Sehnsucht nach dem ästhetischen Leben
Münchner Ausstellung über Künstlerhäuser als "Tempel des Ich".
von Christian Gampert
von Christian Gampert
Das größte und schönste Exponat der Ausstellung "Tempel des Ich" ist die Villa Stuck selbst, ein neoklassizistischer Bau, den der schon als junger Mann erfolgreiche Münchner Maler Franz von Stuck für sich und seine Frau entwarf; kurz vor 1900 wurde er gebaut. Stuck, Mitglied der Münchner Sezession, erhoffte eine Erneuerung der Künste durch die noch archaisch anmutenden Formen der ganz frühen Antike, und so ist auch seine Villa gestaltet: Als Gesamtkunstwerk vereinte sie strenge klassizistische Architektur, Malerei, Skulptur, Möbel- und Raumdesign – der perfekte Rahmen für eine Schau über Künstlerhäuser.
Vor dem Haus steht noch heute signalhaft eine speerwerfende Amazone, und in der opulenten, vom Jugendstil geprägten Innenausstattung ist jedes Detail durchdacht. Über viele Jahre wurde weiter daran gefeilt. Stuck fand seine Vorbilder aber nicht in München, sondern in London. Dort hatten Mitte des 19. Jahrhunderts der Antikenmaler Lawrence Alma-Tadema und Sir Frederick Leighton, der Präsident der Royal Academy, sich Häuser gebaut, die eher orientalisierenden Schatztruhen und Kunstpalästen glichen als bewohnbaren Häusern. Alma-Tadema, der Pompeji vermessen hatte, konstruierte Blickachsen nach antiken Vorbildern und Geometrien. Leighton nutzte Stoffe und Stickereien, Mitbringsel von seinen Reisen in die Türkei und den Orient, nicht nur als Staffage in seinen Bildern, sondern auch in seinem Wohnumfeld: Das Fremde wurde ins pompös ausgestattete großbürgerliche Heim geholt – Exotismus pur.
Leighton House, Arab Hall, London; Lord Leighton war nicht bürgerlich.
Auch Franz von Stuck stattete sein Haus wie ein Museum aus, baute aber später einen Atelierflügel an. Genau diese Einheit aus Wohnen und Arbeit verwirklichte schon Mitte des 19. Jahrhunderts der englische Maler, Sozialist und spätere Unternehmer William Morris. Obgleich politisch fortschrittlich, träumten er und seine Frau Jane Burden einen eher rückwärtsgewandten Traum vom Mittelalter. Für ihr "Red House" in Kent, für Garten und Innenausstattung waren die King-Arthur-Sagen und gotische Formen das Vorbild, Surrogate höfischer Kunst. Zusammen mit seinen Maler-Freunden der präraffaelitischen Bewegung und deren Frauen schuf das Ehepaar Morris eine eigene Welt, mit Wandbemalungen, Tapisserien und Stickereien. Das "Red House" wurde zur Keimzelle der englischen "Arts-and-Crafts"-Bewegung, die mit ihrer teils schwülstigen Formensprache das Kunstgewerbe revolutionierte. Eine merkwürdige Gesellschaftsutopie: Alles musste schön sein und bedeutungsvoll.
William Morris' Red House in Bexleyheath
Die Ausstellung führt in Fotos, Möbeln, Skizzen eine ganze Reihe solch selbstbezogener, zum Teil auch sendungsbewusster Entwürfe vor. Ein Höhepunkt des Narzissmus ist das Brüsseler Haus des belgischen Symbolisten Fernand Khnopff. Die schmale weiße Fassade wurde von einer Aphrodite gekrönt, das Atelier ist wie das Querhaus einer gotischen Kathedrale angebaut, und innen im Heiligtum wurden Khnopffs sämtliche Werke dargeboten. Innen hatte es totenstill zu sein.
Maison Khnopff, Wandbild
Als Gegenbeispiel fungiert der Schweizer Bergmaler Giovanni Segantini, der Ende des 19. Jahrhunderts unter ärmlichsten Verhältnissen im Engadin lebte, in den Hochalpen malte und seine gestrichelten Riesenformate nachts in Bretterverschlägen aufbewahrte – die Bretterbude als Künstlerhaus. Aber auch Segantini wurde kurz vor seinem Tod, verführt durch einen gutbezahlten Auftrag für die Pariser Weltausstellung, noch von der Sehnsucht nach einem repräsentativen Heim gepackt. Er wollte sich oberhalb von Maloja in großartigster Lage ein Schloss mit Blick über den Silser See bauen; das Ganze im Stil des Mittelalters.*
Max Ernst arbeitet an seinem Atelierhaus in Sedona, Arizona.
Die Ausstellung führt vom Geniekult des 19. Jahrhunderts in die Moderne, zu Monets Landhaus mit dem Seerosen-Garten in Giverny, zum kubistischen blauen Haus des Malers Jacques Majorelles in einem Palmenhain bei Marrakesch und zu Max Ernsts kargem Heim in Arizona. Die meisten der Häuser sind Selbsterweiterungen und narzisstische Größenphantasien, die im Luxus schwelgen; aber sie beeindrucken durch die Umsetzung eines ästhetischen Programms, das heute veraltet und oft kitschig erscheinen mag, das zur Zeit seiner Entstehung aber revolutionär war.
München, Villa Stuck, Ausstellung "Tempel des Ich". Bis 2. März, Di bis So 10–18 Uhr, Fr 10–21 Uhr. Mehr Informationen unter http://mehr.bz/stuck
*) Segantini ist in seiner Bretterbude gestorben, weil es der Arzt, der ihm helfen wollte, nicht rechtzeitig bis auf seinen Felsen geschafft hat.
JE
aus Der Standard, Wien, 7. 1. 2014 Treppenhaus von Sir John Soane, links oben die Büste des Haussherrn
Klar Schiff im Dachgeschoß des Künstlerkopfes
Das Museum Villa Stuck zeigt mit "Im Tempel des Ich" die Idee vom Künstlerhaus als Gesamt-Ego-Werk
Das Haus des Künstlers kann ein Palazzo sein, ein Zelt oder ein Mausoleum mit Schiff. So wie jenes, das sich der großspurige Feuerkopf, Fin-de-Siècle-Dichter und Pilot Gabriele d'Annunzio am Gardasee errichten ließ: "Il Vittoriale degli Italiani". Ferdinand Cheval hingegen, als Künstler ein Autodidakt und von Beruf Postbote, baute 33 Jahre lang in Hauterives im Département Drôme an seinem "Palais Idéal", einem pittoresken Palazzo, der 1969 um Haaresbreite dem Abriss entging. Donald Judds Ateliersiedlung im texanischen Marfa dagegen ist inzwischen Sitz der Stiftung, die das Werk des US-Minimalisten vertritt, und stiller Arbeitsort von Künstlern; zugleich sind die Kuben in der Chihuahua-Wüste direkt Judds Kunst entsprungen.
d'Annunzio, Il Vittoriale degli Italiani
Das Ich als Spiegel, das Künstler-Ich gespiegelt in gebauter Inszenierung: Das macht die Idee des Künstler-Hauses aus. Die Verwandlung von gelebter Lebenszeit in gemauerte Bau-Kunst ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Schon vor Richard Wagner gab es Gesamtkunstwerk-Künstlerhäuser, die das Leben zur Kunst verklärten und die Kunst des Lebens vorführten. Erster war wohl Andrea Mantegna, der sich ab 1476 außerhalb der Altstadt von Mantua eine Künstlervilla erbaute.
Franz von Stucks Musiksalon mit Orpheus-Wand.
Das Museum Villa Stuck zeigt nun 20 Künstlerhäuser aus knapp 150 Jahren, gebaute Traumhäuser oder Traum gebliebene Projekte, die zwischen 1800 und 1948 entstanden. Bekannte Gebäude sind darunter, Haus und Garten von Claude Monet in Giverny, mythisch umflorte wie Kurt Schwitters' Merzbau in Hannover, der im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Aber auch weniger bekannte wie der eigenwillige Doppelrundturm Konstantin Melnikows in Moskau.
Claude Monets Gelbes Speisezimmer in Giverney
Nippon und Nippes
Das die Kunst zur ästhetisierenden Geist-Religion erhebende Gebäude Fernand Khnopffs, das wenige Jahre nach seinem Tod 1921 abgerissen wurde. Oder Mortimer Menpes' Atelierwohnhaus im Londoner Bezirk Chelsea, in dem der Künstler Nippon nachbildete, Insel und Refugium in einem - Menpes (1855-1938) posierte auch selber im Kimono. Gustave Moreau (1826- 1898) arbeitete seine letzten acht Lebensjahre ausschließlich daran, sein Wohnhaus in ein Museum zu verwandeln. Er widmete sich hingebungsvoll exakter Katalogisierung, Hängung, Umgruppierung; bis heute ist das Musée Gustave Moreau in Paris im Originalzustand verblieben.
im Haus von Gustave Moreau
Kuratorin Margot Th. Brandlhuber geht, großformatige Fotos mit Gemälden und Wohnobjekten kombinierend, chronologisch vor, von John Soames' Haus in London, dem ab 1800 entstehenden Kunstsammlungstempel, über William Morris' Red House, die Schlossbauten der Viktorianer Frederic Lord Leighton und Lawrence Alma-Tadema und des Amerikaners Frederic Edwin Church über den Traum Giovanni Segantinis von einer Malerburg auf dem Malojapass 1898, das expressionistische Atelier-Denkmalbau Johann und Jutta Bossards südlich von Hamburg sowie Theo van Doesburgs Atelierhaus bis zu Jacques Majorelles Anwesen Bou Saf Saf in Marrakesch, das er bis zu seinem Tod 1962 gestaltete und das mit seinen Bildern verschmolz (und Jahre später von Yves Saint Laurent vor Zerstörung bewahrt wurde).
Jacques Majorelles Atelierhaus in Marrakesch, 1931 gebaut nach seinen Entwürfen, seit 1937 im typischen »bleu Majorelle«
Entsprechen aber die letzten zwei Beispiele wirklich noch dem Typus des Ich-Reflektors Künstlerhaus, die zwei Gebäude, die Georgia O'Keeffe in New Mexico nacheinander bewohnte, und jenes schlichte Holzhaus, das Max Ernst in Sedona in Arizona für sich und Dorothea Tanning eigenhändig zusammennagelte, was eine schöne Suite von Fotografien zeigt? Eher nicht. Es waren keine Villen im universalistischen Gesamtkunstwerksinn. Auch wenn die visuellen Eindrücke von Haus und Umgebung aufgegriffen zu Kunst transformiert wurden, bei Max Ernst in auf Archaisches reduzierte, skulpturale Arbeiten.
Die Nummer 20 sucht man am Ende vergeblich. Befindet man sich doch in ihr, im Museum. Denn der Parcours endet in den Privaträumen der Künstlervilla Franz von Stucks.
Bis 2. 3.
im Kunsttempel von Johann und Jutta Bossard, 1926–1935
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