Elegant in die Lücke eingepasst
David Chipperfields neustes Berliner Bauwerk
von Jürgen Tietz
David Chipperfields neustes Berliner Bauwerk
von Jürgen Tietz
Der Brite David Chipperfield gehört mit seinen Museumsbauten zu den international umworbenen Architekten. Immer wieder setzt er sich dabei auch mit dem gebauten Bestand auseinander. Jetzt hat er den Altbau seines Berliner Architekturbüros ergänzt und dabei ein eindrucksvolles Statement in Sichtbeton formuliert.
Mit seiner meisterhaften Instandsetzung des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel und dem Neubau des Galeriehauses am Kupfergraben hat sich David Chipperfield längst seinen Platz in der Architekturgeschichte der deutschen Hauptstadt gesichert. Derzeit entsteht der Neubau für die James-Simon-Galerie, die künftig das zentrale Eingangsgebäude der Museumsinsel bilden wird, und die Vorbereitungen für die Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe laufen an. Die Berliner Dépendance des britischen Architekten hat sich als eine feste Grösse etabliert - nicht nur für die deutsche Hauptstadt. Den rund fünfzehn Projekten, die derzeit von dort aus deutschlandweit betreut werden, stehen vierzig internationale Arbeiten in Russland, China, Japan oder Südkorea gegenüber - sowie die Erweiterung des Zürcher Kunsthauses. Erst jüngst ist bei Walther König in Köln eine neue, von Rik Nys herausgegebene Chipperfield-Werkmonografie (381 S., Fr. 77.90) erschienen, die die globale Ausrichtung seines Büros unterstreicht. Da dürfte die Verleihung des Pritzkerpreises, der als Nobelpreis für Architekten gilt, nur noch eine Frage der Zeit sein.
Neben den ganz grossen Projekten in aller Welt gibt es auch weiterhin die kleinen feinen Projekte, denen man sich im Büro Chipperfield mit Leidenschaft widmet. Bereits seit einigen Jahren residiert sein Berliner Büro in einer ehemaligen Klavierfabrik in der Joachimstrasse im Bezirk Mitte. Das Galerienquartier der Auguststrasse liegt gleich um die Ecke, die Museumsinsel ist zu Fuss zu erreichen. Im Hinterhof hat das Architekturbüro eine jener typischen Backsteinfabriken bezogen, denen das Vorderhaus abhandengekommen ist. Solche Baulücken sind beileibe nicht untypisch für Berlin, wo man noch immer Spuren des Zweiten Weltkriegs findet, im Stadtgrundriss wie an den Häuserwänden. Für Chipperfield bot die fragmentierte Bebauung die Chance, seine eigene Position im Umgang mit einer Stadtbrache zu formulieren. Herausgekommen ist dabei nicht nur ein neuer «Campus», wie er bürointern bezeichnet wird, sondern ein gebautes Statement, das zwischen Tradition und Moderne vermittelt.
Neues Museum
Wenn Architekten für sich selber bauen, lohnt es sich stets, genauer hinzuschauen. Dann gibt sich ihre wahre Handschrift jenseits aller Kompromisse ganz pur zu erkennen. Und pur ist Chipperfields Berliner Neubau in Beton in der Tat. Wer von der August- in die Joachimstrasse einbiegt, dem fallen die glatte Sichtbetonfassade und die grossen Fensterflächen der Lückenschliessung erst auf den zweiten Blick ins Auge. So auffallend unauffällig fügt sich das neue Haus in die Umgebung ein. In bestem britischem Understatement schreibt es die Maßstäblichkeit seiner Nachbarn fort, ohne dabei seine ästhetische Eigenständigkeit zu leugnen. Wie bei einem typischen Altberliner Mietshaus lädt ein weit geöffneter Durchgang dazu ein, das Innere des Grundstücks zu erkunden. Und wie bei einer richtigen Berliner Blockbebauung schliessen sich auch hier gleich mehrere Höfe an. Gestaltet hat sie der belgische Gartenarchitekt Peter Wirtz, mit dem Chipperfield häufig zusammenarbeitet. Die rötlich-grauen Granitsteine des Katzenkopfpflasters, einen Kirschbaum und eine Gruppe von Kugelahorn-Bäumen - mehr braucht es nicht, damit ein Hof mit hoher Aufenthaltsqualität entsteht, der zugleich eine Wechselwirkung mit der Architektur entfacht.
Galerie Am Kupfergraben 10
Dass das Büro Chipperfield nicht nur attraktive Architektur kreiert, sondern auch spannungsvolle stadträumliche Kompositionen, wird im Hof ebenfalls deutlich. Einem doppelgeschossigen Betonkubus für die «Kantine», die die Mitarbeiter des Büros bestens versorgt, antwortet auf der gegenüberliegenden Seite leicht versetzt ein turmartiger Betonanbau. Er schliesst an den Seitenflügel des alten Fabrikgebäudes an. In ihm haben die dringend benötigten neuen Besprechungsräume Platz gefunden. Zwischen den beiden Betonbauten aber verläuft ein offener Durchgang - eine schmale Gasse, die wie die moderne Interpretation einer mittelalterlichen Stadt wirkt. Das gefühlvolle Modulieren der Betonkuben, das differenzierte Wechselspiel von Weite, Enge und unterschiedlichen Höhen sowie das Zwiegespräch der gebauten Zeitschichten in Form und Material kommen ganz selbstverständlich daher. Und doch ist das in dieser Qualität und Intensität nur möglich, wenn aus einem Grundstück unter dem Vorwand der angestrebten Verdichtung nicht auch noch der allerletzte Quadratmeter Nutzung herausgepresst wird. Auch darin ist der neue «Campus» beispielgebend.
Entwurf
Städtischer Kontext
Der wichtigste Baustein dieses Ensembles aber ist die Lückenschliessung entlang der Joachimstrasse. Mit ihr hat Chipperfield eine Neuinterpretation des traditionellen Stadthauses formuliert. Dem hohen Empfangsraum im Erdgeschoss folgt treppauf das Piano nobile. Mit seinen hohen Decken und den grossen Glasflächen zu beiden Seiten wird es zu einem ebenso lichten wie eindrucksvollen Ort. Gegliedert wird die Betonarchitektur durch Holzmöbel, die unter den eigenwilligen, von Chipperfield gewählten Farben - Orange, Rosa, Grün - noch ihre Materialtextur zeigen. Je höher man durch das Treppenhaus aus Beton steigt, desto niedriger werden die Decken, bis hinauf zum Staffelgeschoss, das einen privaten Rückzugsbereich bietet. Tatsächlich erweist sich dieses neue innerstädtische Ensemble als Statement und Experimentierfeld zugleich. So wurde teilweise Dämmbeton verwendet, was bemerkenswerte Wandstärken zur Folge hat. Wichtiger noch aber erscheint, dass hier die gute Berliner Tradition der Moderne in schöner Verschränkung mit der historischen Umgebung fortgeschrieben wird. Sein neuer Berliner «Campus» kann Chipperfield künftig ein Forum bieten, um den architektonischen Diskurs in und mit der deutschen Hauptstadt weiterzuführen. Derweil werden sich die eiligen Architekturbegeisterten aus aller Welt zumindest zu Kaffee und Croissant am Tresen der «Kantine» in Chipperfields Hinterhof einfinden, um ein neues Stück der Berliner Moderne zu geniessen.
James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel
Nota.
"Kannste nich meckern" lautete einst des Berliners höchstes Lob. Heute angesichts von Potsdamer Platz, Hauptbahnhofsviertel und Zoofenster bescheiden wir uns ergeben mit "Es hätt' auch schlimmer kommen können".
Wie kommt man sich davor, als kritischer Kopf zumal, wenn man angesichts einer Sache, die neu hinzukommt, sagt wie irgendein Zugereister: Ja, das ist gut -?
Fremd kommt man sich vor als Berliner.
JE
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