Ein Kriminalstück um Bretter
"Zersägt": Barocke Theaterkulissen in Villingen-Schwenningen.
von Hans-Dieter Fronz
Die Tatopfer liegen, schrecklich entstellt und zerstückelt, bereits in der Pathologie, eine Sonderkommission wurde gebildet, Tatzeitpunkt wie -hergang sind noch ungeklärt, die Ermittlungen schon in vollem Gange. Das Verbrechen: eine Art barockes Kettensägenmassaker, der Fundort: die Kanzleigasse 3 in Villingen-Schwenningen. Bei der Sanierung eines denkmalgeschützten Bürgerhauses in der Villinger Innenstadt fielen bei der Entfernung von Deckendielen die parzellierten und bereits stark ausgebleichten Überreste der weniger um die Ecke gebrachten als in die Decke verbrachten Tatopfer den frappierten Hauseigentümern in Stücken unterschiedlicher Größe buchstäblich vor die Füße. Unter anderem starrte ihnen aus hohlen Augen eine schauerliche Gruppe von Totenköpfen entgegen.
Die Sonderausstellung im Franziskanermuseum in Villingen-Schwennigen inszeniert sich als Kriminalstück. Mit einer Soko-Pinnwand, die wie im Fernsehkrimi Fotos, Texte und grafische Darstellungen vereint. Mit einer Pathologie, in der die "Leichenteile" auf einer Art Seziertisch abgelegt sind. Und mit Exponaten, die sich in zwei Sälen sowie einem Flurstück wie in einer ausgedehnten Asservatenkammer darbieten. Schon der Titel transportiert die leitende Idee, die hier gewissermaßen auf dem Dachboden lag: "Zersägt. Ein Krimi um barocke Theaterkulissen".
Ein Parforceritt durch die Theatergeschichte
Ungewöhnlich und zukunftsweisend ist auch der Gedanke, den Besucher aus der Rolle des passiven Rezipienten herauszuholen und zu aktiver Mitgestaltung zu animieren. Beim Betreten der Schau gesellt er sich automatisch zum erweiterten Kreis des Ermittlungsteams aus Konservatoren und Restauratoren, Bauforschern und Dendrochronologen, Kunsthistorikern und – weil es sich bei den Fund- stücken um Relikte von barocken Theaterkulissen handelt – Literaturwissen- schaftlern. So kann er die Teile des Puzzles aus rund 170 Holzklötzchen mit farbigen Motiven, die maßstäblich den bemalten Brettern gleicher Zahl entsprechen, auf einer seziertischähnlichen Ablage zu sinnvollen Kombinationen zusammensetzen. Und er kann – sachdienliche Hinweise werden dankbar entgegengenommen – mit Tipps und Anregungen die Soko Kanzleigasse zu neuen Erkenntnissen führen. Vielleicht dass tatsächlich Bürger der Stadt zusätzliche Indizien beisteuern, die zur weiteren Aufhellung oder Aufklärung des Falles beitragen?
Denn noch so manche Einzelheit liegt im Dunkeln – was die Schau zu nicht unerheblichen Teilen zu einer Ausstellung in Frageform macht. Woher genau etwa stammen die zersägten Theaterkulissen, die da in hemdsärmeliger Zweitnutzung in die Zwischendecke eines Bürgerhauses eingebaut waren? Vermutet wird,
dass sie zum Schultheater des Mitte des 17. Jahrhunderts in Villingen errichteten Gymnasiums des Franziskaner- ordens gehörten. Doch käme auch das Gymnasium des Benediktinerklosters in Frage. Oder: Aus welcher Zeit stammen die Kulissen? Und für welche Theaterstücke fanden sie Verwendung? Die Motive der von professioneller Hand auf Holz gebannten Malereien sind zu unspezifisch, als dass sie eindeutige Rückschlüsse erlaubten: eine städtische Szene zum Beispiel oder Ansichten von Gärten und Landschaften; die Fassade eines Palasts, ein Proszenium oder auch ein Bühnenvorhang. Nicht zu vergessen das eingangs erwähnte Bruchstück mit einer Ansammlung von Totenköpfen.
Die Präsentation der Fragmente von Theaterkulissen in ausgesuchten einzelnen Stücken sowie in einer installativen Nachbildung einer barocken Gassenbühne – also in perspektivisch gestaffelter Aufstellung von Kulissenteilen – wird garniert mit Exponaten zu einem expositorischen Parforceritt durch die Theatergeschichte der frühen Neuzeit und des Barocks. Dafür wurden Leihgaben aus dem Deutschen Theatermuseum in München, Kloster Einsiedeln in der Schweiz oder dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg an die Brigach geholt. Wir erfahren manches Interessante nicht nur übers Klosterschultheater, sondern etwa auch das höfische, das bürgerlich-städtische oder das Wandertheater. Zudem über die Passionsspiele der Franziskaner und Benediktiner in Villingen sowie anderen Städten im deutschen Südwesten – oder über erstaunliche Zusammenhänge des Klosterschulheaters mit der alemannischen Fasnachtskultur.
Franziskanermuseum Villingen-Schwenningen, Rietgasse 2. Bis 23. Februar, Di bis Sa 13–17, So 11–17 Uhr.
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