Freitag, 17. Januar 2014

Dürer im Städel, II.

aus NZZ, 15. 1. 2014                                                                 Marienleben, Verlobung Mariens, Holzschnitt, altkoloriert

Melancholie und Selbstgewissheit
Der fordernde Blick - Eine Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum zeigt Albrecht Dürer im Kontext der Vorgänger und Zeitgenossen

von Andrea Gnam 

Das Frankfurter Städel-Museum zeigt die Entwicklung, Vielfalt und Besonderheit von Albrecht Dürers Werk im permanenten Zwiegespräch mit Bildschaffen und Weltverständnis seiner Zeitgenossen und Vorgänger.

Mit der Fülle von Dürers druckgrafischen Blättern und Zeichnungen konfrontiert, mag es einem zunächst ein wenig ergehen wie einem kulturbeflissenen Atheisten in einer romanischen Kirche: Man sucht nach steinernen Dämonen und anderen Mischwesen, die sich zuverlässig in den Ecken und Nischen des Gebäudes niedergelassen haben. Bei Dürer sind die visuellen Anker eher sanfterer Natur und erscheinen in einer Zeit des Umbruchs wie stehen gebliebene Wegweiser ins Jenseits: Am unteren Bildrand finden sich kleine Pflanzen, Steine, das Monogramm, während, je weiter das Auge nach oben wandert, das Geschehen auch einmal apokalyptisch werden kann. Hin und wieder gibt es altdeutsche Reminiszenzen: eine Burg, ein Dorf, einen Turm.

 Büßender Hl. Hieronymus, um 1496,

Zeit des Umbruchs

Das Eingangsbild der Frankfurter Ausstellung (kuratiert von Jochen Sander) zeigt nicht den lockenköpfigen jungen Dürer, der sich so gerne auf seinen Bildern in verschiedenen Figuren festhielt, oder die Dame, die einmal auf dem deutschen Zwanzigmarkschein die Marktteilnehmer grazil durch das finanzielle Leben zu leiten wusste, sondern eine spätmittelalterliche Marterszene aus der Nürnberger Werkstatt von Hans Pleydenwurff, sechs Jahre vor
Dürers Geburt im Jahr 1471 datiert. Eine grausige Tat - ein andersgläubiger König enthauptet seine mariengleiche, christliche Tochter mit einem Schwert - ist mit grosser Innigkeit und vor ausgebreiteter Weltenlandschaft ins Bild gesetzt. Erdbeeren, Maiglöckchen, Akelei am Bildrand, allesamt Marien-Symbole, sind mit bezaubernder, an altniederländischer Kunst geschulter Akribie erfasst. Das Tafelbild steht trotz der noch dem alten Sehen verhafteten Landschaftsdarstellung am Anfang und führt vor Augen, was Dürer übernommen hat - das genaue Hinschauen auf die Eigenart von Pflanzen, Blumen, Tieren - und wovon er sich lösen musste, um in die Welt der Renaissance einzutauchen. Die geistige Umbruchsituation im 15. Jahrhundert ist immens und geht Hand in Hand mit technischen Neuerungen, wie dem nur einige Jahrzehnte vor Dürers Geburt ins Leben gerufenen Buchdruck 
oder Einblattholzschnitt und Kupferstich, die innerhalb kurzer Zeit eine Art Medienrevolution in Gang setzten. Hinzu kommen Zentralperspektive und Proportionslehre in Italien, Luthers reformatorische Bestrebungen in Deutschland. Auf der anderen Seite ist das körperliche Elend geblieben: Pest und weitere Geisseln halten Endlichkeit und Tod nach wie vor präsent.

Dämon im Barthaar

Solchermassen eingestimmt, gilt es inmitten der ausgebreiteten Querverweise und Bildvergleiche die Besonderheit des Dürerschen Werks zu erkunden, der innige Marienbildnisse, aber als junger Mann auch ohne jede religiöse Kontextualisierung vier nackte Frauen in Kupfer sticht (1497), frontal und a tergo, so präsent und nur wenig idealisiert in ihrer Körperlichkeit, dass sie als Hexen eingestuft wurden, zumal auch ein Teufelsdämon in der Ecke lauert. Ausgeprägte Körperlichkeit, ehe er nur wenige Jahre später mittels Zirkels und Richtscheits ans Idealisieren und Auffinden idealer Proportionen für Körper, Bauwerke und Schrift geht, zeigen auch Badehausszenen und eine herrliche Nemesis (1501), die hocherhobenen Hauptes mit Zaumzeug und Pokal in Händen auf einer Kugel über einer altdeutschen Landschaft schreitend balanciert, als könnte das gar nicht anders sein.

Nemesis
Dürer griff auf, was ihm die künstlerische, intellektuelle und merkantile Situation seiner Zeit zu bieten hatte, verfeinerte und transformierte kühn ältere Bildformen in Neues, so, dass man sie aufs Feinste nachschwingen zu sehen glaubt. Besonders schön zeigt dies eine frei aufgefasste Feder-Zeichnung eines Männerkopfes (1505), bei der man meint, die Dämonen, die den physiognomisch ähnlichen «Antonius» von Martin Schongauer (1470-1475) peinigen, in die bewegten, aus welligen Schraffuren und Kringeln aufgebauten Formationen des Barthaares hinübergezogen zu finden. Ein Blick auf die grösstenteils gut erhaltenen Blätter aus der Entstehungszeit ermöglicht eine Seherfahrung, die durch Abbildungen so nicht einzuholen ist.

Studie zum Heller-Altar, 1508

Bei sehr detailreichen, durchgehend bespielten Ansichten im druckgrafischen Werk glaubt man indes, bei langem und genauem Hinsehen, ein Hin-und-Her-Springen zwischen Komposition und Zeile-für-Zeile-Lektüre des Bildes zu entdecken. Letzteres ist fast notwendig, um die Fülle des auf einem Bild Gezeigten zu bewältigen, so beispielsweise in den 15 Holzschnitten zur «Apokalypse», die den Grundstock für Dürers kommerziellen Erfolg legten. Dieses vexierbildhafte Hin-und-Her-Springen mag angesichts des apokalyptischen Treibens mit Schwertern und Lanzen und der Technik des Holzschnitts nicht unpassend sein, aber auch bei den vier nackten Damen erschliessen sich bei einem solchen, eher schematischen Lesevorgang zusätzliche formale Querbezüge. 

Das siebenköpfige Tier aus dem Meer und das Tier mit den Lammshörnern

Und schaut man sich in späteren Räumen Dürers Proportionsstudien an [s. u.], mit denen er versuchte, anhand von Messungen ideale Körperverhältnisse für Männer wie Frauen zu erforschen, so sieht man auch hier versuchsweise doppelte Konturen in einer «Zeile». Dürers schwierige Überlegungen und Berechnungen zur Architektur des ideal gebauten Körpers, die sich auf Vitruv und Alberti berufen, wurden von einem unbekannten Meister (Meister IP) in einer kleinen Gliederpuppe veranschaulicht, die aus 55 Teilen bestand. Eine Computeranimation führt die erstaunliche Grazie dieser Bewegungen vor, und man fühlt sich an Kleists Jahrhunderte später entstandenen Aufsatz «Über das Marionettentheater» erinnert. 

Monogrammist I. P. (zugeschrieben), Gliederpuppe, um 1525, Buchsbaumholz, geschnitzt, aus 55 Einzelteilen bestehend,

Melancholie und Selbstgewissheit sind die Begleiter, die Dürer sich und anderen Porträtierten attestiert. Auch auf Gruppenbildern (zum Beispiel den «Hexen») oder einem Altarflügel, auf dem ein Pfeifen- und ein Trommelspieler (der wohl den schönen jungen Dürer zeigt) zu sehen sind, schaut jeder auf seine eigene Welt, zutiefst damit beschäftigt, wie er den eigenen Kosmos neu zentriert. Das ergibt eine faszinierende Versonnenheit, ein Moment des Zögerns und Forderns zugleich.

Wirtschaftliche Verwertung

Der Blick von heute auf Dürer sieht in ihm auch gerne den erfolgreichen Geschäftsmann, der sich auf dem entstehenden Markt zu behaupten weiss (sich aber auch mit Festdekorationen in kaiserliche Dienste begibt). Und allzu gerne werden dazu Schlagwörter aus dem heute allgegenwärtigen Wirtschaftsjargon verwendet. 

Ehrenpforte für Kaiser Maximilian

Auch diese Ausstellung ist nicht jargonfrei, das wird wohl erst in einigen Jahren wieder möglich sein. Sie weiss dies indes in kunstgeschichtliche Schulung umzumünzen: Kupferstiche von fremder Hand, die Dürers Holzschnittserie «Marienleben» samt Monogramm zu veräussern suchen, sind nicht nur ein wirtschaftliches Ärgernis, sondern, wie anhand des Anschauungsmaterials deutlich wird, für den Künstler auch ein ästhetisches Problem, wogegen er sich mit einem Urheberrechtsprozess zur Wehr setzte. 

Der Heller-Altar im geöffneten Zustand

Eine Zusammenführung von Teilen des von einem Frankfurter Kaufmann in Auftrag gegebenen «Heller-Altars» war Anlass der Ausstellung, die Bilder des Flügelretabels sind von Dürer, die Mitteltafel ist nur noch in einer Kopie von Jobst Harrich erhalten, die Standflügelbilder indes gelten als Werk Grünewalds. Beeindruckende Vorstudien auf blau grundiertem Papier werden gezeigt, wenn auch nicht die durch allzu viele Reproduktionen belasteten «Betenden Hände», sondern, auch für uns heutige Betrachter noch ganz kühn und unverbraucht, ein nach hinten gelegter Kopf und die nackten Fusssohlen eines Knienden.

Dürer. Kunst - Künstler - Kontext. Frankfurt, Städel-Museum. Bis 2. Februar 2014. Katalog € 39.90.

 Dresdner Skizzenbuch

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