Melancholie und Selbstgewissheit
Der fordernde Blick - Eine Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum zeigt Albrecht Dürer im Kontext der Vorgänger und Zeitgenossen
Der fordernde Blick - Eine Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum zeigt Albrecht Dürer im Kontext der Vorgänger und Zeitgenossen
von Andrea Gnam
Das Frankfurter Städel-Museum zeigt die Entwicklung, Vielfalt und Besonderheit von Albrecht Dürers Werk im permanenten Zwiegespräch mit Bildschaffen und Weltverständnis seiner Zeitgenossen und Vorgänger.
Zeit des Umbruchs
Das Eingangsbild der Frankfurter
Ausstellung (kuratiert von Jochen Sander) zeigt nicht den lockenköpfigen
jungen Dürer, der sich so gerne auf seinen Bildern in verschiedenen
Figuren festhielt, oder die Dame, die einmal auf dem deutschen
Zwanzigmarkschein die Marktteilnehmer grazil durch das finanzielle Leben
zu leiten wusste, sondern eine spätmittelalterliche Marterszene aus der
Nürnberger Werkstatt von Hans Pleydenwurff, sechs Jahre vor
Dürers Geburt im Jahr 1471 datiert. Eine grausige Tat - ein andersgläubiger König enthauptet seine mariengleiche, christliche Tochter mit einem Schwert - ist mit grosser Innigkeit und vor ausgebreiteter Weltenlandschaft ins Bild gesetzt. Erdbeeren, Maiglöckchen, Akelei am Bildrand, allesamt Marien-Symbole, sind mit bezaubernder, an altniederländischer Kunst geschulter Akribie erfasst. Das Tafelbild steht trotz der noch dem alten Sehen verhafteten Landschaftsdarstellung am Anfang und führt vor Augen, was Dürer übernommen hat - das genaue Hinschauen auf die Eigenart von Pflanzen, Blumen, Tieren - und wovon er sich lösen musste, um in die Welt der Renaissance einzutauchen. Die geistige Umbruchsituation im 15. Jahrhundert ist immens und geht Hand in Hand mit technischen Neuerungen, wie dem nur einige Jahrzehnte vor Dürers Geburt ins Leben gerufenen Buchdruck
oder Einblattholzschnitt und Kupferstich, die innerhalb kurzer Zeit eine Art Medienrevolution in Gang setzten. Hinzu kommen Zentralperspektive und Proportionslehre in Italien, Luthers reformatorische Bestrebungen in Deutschland. Auf der anderen Seite ist das körperliche Elend geblieben: Pest und weitere Geisseln halten Endlichkeit und Tod nach wie vor präsent.
Dürers Geburt im Jahr 1471 datiert. Eine grausige Tat - ein andersgläubiger König enthauptet seine mariengleiche, christliche Tochter mit einem Schwert - ist mit grosser Innigkeit und vor ausgebreiteter Weltenlandschaft ins Bild gesetzt. Erdbeeren, Maiglöckchen, Akelei am Bildrand, allesamt Marien-Symbole, sind mit bezaubernder, an altniederländischer Kunst geschulter Akribie erfasst. Das Tafelbild steht trotz der noch dem alten Sehen verhafteten Landschaftsdarstellung am Anfang und führt vor Augen, was Dürer übernommen hat - das genaue Hinschauen auf die Eigenart von Pflanzen, Blumen, Tieren - und wovon er sich lösen musste, um in die Welt der Renaissance einzutauchen. Die geistige Umbruchsituation im 15. Jahrhundert ist immens und geht Hand in Hand mit technischen Neuerungen, wie dem nur einige Jahrzehnte vor Dürers Geburt ins Leben gerufenen Buchdruck
oder Einblattholzschnitt und Kupferstich, die innerhalb kurzer Zeit eine Art Medienrevolution in Gang setzten. Hinzu kommen Zentralperspektive und Proportionslehre in Italien, Luthers reformatorische Bestrebungen in Deutschland. Auf der anderen Seite ist das körperliche Elend geblieben: Pest und weitere Geisseln halten Endlichkeit und Tod nach wie vor präsent.
Dämon im Barthaar
Solchermassen eingestimmt, gilt es
inmitten der ausgebreiteten Querverweise und Bildvergleiche die
Besonderheit des Dürerschen Werks zu erkunden, der innige
Marienbildnisse, aber als junger Mann auch ohne jede religiöse
Kontextualisierung vier nackte Frauen in Kupfer sticht (1497), frontal
und a tergo, so präsent und nur wenig idealisiert in ihrer
Körperlichkeit, dass sie als Hexen eingestuft wurden, zumal auch ein
Teufelsdämon in der Ecke lauert. Ausgeprägte Körperlichkeit, ehe er nur
wenige Jahre später mittels Zirkels und Richtscheits ans Idealisieren
und Auffinden idealer Proportionen für Körper, Bauwerke und Schrift
geht, zeigen auch Badehausszenen und eine herrliche Nemesis (1501), die
hocherhobenen Hauptes mit Zaumzeug und Pokal in Händen auf einer Kugel
über einer altdeutschen Landschaft schreitend balanciert, als könnte das
gar nicht anders sein.
Nemesis |
Studie zum Heller-Altar, 1508
Bei sehr detailreichen,
durchgehend bespielten Ansichten im druckgrafischen Werk glaubt man
indes, bei langem und genauem Hinsehen, ein Hin-und-Her-Springen
zwischen Komposition und Zeile-für-Zeile-Lektüre des Bildes zu
entdecken. Letzteres ist fast notwendig, um die Fülle des auf einem Bild
Gezeigten zu bewältigen, so beispielsweise in den 15 Holzschnitten zur
«Apokalypse», die den Grundstock für Dürers kommerziellen Erfolg legten.
Dieses vexierbildhafte Hin-und-Her-Springen mag angesichts des
apokalyptischen Treibens mit Schwertern und Lanzen und der Technik des
Holzschnitts nicht unpassend sein, aber auch bei den vier nackten Damen
erschliessen sich bei einem solchen, eher schematischen Lesevorgang
zusätzliche formale Querbezüge.
Das siebenköpfige Tier aus dem Meer und das Tier mit den Lammshörnern
Das siebenköpfige Tier aus dem Meer und das Tier mit den Lammshörnern
Und schaut man sich in späteren
Räumen Dürers Proportionsstudien an [s. u.], mit denen er versuchte, anhand von
Messungen ideale Körperverhältnisse für Männer wie Frauen zu erforschen,
so sieht man auch hier versuchsweise doppelte Konturen in einer
«Zeile». Dürers schwierige Überlegungen und Berechnungen zur Architektur
des ideal gebauten Körpers, die sich auf Vitruv und Alberti berufen,
wurden von einem unbekannten Meister (Meister IP) in einer kleinen
Gliederpuppe veranschaulicht, die aus 55 Teilen bestand. Eine
Computeranimation führt die erstaunliche Grazie dieser Bewegungen vor,
und man fühlt sich an Kleists Jahrhunderte später entstandenen Aufsatz
«Über das Marionettentheater» erinnert.
Monogrammist I. P. (zugeschrieben), Gliederpuppe, um 1525, Buchsbaumholz, geschnitzt, aus 55 Einzelteilen bestehend,
Monogrammist I. P. (zugeschrieben), Gliederpuppe, um 1525, Buchsbaumholz, geschnitzt, aus 55 Einzelteilen bestehend,
Melancholie und Selbstgewissheit
sind die Begleiter, die Dürer sich und anderen Porträtierten attestiert.
Auch auf Gruppenbildern (zum Beispiel den «Hexen») oder einem
Altarflügel, auf dem ein Pfeifen- und ein Trommelspieler (der wohl den
schönen jungen Dürer zeigt) zu sehen sind, schaut jeder auf seine eigene
Welt, zutiefst damit beschäftigt, wie er den eigenen Kosmos neu
zentriert. Das ergibt eine faszinierende Versonnenheit, ein Moment des
Zögerns und Forderns zugleich.
Wirtschaftliche Verwertung
Der Blick von heute auf Dürer
sieht in ihm auch gerne den erfolgreichen Geschäftsmann, der sich auf
dem entstehenden Markt zu behaupten weiss (sich aber auch mit
Festdekorationen in kaiserliche Dienste begibt). Und allzu gerne werden
dazu Schlagwörter aus dem heute allgegenwärtigen Wirtschaftsjargon
verwendet.
Ehrenpforte für Kaiser Maximilian
Ehrenpforte für Kaiser Maximilian
Auch diese Ausstellung ist nicht
jargonfrei, das wird wohl erst in einigen Jahren wieder möglich sein.
Sie weiss dies indes in kunstgeschichtliche Schulung umzumünzen:
Kupferstiche von fremder Hand, die Dürers Holzschnittserie «Marienleben»
samt Monogramm zu veräussern suchen, sind nicht nur ein
wirtschaftliches Ärgernis, sondern, wie anhand des Anschauungsmaterials
deutlich wird, für den Künstler auch ein ästhetisches Problem, wogegen
er sich mit einem Urheberrechtsprozess zur Wehr setzte.
Der Heller-Altar im geöffneten Zustand
Der Heller-Altar im geöffneten Zustand
Eine Zusammenführung von Teilen
des von einem Frankfurter Kaufmann in Auftrag gegebenen «Heller-Altars»
war Anlass der Ausstellung, die Bilder des Flügelretabels sind von
Dürer, die Mitteltafel ist nur noch in einer Kopie von Jobst Harrich
erhalten, die Standflügelbilder indes gelten als Werk Grünewalds.
Beeindruckende Vorstudien auf blau grundiertem Papier werden gezeigt,
wenn auch nicht die durch allzu viele Reproduktionen belasteten
«Betenden Hände», sondern, auch für uns heutige Betrachter noch ganz
kühn und unverbraucht, ein nach hinten gelegter Kopf und die nackten
Fusssohlen eines Knienden.
Dürer. Kunst - Künstler - Kontext. Frankfurt, Städel-Museum. Bis 2. Februar 2014. Katalog € 39.90.
Dresdner Skizzenbuch
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