Freitag, 10. Januar 2014

Die Avantgarde im Krieg.

aus Badische Zeitung, 10. 1. 2014                                                             Max Slevogt, Pegasus im Kriegsdienst, 1917.

Wie die Kunst den Ersten Weltkrieg sah
Die Ausstellung "1914. Die Avantgarden im Kampf" läuft bis 23. Februar in der Bonner Bundeskunsthalle. 

von Ulrich Traub

George Grosz forderte "Brutalität! Klarheit, die wehtut!", während Ernst Ludwig Kirchner notierte: "Ich bin innerlich zerrissen und geimpft nach allen Seiten, aber ich kämpfe, auch das in Kunst auszudrücken." Radikale Thesen, wie kam es dazu? Auf welche Erfahrungen blickten die Künstler zurück?

Vorschlag für einen Tarnanstrich des britischen Schlachtschiffs HMS Ramillies von 1917

Es waren die Geschehnisse im Ersten Weltkrieg, die Grosz und Kirchner seelisch so verletzten, dass sie Hilfe in Sanatorien suchen mussten. Nach dem Krieg hatte sich ihre Sicht auf die Kunst geändert. Das illustriert die Ausstellung "1914. Die Avantgarden im Kampf", die die Bundeskunsthalle in Bonn zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zeigt. 300 Werke – Malerei, Plastiken und dokumentarische Fotos – untersuchen die Bedeutung der Kriegserfahrungen für die Kunstproduktion.

Wahnwitziges Reinigungsritual

Dabei hatte das Jahrhundert für die Kunst doch so bahnbrechend begonnen. Grenzüberschreitend wurde kubistisch gearbeitet. Man wagte erste Schritte in die Abstraktion und der "Blaue Reiter" schwelgte im Rausch der Farben. Werke von Delaunay, Léger und Picasso, von Marc, Münter und Kupka unterstreichen dies.

Wilhelm Lehmbruck, Der Gefallene; 1916, später umbenannt in Der Gestürzte

Dass viele Künstler dann doch freiwillig in den Krieg gegen ihre Freunde zogen, das kann auch diese Schau nur feststellen und nicht abschließend erklären. An die Sinnhaftigkeit des Krieges glaubten nicht wenige. Futurist Gino Severini feierte in frühen Bildern den Krieg. Für ihn war er Garant des technischen Fortschritts. Franz Marc war sich sicher, dass der Gewaltausbruch "Europa reinigen" werde. 1916 war er tot.

Künstlerflugblätter herausgegeben von Paul Cassirer; Max Liebermann, Jetzt dreschen wir sie, 1914

"Kriege scheinen nötig zu sein", glaubte auch Max Liebermann, "um den im Frieden wuchernden Materialismus einzudämmen". Folglich setzte er die plumpen Parolen des Kaisers in Zeichnungen um. "Jetzt wollen wir sie dreschen" zeigt einen das Schwert schwingenden Pickelhauben-Reiter. Auf Seiten der Gegner zeichnete Raoul Dufy harmlose Szenen, deren Titel wie "Schießen Sie als Erste, meine Herren Franzosen!" ihr propagandistisches Potential verraten. In Wladimir Majakowskis bunten Bilderbögen kommen die deutschen Soldaten nicht gut weg: Sie werden als tumbe, willfährige Opfer verhöhnt.

Kasimir Malewitsch, Sieh doch, sieh, die Weichsel ist schon so nah, 1914

Dabei hat Alfred Kubin schon 1903 seinen Zeichnungen die Angst vor einem Krieg eingeschrieben. Die zusammenbrechende Welt und den entwurzelten, invaliden Menschen ahnte Ludwig Meidner voraus. Während des Krieges haben dann immer mehr Künstler versucht, das Grauen in Bilder zu fassen. Gegenüber Frans Masereels Holzschnitten, die drastische Anklagen sind, wirkt Félix Vallottons naives Mappenwerk "Das ist der Krieg" eher verharmlosend.

Felix Vallotton, aus C'est la guerre

Tod und Leid allenthalben – bei Otto Dix, Erich Heckel und Hans Richter, Natalja Gontscharowa und Ossip Zadkine. In Max Slevogts "Finale" (1917) ist die Welt ein Friedhof, an dem ein Kriegsversehrter vorbeihumpelt. Das Martyrium in mehreren Schritten hat Max Beckmann festgehalten – von der "Kriegserklärung" über die "Granate" bis zum "Leichenschauhaus". Fast alle diese Arbeiten sind schwarzweiß.
 
Max Slevogt, Gefallener Engländer 

Die Handschrift der Verstörung

Nach dem Krieg konnte nichts mehr so sein wie zuvor, dies deutete sich schon 1915 in Zürich an. Dada erklomm die Bühne und protestierte laut gegen den Krieg und auch sonst fast alles. Die meisten Künstler verschlug es aber wieder ins Atelier. In Kirchners "Tischgesellschaft im Sanatorium" und "Aufruhr" von Grosz scheint hinter den krakeligen Strichen die Verstörung auf. Paul Klee zog sich in rätselhafte Phantasieformationen zurück. Unterdessen ebneten Marcel Duchamp mit seinen Ready-mades und Früh-Surrealist Carlo Carrà radikal Neuem den Weg.
Carlo Carrà soldato del 27° Reggimento Fanteria

Es sind weniger die weitgehend vertrauten biografischen wie kunsthistorischen Positionen, sondern die vielen kaum bekannten Werke, die Kurator Uwe M. Schneede zusammengetragen hat, die diese Schau sehenswert machen. Sie kommt ohne neue, schneidende These aus.

Bundeskunsthalle Bonn. Bis 23. Februar, Dienstag, Mittwoch 10–21, Donnerstag bis Sonntag 10–19 Uhr. 

Gino Severinis Visuelle Synthese der Idee 'Krieg' von 1914 (links) mit Roberto Marcello Baldessaris 'Galerie und Fahnen der Alliierten' von 1918.

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