Rembrandt - ein Leben wie ein Spielfilmheld
von Hans-Dieter Fronz
Nur wenigen Künstlern ist es beschieden, dass ihr Leben verfilmt wird; neben seinem Landsmann Vincent van Gogh wurde auch Rembrandt die Ehre zuteil. Ihre Mitgliedschaft im Club verdanken beide außer dem berühmten Namen einer bewegten Biographie, die genügend Material für eine abwechslungsreiche, ja stellenweise dramatische filmische Handlung bot. So zeigt Rembrandts Vita eine gewisse Fallhöhe. Als junger Maler ist er ein Kind des Glücks. Durch seine Kunst erwirbt er sich Reichtum und Ruhm – und verspielt beides in reiferen Jahren durch ökonomisches Missgeschick und undiplomatisches Verhalten. Zusätzlich treffen ihn Schicksalsschläge, der Tod zweier Kinder kurz nach der Geburt, auch seiner geliebten Frau Saskia. Was ihn, wie van Gogh, darüber hinaus zum Spielfilmhelden prädestinierte, ist der Umstand, dass sich, so jedenfalls schien es bis vor gar nicht langer Zeit, der Topos vom verkannten Genie auf ihn anwenden ließ.
Die Deutung der Kunst als Gesellschaftsspiel
Die Wahrheit sieht anders aus. Zwar sank seine pastose Helldunkelmalerei im Vergleich zur modisch-glatten Bildkunst jüngerer Kollegen bald in der Gunst des Publikums. Doch mangelte es ihm nie an Aufträgen, und noch im Alter erzielte er für seine Gemälde und Radierungen stattliche Preise. Schon die Zeitgenossen feierten ihn als Apelles der Epoche und "Wunder unseres Zeitalters". Entsprechend war Rembrandts Selbstbewusstsein alles andere als unterentwickelt. Indem er Bilder und Radierungen früh mit seinem Vornamen – eben Rembrandt – signierte, stellte er sich auf eine Stufe mit Raffael und Michelangelo.
All das erfahren wir in Nils Büttners üppig und schön bebilderter Biografie, die im Untertitel "Licht und Schatten" Rembrandts Vita mit dem für seine Kunst so charakteristischen Merkmal des Hell-Dunkel zusammenschließt. Büttner, Lehrstuhlinhaber an der Kunstakademie in Stuttgart, ist Spezialist für die deutsche und niederländische Kunst der frühen Neuzeit und hat neben Büchern über Hieronymus Bosch, Vermeer und Rubens eine umfangreiche Geschichte der Landschaftsmalerei veröffentlicht. Als Anlass für das Buch beschreibt er die starke Diskrepanz zwischen dem populären Rembrandt-Bild und den Erkenntnissen einer – nahezu unüberschaubar gewordenen – Forschung zu diesem Künstler.
Gründliches Studium der Quellen, Vertrautheit mit der Literatur das Barockzeitalters im Allgemeinen und dem kunsttheoretischen Diskurs jener Zeit im Besonderen sowie die exzellente Kenntnis der gleichzeitigen und zurückliegenden Kunstproduktion sind sehr gute Voraussetzungen für diese Rembrandt-Biografie. Darüber hinaus erfahren wir bei Büttner nicht nur interessante Details über Rembrandts Mal- und Radiertechnik oder verwendete Materialien. Als einer der ersten Künstler seiner Zeit benutzt der Künstler für seine Abzüge aus Asien importierte Papiere. Und zeichnet auch schon mal auf gebrauchten Blättern – etwa den linierten Seiten von Kassenbüchern. Büttner bettet die Vita seines Helden zudem anschaulich in die Kultur- und Zeitgeschichte ein – und nicht zuletzt in die frühneuzeitliche Stadtgeschichte: sowohl von Leiden, dem Geburtsort, wie von Amsterdam, wo Rembrandts Stern als Künstler aufging.
Nachdrücklich weist Büttner auf die Komplexität und Uneindeutigkeit von Bildaussagen (nicht nur) in Werken Rembrandts hin. Die Sinnoffenheit der Bildkunst jener Zeit provoziert beim Publikum geistreiche Auslegungen; ja, die Deutung von Kunstwerken avanciert zum Gesellschaftsspiel. Nicht wenige Interpretationen der Mit- und Nachwelt mussten so korrigiert werden. Etwa weiß man heute, dass Rembrandt in einem Selbstbildnis von 1635, das ihn mit erhobenem Trinkglas neben Saskia zeigt, weniger die eigene Lebenswelt darstellen wollte, als dass er sich darin in einem kühnen Rollenspiel erprobt: als der verlorene Sohn der Bibel in der Schenke neben Saskia als Prostituierter. Zu den wichtigsten und interessantesten Ergebnissen der jüngeren Rembrandt-Forschung zählt so die Erkenntnis, dass die Vielzahl von Selbstporträts wohl nicht Ausdruck intensiver künstlerischer Selbsterforschung ist. Als "theatralische" Studien menschlicher Gemütszustände lassen sie sich vielmehr dem Bildtypus der Tronie zuordnen: der Darstellung von Charakteren und (fiktiven) Persönlichkeiten.
So ist das Buch trotz kleiner Missgeschicke – etwa wird das Porträtbild von Jan Six kurz nacheinander zweimal ganzseitig abgebildet – eine überaus lesenswerte Einführung in Leben und Werk Rembrandts, die die überragende Bedeutung des Künstlers unter anderem anhand der Rezeptionsgeschichte erläutert. In einem Brief an seinen Bruder Theo erklärte Vincent van Gogh, dass er zehn Jahre seines Lebens hergäbe, wenn es ihm vergönnt wäre, vierzehn Tage bei trocken Brot und Wasser vor der berühmten "Judenbraut" zu sitzen. Und Max Beckmann war vom Anblick des "Familienbildnisses" von 1668/69 derart tief bewegt, dass er, wie er seinem Tagebuch anvertraut, einer Ohnmacht nahe war.
Nils Büttner: Rembrandt. Licht und Schatten. Eine Biographie. Reclam Verlag, Stuttgart 2014. 264 S., 24,95 Euro.
Nota.
Damit es nicht übersehen oder als bloßer Coup de chapeau abgetan wird, diesmal gleich am Anfang: Unter der Porträtisten (denen, von denen ich was kenne) ist Rembrandt uneingeholte Spitze. Kein Sujet ist so einzig und untypisch wie ein Menschengesicht - und zwar durch alle 'Rollen' hindurch. Das muss der Maler gesehen haben, bevor er den Pinsel führt. Das ist Kunst.
Berühmt ist Rembrandt aber als Hell-Dunkel-Maler, und das habe ich nie verstanden, und seit er immer wieder mit Caravaggio verglichen wird, schon gar nicht. Bei Caravaggio waren Licht und Schatten zu allererst ein Mittel zur naturalistischen Wendung gegen den gezierten Manierismus seiner Zeit. Seine Gegenstände - Menschen wie Dinge - waren nicht nur volkstümlich; sie gewannen durch Licht und Schatten Profil und Plastizität, sie wurden wieder lebendig und echt. Und das Licht erlaubte ihm, die von den Manieristen verschmähte Perspektive triumphal wiederherzustellen, und zwar nicht einfach durch Linien und Winkel, sondern indem er die Räume durch Licht und Schatten aufbaute: Sie konnten jetzt tief werden.. Er hat die abendländische Malerei revolutioniert wie keine andere Einzelperson; für ein halbes Jahrhundert gab es fast nur noch Caravaggisten.
Nichts davon bei Rembrandt. Bei ihm dienen Hell-Dunkel gerademal dem Bildaufbau. Tiefe des Raumes? Ach, alles flach. Auch und gerade die Menschen sind flach! Was bei den Porträts nicht stört und nichteinmal auffällt, nimmt seinen szenischen Darstellungen alles Leben und - ja, das Wort muss gesagt werden - allen Ausdruck. Während die zeitgenössischen holländischen Landschaftsmaler die Linearperspektive durch Luft- und Farbper- spektive ersetzten, um die Aufmerksamkeit von den Gegenständen abzuziehen und auf die ästhetische Gesamt- erscheinung zu lenken, verbannt Rembrandt die Perspektive gerade dort, wo sie immer hingehören wird - aus der Darstellung des wirklichen Lebens; siehe Kopfbild.
Ja ja, das ist sehr schematisch gesagt und man könnte es auch feinsinniger formulieren, aber dann würde es im allgemeinen Lobgesang untergehen.
JE
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