Donnerstag, 30. Januar 2014

Kunst und das Einmalige.

Honoré Daumier, Conseils à un jeune artiste

Musik sei nicht zu unbestimmt, um in Worte gefasst zu werden, hat Felix Mendelssohn gesagt, sondern zu bestimmt. 

Heute würden wir sagen: Das Musikstück – und jedes Kunststück – ist überbestimmt. So sehr bestimmt, dass es durch allgemein-geltende Zeichen eben nicht sicher erfasst und vollkommen re-präsentiert werden kann. Das Kunststück ist singulär. De singularibus non est scientia - Von einem Einzigen gibt es kein Wissen, sagten die Scholastiker. Das, was ganz allein auf der Welt so ist, wie es ist, das kann durch kein Anderes – Bekanntes – auf der Welt beschrieben werden. Es ist lediglich quale; schon quid wäre zu viel gesagt, weil das an ein Verhältnis zu Anderem glauben lässt.

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Das ist eine erkenntnislogische Sache. Was hat das mit Kunst zu tun? Dies, dass Kunst als solche keine Erkenntnis ist. Als solche, das heißt: sofern sie um ihrer selbst und nicht um eines ihr äußeren Zweckes willen besteht. Das ist aber bei den Werken und sogar den einzelnen künstlerischen Gattungen ganz verschieden. Selbst die Musik, die nur hörbar ist, solange sie erklingt, hat man ein 'Programm' verkünden lassen. Es stört aber meistens, und man tut der Musik und sich einen Gefallen, wenn man es übersieht. 

Nicht übersehen lässt sich das Programm, das Thema, die Absicht in den bildenen Künsten. Das Bild als Zeichnung kann ganz unbemerkt zum Zeichen werden für etwas, das nicht es selber ist. Wenn der Betrachter es so nimmt, tut er der Kunst kein Unrecht, das gehört zu ihren Unwägbarkeiten, aber vielleicht dem Künstler, der es nicht so gemeint hat, und sich selber, den der damit von der ästhetischen Qualität des Werks ablenkt. 

Und wenn der Künstler selber es so gemeint hat? 

Die Verbindung von Zeichnung und Zeichen ist nicht bloß ein Wortspiel. Die Zeichnung ist am Bild das, was am deutlichsten zeigt, was gemeint ist. Der Umriss der Dinge und Figuren, ihre Binnenlinien sind dasjenige, war das Gezeigte im Raum situiert. Die Zeit steht im Bild zwar still, aber dennoch kann das Bild eine Geschichte erzählen, indem es nämlich eine Szene daraus darstellt. 

Raum und Zeit sind nun die beiden Merkmale des Wirklichen, mit und in dem wir leben und unsere Interessen haben. Das Wirkliche, das, was uns interresiert, ließe sich auch in Worte fassen, die das spezifische Medium der scientia sind. Was immer sich in Worte fassen ließ, war mit Anderm zu vergleichen und positiv oder negativ oder sonstwie in Beziehung zu setzen. Es war dann kein Einzelnes, sondern etwas, an dem ich Interesse haben und von dem ich wissen kann. 

Darf der Künstler es dann in ästhetische Gewänder kleiden und womöglich unerkannt dem Betrachter in die Sinne schmuggeln? Das kann er machen, wenn er sich nicht dabei geniert. Aber die Betrachter - es gibt eben doch einen Fortschritt in der Kunst - haben es im Laufe der Jahrhunderte immer weniger zu schätzen gewusst und teils als Agitprop, teils als Kitsch und teils als Agitpropkitsch verschmäht.

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