908 den Venezianern zu und malt drei nackte Frauen «Nach dem Bad» – ein Ruhe ausstrahlendes Bild, das fast von Giorgione sein könnte.

Emile Bernard – Am Puls der Moderne. Kunsthalle Bremen. Bis 31. Mai 2015.


Ein Bordell, 1890

Nota. - Was heißt hier Spätwerk? Bernard hat bis 1941 gelebt. Was ist aus seiner Malerei geworden? Wenn er wirklich zu den alten Meistern zurückgekehrt ist, wäre auch das ein höchst bemerkendwerter Beitrag zur "Moderne" (langsam hasse ich das Wort und mag es nicht mehr ohne Gänsefüßchen gelten lassen).
JE

Montag, 27. April 2015

Wellen.


Ray Collins - Found at Sea Seascapes
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea SeascapeRay Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Ray Collins - Found at  Sea Seascape
Seascape, Fotoserie von Ray Collins                                                        aus Süddeutsche.de


Mittwoch, 22. April 2015

Nur im ästhetischen Zustand ist ein Ding 'an sich'.

  Früchte; Italien, spätes 16. Jhdt.

5. Ästhetisch betrachtet (unterm Gesichtspunkt des Schönen) sehen die Dinge so aus, als ob sie, über ihren logisch-operationellen Verweisungszusammenhang mit den andern Dingen der Welt hinaus, eine eigene Bedeutung an und für sich selber in Anspruch nehmen wollten; also ohne Verweisung auf Anderes; ohne (durch anderes) bezeichnet werden zu können. 

Indes, de singularibus non est scientia. Ästhetisch steht ein jedes nur für sich, es kann darüber nichts gesagt werden - man kann es lediglich 'betrachten'. Anders gesagt, das Ding-an-sich ist (s)ein ästhetischer Schein; oder, nur das, was "an" dem Ding als ästhetisch erscheint, ist "an sich". (Das Ding an sich ist das Ding, wie es ästhetisch erscheint; oder: An sich ist das Ding nur in ästhetischer Hinsicht; in jeder andern ist es immer für irgend ein anderes.- Die einzigen Qualitäten, die dem Ding 'an sich' zukommen, sind die ästhetischen; freilich auch nur, sofern sie wahrgenommen werden. - Für uns ist das Ansich nur als ein ästhetischer Schein...) 

Man kann sagen, ästhetisch gesehen, ist das Ding über-bestimmt; singularisiert: bis zur Unbestimmtheit bestimmt, da aus dem Zusammenhang ausgeschieden. (Bestimmung = Lokalisierung im allgemeinen Verweisungsgeflecht des Sprach- spiels) 

In der ästhetischen Betrachtung erscheint aber der ästhetische Schein als Schein; insofern ist Kunst (als spezifisch ästhetische Praxis) "immer kritisch"; aber im transzendentalen Sinn, nicht im politischen. Will sagen, sie ist ironisch, aber nicht satirisch. - Aller positiven Metaphysik ist das Ästhetische daher ein Ärgernis; weshalb sie es zu naturalisieren oder zu logifizieren sucht - oder beides zugleich, wie bei Hegel. 

Nota. Ästhetisch wahrgenommen werden nicht die Sinnenreize, sondern ihre Gestaltqualität; werden nicht perzipiert, sondern konzipiert. Das Ästhetische ist keine sachliche Eigenschaft, sondern eine Erlebensqualität.

 Chardin

Nachtrag 9. 1. 2014: 

Im ästhetischen Zustand befindet sich der Mensch, wenn er von sich absieht. Dass sein Hinsehen das Ding zu ihm in Beziehung setzt, geschieht dann auch nur an sich und nicht für ihn.
JE



Dienstag, 21. April 2015

Schillers "ästhetischer Zustand".

Carpeaux, Napolitanischer Fischerjunge 








Es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen
vernünftig zu machen, als indem man denselben
 vorher ästhetisch macht.
Schiller


SchillerDer Wegbereiter der Romantik war Friedrich Schiller. Sein Interesse am Ästhetischen  war – anders als bei Kant – von vornherein nicht bloß theoretisch, sondern politisch und pädagogisch. Seine Ästhetische Erziehung des Menschen entstand 1793/94 und rechtfertigte seine Abkehr von der (französischen) Revolution.[1] Die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft ist zwar ungebrochen, er knüpft weiterhin an Rousseau an: „Die Kultur, weit davon entfernt, uns in Freiheit zu setzen, entwickelt mit jeder Kraft, die sie in uns ausbildet, nur ein neues Bedürfnis,“[2] das uns gefangen nimmt, indem es das System der Arbeitsteilung hervorbringt, das den Menschen vereinseitigt und auf einen bestimmten Beruf festlegt. „Wir sehen  ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen entfalten, während dass die übrigen, wie bei verkrüppelten Gewächsen, kaum in matter Spur angedeutet sind. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als ein Bruchstück aus“ und wird dabei „bloß zum Abdruck seines Geschäfts“.[3]

Er erkennt aber auch den Fortschritt darin: „Die mannigfaltigen Anlagen im Menschen zu entwickeln, war kein anderes Mittel, als sie einander entgegenzusetzen. Dieser Antagonism der Kräfte ist das große Instrument der Kultur. Einseitigkeit in Übung der Kräfte führt zwar das Individuum unausbleiblich zum Irrtum, aber die Gattung zur Wahrheit.“[4] 

turnen-buben2Soll nun im Gattungsinteresse das Individuum dazu verurteilt bleiben, „über irgend einem Zwecke sich selbst zu versäu- men“? Wenn die Kultur mit ihren Künsten die Verkümmerung der Individuen unausweichlich machte, dann gilt es, durch eine „höhere Kunst“ die Totalität der Person wiederherzustellen.[5] Wer soll das tun, und wie? Die Revolution hatte alle Hoffnung auf den Staat gesetzt, aber die Menschen waren für die Freiheit noch nicht reif, die Republik wurde zur „Tyrannei gegen das Individuum“, bis es sich am Ende gar zur alten Unterdrückung zurücksehnen mochte![6] Der Staat fällt als Mittel der Befreiung aus. Umgekehrt, ein freier Staat wird erst möglich, wenn die Individuen zur Freiheit gebildet sind. „Man müßte also zu diesem Zwecke ein Werkzeug aufsuchen, welches der Staat nicht hergibt.“ Da er selber Künstler war, mußte Schiller nicht lange suchen: „Dieses Werkzeug ist die schöne Kunst.“[7] 

Die Doppelnatur des Menschen, mal Natur-, mal Vernunftwesen, kommt in seiner zwiespältigen Triebstruktur zum Ausdruck: Dem „sinnlichen Trieb“, der auf die Befriedigung der Bedürfinisse in der Zeit gerichtet ist, steht ein „Formtrieb“ gegenüber, der auf die – logische und moralische – höhere Bestimmung des Menschen in der Ewigkeit zielt. Der eine kommt aus dem prallen Leben, der andre reißt ihn über dessen Verstrickungen hinaus. Nur seinem sinnlichen Trieb preisgegeben, bleibt der Mensch eine Art Gemüse. Nur dem Formtrieb verfallen, erstirbt er dem Leben. 

BrettspielDoch es gibt ein Drittes, „in welchem beide verbunden wirken“: der Spieltrieb. [8] Der Gegenstand des sinnlichen Triebs heißt Leben, der des Formtriebs heißt Gestalt; „der Gegenstand des Spieltriebs wird also lebende Gestalt heißen können – ein Begriff, der allen ästhetischen Beschaffenheiten der Erscheinung und dem, was man in weitester Bedeutung Schönheit nennt, zur Bezeichnung dient“.[9] Im Spiel sind beide Naturen des Menschen zwanglos vereint, indem „gerade das Spiel und nur das Spiel es ist, das ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet. Mit dem Angenehmen“ – dem Gegenstand des Bedürfnisses, – „mit dem Guten und Vollkommenen“ – dem Gegenstand des Formtriebs – „ist es dem Menschen nur ernst“, und wer kann das aushalten? „Aber mit der Schönheit spielt er. Der Mensch soll mit der Schönheit nur spielen, und er soll nur mit der Schönheit spielen. Er spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“[10] 

Dann – mit dem 19. Brief – bricht Schiller seinen Gedankengang plötzlich ab. Soeben hat er Fichtes „Wissenschaftslehre“ gelesen.[11] Die beiden ‚Triebe’ läßt er nun beiseite, als legten sie einander brach: „Die Entgegensetzung zweier Naturnotwendigkeiten gibt der Freiheit ihren Ursprung”! Seither gibt es „in dem Menschen keine andere Macht als seinen Willen“. Jene „mittlere Stimmung“, wo die Triebe verstummen und der Mensch in seinen ursprünglichen „negativen Zustand der bloßen Bestimmungslosigkeit“ zurückkehrt, diesen „Zustand der realen und aktiven Bestimmbarkeit“ muß man „den ästhetischen heißen“. „In dem ästhetischen Zustand ist der...ist der Mensch Null. 
Mensch also Null“, nämlich „an Inhalt völlig leer“, und findet sich in der Freiheit wieder, „aus sich selbst zu machen, was er will. Das Vermögen, welches ihm in der ästhetischen Stimmung zurückgegeben wird“, ist „als die höchste aller Schenkungen zu betrachten“, und es ist „nicht bloß poetisch erlaubt, sondern auch philosophisch richtig, wenn man die Schönheit unsre zweite Schöpferin nennt.“[12] 

Der ästetische Zustand ist also ziemlich das Gegenteil von dem, was man landläufig Subjektivismus nennt. ‘Selbstvergessenheit’ – nach Fichte Bedingung alles Realen – wäre der treffende Ausdruck. 



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[1] Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen, zuerst erschienen in Schillers Zs. Horen; hier zit. nach: Fr. Schiller, Ausgewählte Werke Bd. 6, Stuttgart 1950 (Cotta) 
[2] ebd, S. 250 
[3] ebd, S. 252f. 
[4] ebd., S. 257 
[5] ebd, S. 259 
[6] ebd, S. 259-261 (7. Brief) 
[7] ebd, S. 263 
[8] ebd, S. 285 
[9] ebd, S. 287 
[10] ebd, S. 290f. 
[11] Fichtes Grundlagen der gesamten Wissenschaftslehre erschienen seit dem Frühjahr 1794 bogenweise als Handschrift für seine Zuhörer. Neu: Hamburg 1979 (PhB); auch in: Fichte, Sämtliche Werke Bd. I, Berlin 1971. – Beide waren Professoren in Jena, Schiller für Geschichte, Fichte für Philosophie. 
[12] Schiller aaO, S. 305-310

Montag, 20. April 2015

Für wen ist Kunst da?

 N.N.
aus Der Standard, Wien, 11. 1. 2014

Sammler oder Liebhaber?  
Nicht der Besitz des Kunstwerks, sondern dessen Ausstrahlung ist das Wichtigste: 
Was man eigentlich kauft, wenn man Kunst kauft

von Alfred J. Noll

Beim Kauf eines Toasters mögen viele Gründe eine Rolle spielen, aber vor allem soll das Ding gut toasten können; und wer sich zum Ankauf eines neuen Autos hinreißen lässt, der will vor allem, dass das Ding vier Räder hat und dass das Vehikel auch fährt. Was auch immer uns durch die Verlockungen der Warenästhetik nahegebracht werden mag, immer kommt dem in Aussicht genommenen Gebrauch der Sache eine herausragende Rolle zu: Toaster und Auto sollen funktionieren, zum Gebrauch geeignet sein. Der Wert der Sache bemisst sich also nicht unwesentlich an der Funktions- und Gebrauchstüchtigkeit der Sache.

Worin besteht der Wert eines Kunstwerks? Was dem Kunstwerk seinen Wert verleiht, das ist seine ästhetische Qualität. Indes: Die exzessiven Extreme der Preisgestaltung am Kunstmarkt können damit nicht erklärt werden (und die reinen Spekulationskäufe lassen wir hier außer Betracht). Der Wert eines Kunstwerks muss anders bestimmbar sein.

Kunst im Ritual

Ursprünglich ist der ästhetische Gegenstand ein Instrument zur Bewältigung von Welt durch das Ritual, durch die Magie. Kunst steht im Zusammenhang von Animismus, Fetischismus und Zauberei. Die Zeichnung etwa, die später abgelöst von ihrem instrumentellen Charakter als "Kunstwerk" ein reiner Anschauungsgegenstand wird, bleibt am Ursprung der geschichtlichen Entwicklung vorgeschichtlich noch ganz außerhalb des ästhetischen Bereichs; sie ist noch eingebunden in den instrumentellen Bereich der Welt-Bewältigung (sichtbar etwa in Felsmalereien in der Chauvet-Höhle aus der Eiszeit). Der Ursprung des Kunstwerks liegt im Bereich des Rituals (Walter Benjamin), und der (Gebrauchs-)Wert eines derartigen Kunstwerks stand im Zusammenhang mit einem religiösen Zeremoniell, das auf die eine oder andere ideologische Weise der Bewältigung von Welt durch Magie, Ritual, Mythos diente.



Ein derartiger Gebrauchswert unterscheidet sich nun aber ganz zentral vom Gebrauchswert jedes anderen Konsumgegenstandes oder jedes anderen Instruments. Während jeder Konsumgegenstand oder jedes Werkzeug übertragbar ist (das Fell des Bären, den der Jäger erlegt hat, kann von einem anderen wärmend genutzt werden als von dem, der ihn erlegt hat), bleibt der Ritualgegenstand aufs Engste an denjenigen gebunden, für den er diese Ritualfunktion hat. Er ist geradezu der Gegenstand, der nicht zum Gegenstand von Tauschbeziehungen werden kann: Das Goldene Vlies musste gestohlen werden, man hätte es nie von den Einwohnern einhandeln können; Jason musste es rauben, und dieser Raub war selbst wieder ein Sakrileg.

Der schaudervolle und gleichzeitig anziehende (göttliche) Charakter dieser Ritualgegenstände gibt ihnen zwar einen eminent hohen Gebrauchswert im Sinne eines geistigen, ideologischen, religiösen Gebrauchs; just dieser Charakter lässt ihnen aber nur einen gegen null tendierenden Tauschwert: Der Gebrauchswert eines solchen Gegenstandes kann gerade nicht durch Tausch realisiert werden. Damit wird die Sphäre der Kult- oder Ritualgegenstände als eine ganz eigene besondere Sphäre gegenüber allen anderen Gegenständen, die in die ökonomische Sphäre eingehen, abgegrenzt und ausgegrenzt. Erst später, im Laufe eines langen Säkularisierungsprozesses, werden diese Kultgegenstände zu ästhetischen Gegenständen. Es ist ein allmählicher Ablösungsprozess, in dem sich über die Zeit der rituelle Charakter jener Kultobjekte, der für die gesamte frühe Kunst aller Kulturen definitiv ist, von seinem religiösen Gehalt auf die Ebene der reinen Anschauung, der reinen Darstellung wandelt.

Reflexionswert der Kunst

Der Gebrauchswert des Kunstwerks besteht darin, dass es angeschaut wird. Nur durchs Anschauen kann das Kunstwerk zur Repräsentation dessen werden, für den es geschaffen wurde. Das Kunstwerk ist daher auch in keiner anderen Weise als nur durch Anschauung nutzbar zu machen. Das, was ein Objekt zum ästhetischen Objekt macht (was die Mona Lisa also davon unterscheidet, bloß ein Stück Materie zu sein, mit dem man auch etwas anderes machen kann), ist gerade die in der Anschauung wahrnehmbare und durch die Anschauung zu realisierende Darstellungsfunktion. (Das mindert nicht den treffenden Witz, den Duchamp zeigte, als er einfache Gebrauchsgegenstände als "Kunstwerke" ausstellte.)

Man kann das Kunstwerk nur von seiner Form her definieren, nicht aber von seinem materiellen Substrat. Das Wesentliche am Kunstwerk ist gerade seine spezifische formale Beschaffenheit. Der Gebrauchswert des ästhetischen Gegenstandes liegt in der Funktion eines Anschauungsgegenstandes, der primär sich als Repräsentation einer Gemeinschaft darstellt. Was in der Anschauung gegeben wird, d. h. die Selbstdarstellung eines gesellschaftlichen oder (etwa in der Porträtmalerei) eines individuellen Sachverhaltes, sagt nun aber nur durch seine formale Beschaffenheit etwas über den Wesensgehalt dessen aus, was Gegenstand dieser künstlerischen Darstellung ist. Die Form des Kunstwerks liefert die Information für den Betrachter.

Der Kunstgegenstand als Anschauungsgegenstand wird gerade durch seine Anschaulichkeit zu einem Gebrauchsobjekt. Die Darstellung ist nie eine naturalistische Eins-zu-eins-Wiedergabe, sondern eine Rekonstruktion des Dargestellten in anderen Verhältnissen unter einer bestimmten Perspektive. Daher wird der Inhalt einer Kunstdarstellung vom Betrachter nicht einfach hingenommen wie sonst ein Ding, das ihm in dieser Welt begegnet, sondern kraft der formalen Gestaltung, die das Ding in seiner Darstellung bekommt, wird es vom Betrachter aufgenommen als ein Moment der Reflexion auf das, was dargestellt ist.

Sobald das Kunstwerk nicht mehr Ritualobjekt ist, sondern zum reinen Anschauungsgegenstand wird, geht sein Gebrauchswert in das über, was man den Reflexionswert der Kunst nennen kann. Wo Kunst nicht durch Form, die sie dem Gegenstand gibt, Reflexion über die Welt anbietet, da ist sie nicht mehr Kunst. Wo nur ein Abbild hergestellt, eine bloße Reproduktion verfertigt wird (Totenmaske), hört die Kunst auf. Die formale Gestaltung des Gegenstandes bietet erst jene Ebene von Reflexion auf Sachverhalte dieser Welt dar, die den Informations- gehalt des Kunstwerks konstituiert. Indessen kann Kunst nicht ersetzt werden durch Begrifflichkeit oder durch Theorie, sie bietet vielmehr reflexive Erkenntnis über Welt auf der Ebene unmittelbarer Anschauung. [Oha.]

Privatisierte Gegenstände

Im bürgerlichen Zeitalter löst sich die Kunst von ihrem gesellschaftlichen Auftrag und bezieht sich auf individuelle Auftraggeber. Diese Privatisierung der Kunst setzt früh ein (holländische Bürgergemeinden des 17. Jh.s). Mit diesem Prozess der Privatisierung von Kunst trennt sich zugleich die Darstellungsfunktion von der Singularität und Unübertragbarkeit des Werks. Das aufkommende Bürgertum bemächtigt sich der Formen, Embleme und Symbole einer herrschenden Klasse (des Adels) und muss die gesamte Formensprache von dem unmittelbaren Bezug auf den Selbstausdruck und die Selbstdarstellung dieser herrschenden Klasse ablösen.

Die großen überindividuellen Themen werden aufgegeben, die Gegenstände werden privatisiert (Genremalerei). Der Auftraggeber versucht sich mittels des Emblemcharakters von Kunst, mittels des  Symbolcharakters, den Kunst als Selbstdarstellung von gesellschaftlicher Macht hat, zu schmücken; er veröffentlicht sozusagen seine ökonomische Macht in ästhetischer Darstellung. In diesem Prozess wird nun die Einmaligkeit des Gebrauchswertes eines solchen Repräsentationsgegenstandes hinfällig, die bei dem unmittelbaren Bezug auf den gesellschaftlichen Auftraggeber gegeben war; d. h. der private Auftraggeber, der nicht mehr identisch ist mit dem gesellschaftlichen Ganzen, kann sich des Kunstwerks auch insoweit bemächtigen, als er Werke, die für andere Repräsentationszwecke geschaffen wurden, sich aneignet und sich mit ihnen ausstattet und schmückt.

Beim Kauf eines Kunstwerks soll dessen emblematischer ritueller, numinoser Charakter miterworben werden. Der Kunsthandel setzt also in jenem Augenblick ein, in dem die Einmaligkeit der Beziehung zwischen Auftraggeber und Künstler und die Einmaligkeit der Zuordnung des Kunstwerks zu seinem besonderen Darstellungszweck in einer allgemeinen Austauschbarkeit von Kunstwerken auf dem Kunstmarkt aufgehoben wird.

In der Überführung von Kunst in die Anonymität des Marktes, in der Entpersonalisierung des unmittelbaren Kunstschaffens, liegt die Freisetzung des Künstlers und andererseits eine neue Abhängigkeit, insofern der Künstler nun den Gesetzen des Marktes, d. h. den Gesetzen des Tauschwertes unterworfen ist. Die nun in der Öffentlichkeit präsentierten Werke haben Autorität, sie gelten als anerkannte Meisterwerke - und in dem Maß, in dem Bilder zu Exponaten in Museen oder gar zu hochgeschätzten Lots in Auktionen werden, werden sie akklamiert - und gekauft.

Theodor W. Adorno hat in seiner Ästhetik-Vorlesung 1958/59 den dadurch zutage tretenden Fetischcharakter im Kunsthandel deutlich denunziert: "Sie konsumieren in Wirklichkeit nur das diesem Werk zugewachsene Prestige." Das Kunstwerk erhält seinen Wert nun nicht mehr durch seine rituelle Funktion oder durch seinen Reflexionsgehalt, sondern einen Handelswert, weil es zum Ausdruck der ideologischen Selbsterhöhung jener wird, die als Sammler von Kunst, als Käufer von Kunstgegenständen auftreten, die sich die ästhetische Selbstdarstellung leisten können. Das Kunstwerk wird zum Ausdruck eines ideologischen Selbstverständnisses derer, die als Sammler, als Promotoren der Kunst erscheinen. Der potenzielle Reflexionswert des Kunstwerks wird dadurch, dass es auf den Markt geworfen und den dort herrschenden Gesetzen ausgesetzt wird, zwar nicht prinzipiell vernichtet, aber dieser Wert wird solcherart ständig ausgehöhlt.

"Unbrauchbare" Sammlungen

Der Sammler glaubt Kultur durch Inbesitznahme von Kunstwerken usurpieren zu können. Der Sammler meint, mit dem Resultat des schöpferischen Prozesses zugleich den schöpferischen Geist nach Hause tragen zu können. Der Sammler ist jenen Schildbürgern nicht unähnlich, die dachten, dass sie in ihr fensterloses Rathaus den Sonnenschein in Eimern hineinzutragen vermöchten. 

Der Sammler erstrebt ein Sein, das er nicht hat und nicht haben kann. Er will über etwas als Eigentum verfügen, das nicht als Eigentum besessen werden kann: die Fülle der Welt.

Was nur in der eigenen Arbeit des Lernens und Denkens erfahren werden kann, das will der Sammler  als Objekt zu eigen haben. Er entscheidet sich für den Besitz. Doch der Erwerb eines Kunstwerks unterscheidet sich wesentlich von jedem anderen ökonomischen Vorgang: Es wird weder investiert noch konsumiert. Denn das Kunstwerk ist kein Produktionsmittel, aber es hat auch keinen Gebrauchszweck: Kann man einige Bilder, Plastiken, Keramiken noch als Zimmerschmuck verwenden, so ist bereits eine etwas umfänglichere Sammlung für den Besitzer "unbrauchbar". Wer Tausende von Blättern, Grafiken in seinen Mappen aufbewahrt (wie wir das eben von Cornelius Gurlitt erfahren haben), wird sie kaum öfter betrachten, als er es auch bei einem Museumsbesuch tun könnte.

Bilder im Magazin, Hunderte von Kleinplastiken in Vitrinen und Kommoden verstaut - das sind keine Gebrauchswerte mehr. Der Schatzgräber triumphiert, er hat den reinen Besitz gefunden. (Sammler, denen dies bewusst wird, machen ihre Stücke der Öffentlichkeit zugänglich: Sie bauen sich Museen oder stellen Leihgaben zur Verfügung.) Kunst und Besitz stehen in einem antinomischen Verhältnis zueinander.

Der deutsche Kunstphilosoph Hans Heinz Holz hat es so gefasst: Nur der Liebhaber gibt sich der Sprache des Werks hin, er lässt sich anrühren. Der Liebhaber lässt sich treffen von jener Vollkommenheit, als deren Vorschein das Kunstwerk aus der Geschichte heraustritt und zum Absoluten, zum Symbol der Ankunft wird - einer Ankunft, die noch in der Ferne aussteht. Der Liebhaber kann den ursprünglich religiösen Sinn des Kunstwerks abstreifen, die Aura des Kunstwerks wird zum Zeichen einer weltlichen Heilserwartung. Von ihr lässt sich der Liebhaber ergreifen.

Nicht der Besitz, sondern die Ausstrahlung ist ihm das Wesentliche. Der Liebhaber will besitzen, um anzubeten, und er besitzt daher nur wenig. Der Liebhaber gibt der zur Ware verkommenen Kunst ihren sakralen Charakter zurück: als Zeugnis einer Verheißung, die indes nicht als Gnade, sondern nur als Frucht menschlicher Selbstverwirklichung eintreten kann. Eine Selbstverwirklichung, zu der das Kunstwerk aufruft, wie in jenem lapidaren Satz, mit dem Rilkes Sonett über den Torso eines archaischen Apoll endet: "Du musst dein Leben ändern." 

Alfred J. Noll arbeitet als Rechtsanwalt, Hochschullehrer und freier Publizist in Wien. 2011 erschien von ihm "Abnehmende Anwesenheit. Ein Pamphlet zur Kunst-Rückgabe in Österreich" (Czernin-Verlag).


Nota. - Das bedarf dringend eines Kommentars. Und sei es nur der Hinweis, dass die spezifisch  ästhetische Qualität einer Sache gerade darin besteht, dass sie nicht [über] 'die Dinge der Welt reflektiert' und (irgendwie) die Reflexion 'anschaulich macht'; sondern darin, dass sie selber nichts als anschaulich ist.

Es ist nicht zweckmäßig, Kunst anhand der Merkmale ihrer Werke definieren, und namentlich nicht, aus dem 'Wesen der Kunst' das Wesen des Ästhetischen ermitteln zu wollen. Da beißen sich die Katzen unablässig in die Schwänze. Gangbarer ist es, den Aufstieg 'der Kunst' zu einer gesellschaftlichen Instanz nachzuzeichnen; wobei ihre zweifellos rituellen Ursprünge eine erste Fährte sind. Dann kann man daran gehen, die Verschiebung bei den Merkmalen der Werke vom Ritual über die Repräsentation (von was für wen?) bis hin zum bloßen Medium des ästhetischen Zustands zu untersuchen.

Einen raschen Zugang zu den Mysterien des modernen und postmodernen Kunstmarkts findet man so freilich nicht...
JE