Samstag, 11. Januar 2014

Pop goes live.

Justin Bieber
aus NZZ, 10. 1. 2014 

Pop als kommerzieller Mechanismus
«Das Geschäft mit der Musik» - eine Streitschrift des Berliner Konzertagenten Bertold Seliger
 


von Hanspeter Künzler 

Mit einer Streitschrift über «Das Geschäft mit der Musik» plädiert der Berliner Konzertagent Bertold Seliger für eine selbstbestimmte Kunst. Dabei malt er ein ziemlich trauriges Bild der Konzert- und Musikszene, in der er selber lange mitgewirkt hat.

Fünfundzwanzig Jahre lang betrieb Bertold Seliger eine Konzertagentur. Ende Jahr schliesst er sie. Er wolle weg von seiner «morbiden Arbeitssucht». Rechtzeitig auf seine Umorientierung hin hat Seliger seine Gedanken über das Musikgeschäft, in dem er lange mitgewirkt hat, in ein Buch gefasst. Einen «Insiderbericht» nennt er es und füllt damit eine Marktlücke: Es gibt kaum ein anderes Buch, das die Mechanismen, die das Pop-Business bestimmen, ebenso präzise darlegt.

Seliger verhehlt dabei nie seine musikalische und ideologische Herkunft: Er ist ein bewegter Kopf aus den achtziger Jahren und ein Bewunderer von Patti Smith, Pere Ubu, Bonnie «Prince» Billy - kurzum von Musikern, deren Deutschland-Tourneen er auch organisierte. Und er schreibt so, wie er auch Konzerte veranstaltet - aus der Optik eines Menschen, bei dem Überzeugung und Handeln übereinstimmen sollen. Über weite Teile von «Das Geschäft mit der Musik» spielt die Optik des Autors indes kaum eine Rolle. Er reiht Fakten aneinander. Er beginnt seine Analyse dabei beim Neoliberalismus von Milton Friedman und bei einer 1986 formulierten Theorie Alfred Rappaports, wonach der Wert für den Aktionär die Geschicke eines Unternehmens bestimmen sollte.

Daraus resultierte 1996 in den USA die Telecommunications Act, die den amerikanischen Medienmarkt deregulierte. «Die von der US-Regierung animierte Liberalisierung der Medienpolitik schürte eine Goldgräberstimmung», schreibt Seliger. Und: «Hatte es 1983 noch fünfzig grosse Medienkonzerne in den USA gegeben, so war ihre Zahl im Jahr 2005 auf ganze fünf gesunken - der Telecommunications Act hatte de facto zu einem Oligopol geführt.» Auch die texanische Medienfirma Clear Channel gehörte zu den Profiteuren. Seit 1996 hat die Firma 1200 zuvor unabhängige Radio- und TV-Stationen erworben. Ein Teil des Profites wurde in die Wahlkampagne des texanischen Gouverneurs George W. Bush investiert. Als die Country-Band Dixie Chicks kritische Worte über Bush und seine Irak-Politik äusserte, verbannte sie Clear Channel aus den Programmen. Aus Clear Channel aber ging Live Nation hervor, der Gigant im heutigen Pop-Business, der weltweit grosse Hallen betreibt und darin Konzerte für die ihm vertraglich anvertrauten Weltstars wie Madonna oder Rolling Stones organisiert.

Seit 2005 seien die jährlichen Umsätze der Konzert-Industrie höher als die der Plattenfirmen - «mit deutlich steigender Tendenz», schreibt Seliger. Hier liegt der Kern seiner «Botschaft» und die Quelle seines Zornes: Die globale Konzertszene wird inzwischen von wenigen Firmen wie Live Nation dominiert, die mit den Ticketvertriebsorganisationen, den Sponsoren und den Merchandise-Herstellern unter einer Decke stecken.

Der Profit in der Live-Industrie ist gewaltig, zumal jede Gelegenheit am Schopf gepackt wird, Zuhörer und Künstler zu schröpfen. Während auf der einen Seite Fans einen Zuschlag dafür bezahlen müssen, ein Ticket online herunterzuladen und auszudrucken, werden auf der anderen Seite Musiker mit sogenannten «360 Degree»-Deals an einen Musikkonzern gekettet, der sich um jeden Aspekt ihres Musiker-Daseins kümmert. (Ein Konzept, das in den sechziger Jahren schon einmal populär war und es vielen Managern ermöglichte, Künstler übers Ohr zu hauen.)

Seligers zweite Sorge gilt dem Wohl der Musiker und den Möglichkeiten eines freien künstlerischen Ausdruckes. Rechtschaffen echauffiert er sich über die Tatsache, dass Gema, der Verein, der im Namen der Künstler in Deutschland Tantièmen eintreibt, selber zu einer Art Grosskonzern geworden ist, der vor allem in die eigenen Taschen arbeite. Musiker kämen in Deutschland im Durchschnitt auf ein Jahreseinkommen von etwa 12 000 Euro. Bald, so schliesst Seliger, würden es sich nur noch Sprösslinge aus gutem Hause leisten können, die Musik zu machen, die sie wollten.

Allem Zorn zum Trotz sieht Seliger auch Lichtblicke. So erwähnt er wiederholt Martin Mills, dem es gelungen ist, mit seinem Indie-Label Beggars Banquet und Musikern wie Adele, White Stripes und Radiohead eine Bresche in die Charts zu schlagen. Auch zeigt er sich zuversichtlich, dass das «Streaming» von Musik lukrativ sein könnte - gemessen an einzelnen Abrufen bringe es heute schon mehr Tantièmen ein als das herkömmliche Radio. Da und dort wirken Seligers zornige Zeilen gar polemisch. Sein Buch aber ist eine süffige Pflichtlektüre für alle, die wissen wollen, warum globale Musikkonzerne nichts zu jammern haben, Musiker und Publikum aber umso mehr.

Bertold Seliger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht. Edition Tiamat, Berlin. 352 S., Fr. 29.90. - Bertold Seliger stellt sein Buch am 19. Januar in Zürich im «El Lokal» vor.

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