Samstag, 3. Mai 2014

Nolde ohn' Ende.


aus nzz.ch, 3. Mai 2014, 12:30                                         Kreuzigung, Mitteltafel aus dem Polyptychon Das Leben Christi, 1912.


Retrospektive zu Emil Nolde in Frankfurt
«Meine Kunst ist deutsch, stark, herb und innig»



Mit dem Hinweis auf seine «deutsche Kunst» wandte sich Emil Nolde 1938 an Reichsminister Goebbels und bat um Rückgabe des beschlagnahmten Bilderzyklus «Das Leben Christi» (1911/12). Er fügte hinzu, dass er von der «Weltbedeutung des Nationalsozialismus» überzeugt sei, und schloss mit «Heil Hitler». Kaum ein neuerer Kommentar zu Nolde versäumt es, auf diese oder ähnliche Passagen hinzuweisen, in denen Nolde sich den NS-Machthabern anbiederte. Geradezu triumphierend wird der Skalp des «glühenden Nazis» Nolde in die Höhe gehoben, freilich nicht ohne den Hinweis, dass Noldes Kunst nicht «nationalsozialistisch» sei. Weniger Gedanken werden darauf verwendet, was eigentlich der Ertrag dieser Geste sein soll.

Kind mit großem Vogel, 1912

Eine «autoritäre Persönlichkeit»

Es kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass Nolde eine «autoritäre Persönlichkeit» war, wie etwa Adorno sie beschrieben hat: autoritäre Unterwürfigkeit, Führerverherrlichung, aggressiver Antisemitismus. Anlässlich einer Einladung durch Himmler zum Jahrestag des sogenannten «Novemberputsches» schreibt Nolde 1933 an seinen Freund Fehr: «Der Führer ist gross u. edel in seinen Bestrebungen, u. ein genialer Tatmensch.» Noldes Diffamierung seines ehemaligen Brücke-Kollegen Pechstein als «Jude» war infam. Es gibt allerdings noch eine andere Seite Noldes: seine Selbstzweifel, die sich bis zu Depression und Suizidvorstellungen steigern. Ein Tiefpunkt in seinem Leben war sein Aufenthalt in Kopenhagen 1900/01, bei dem ihm sein Leben «wie verloren» erscheint und er sich als «halbverkommenen Sonderling» sieht. 1914, während seiner Südsee-Reise, wurde er zum vehementen Kritiker des Kolonialismus.

 Trophäen der Wilden, 1914

Nolde war kein faschistischer Haudrauf, seine nachträglich heroisierten «Kulturkämpfe» um die «deutsche Kunst» beschränken sich weitgehend auf eine heftige Auseinandersetzung mit den Juden Liebermann und Cassirer im Rahmen der Berliner Sezession, die ein Bild von ihm, «Pfingsten» (1909), abgelehnt hatten. Er stand auf verlorenem Posten und wurde 1910 – nicht nur von Juden – mit überwältigender Mehrheit aus der Sezession ausgeschlossen. Noldes «Kampf» – bei dem es übrigens gar nicht um «deutsche», sondern um «junge» Kunst ging – wurde von ihm nachträglich zur Selbstermächtigung als «deutscher» Künstler stilisiert. Die Nazis nahmen ihm das nicht ab.

Wildtanzende Kinder, 1909

Der «Fall Nolde» lässt sich nur verstehen, wenn der Interpretationsrahmen weit genug gespannt wird. Ja, Nolde war antisemitisch, Nationalsozialist, Parteimitglied. Aber die meisten der deutschen «Volksgenossen» haben sich ähnlich verhalten. Man stösst bei Nolde auf deutsches – und nicht nur deutsches – Urgestein. Auch Heideggers derzeit vieldiskutierter Antisemitismus gehört in diesen Zusammenhang. Lässt man dieses Urgestein beiseite, wird aus dem «Fall Nolde» eine private ideologische Verblendung.

 Ekstase, 1921, und Verlorenes Paradies, 1929

Andererseits muss man auch das Vorurteil ausräumen, die künstlerische Avantgarde Europas sei mehrheitlich politisch progressiv gewesen. Franz Marc entwickelte sich ab 1912 vom Fürsprecher einer deutschen Kunst zum kriegsbegeisterten Chauvinisten, der Europa durch den Krieg vom «kranken Blut» reinigen wollte, Paul Klee zog sich in eine realitätsferne Metaphysik zurück, und die Futuristen waren in ihrer Mehrheit misogyne Verherrlicher des Krieges. Die Reihe lässt sich fortsetzen. Historisch gesehen ist es also offenbar so, dass sich bestimmte Kunstrichtungen weitgehend unabhängig von der jeweiligen Ideologie des Künstlers durchsetzten. In einer Anekdote wird dies deutlich: Als ihn ein Bewunderer seines «Leben Christi» nach einer Interpretation fragte, antwortete Nolde er male keine religiösen Bilder, sondern Kunstwerke.

Frühling im Herbst, 1949

Dem «Leben Christi» ist in Frankfurt ein verdunkelter Raum gewidmet. Das Mittelstück, mit den leidenden Gesichtern Christi und der beiden Schächer, den verlorenen Gestalten Marias und Magdalenas und den würfelnden Kriegsknechten, ist ein expressionistisches Pendant zum Isenheimer Altar. Die Nazis wussten, warum sie dieses Werk 1937 ins Zentrum der Schau «Entartete Kunst» stellten: Es ist in der Tat gemalter «Hexenspuk». Wie Nolde mit religiösen Themen umging, zeigt ein weiteres Werk, «Verlorenes Paradies» (1921). Verlassen und verloren starren Adam und Eva vor sich hin, eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden – wie etwa bei Beckmann – scheint es nicht mehr zu geben. «Hexenspuk» ist auch das Triptychon «Martyrium I–III» (1921): Märtyrer hängen bluttriefend in den Mäulern von Löwen oder werden, an Pfähle gefesselt, verbrannt. Wer sich wundert, warum «Martyrium» nur im Katalog gezeigt wird: Es wird in der Folgeausstellung (Louisiana-Museum, Dänemark) den Platz mit dem «Leben Christi» wechseln. Die Nolde-Stiftung gibt jeweils nur eines dieser beiden religiösen Meisterwerke frei. Für Nolde waren seine religiösen Bilder die «Wende» in seinem Kunstverständnis: vom «optisch äusserlichen Reiz» zum «inneren Wert». Nolde wiederholt das geradezu kanonische Bekenntnis der avantgardistischen Künstler zum «Geistigen» in der Kunst. Nolde schuf expressionistische, keine «nordische» Kunst.

Martyrium I–III, 1921

Maler des Grotesken und Hässlichen

Nolde schuf auch keinen «heroischen», «arisch-nordischen» Menschen, wie Hitler ihn forderte. Aus der Sicht der Nazis zeigt Nolde den Menschen als Krüppel und Geisteskranken: Nolde war in der Tat auch ein Maler des Grotesken und Hässlichen. Das Phantastisch-Groteske zieht sich durch das gesamte Werk, von seinem ersten grossen Ölbild, «Bergriesen» (1896), dem rätselhaften «Vor Sonnenaufgang» (1901) über «Meerweib» (1922) bis zu seinen «Tiermenschen» (1935). Hässliches und Laszives zeigt Nolde in dem grossartigen Bild «Ekstase» (1929). Während die nackte Frau im Vordergrund sich mit verzerrtem Gesicht ekstatisch windet, wird ihr von der Frau im Hintergrund mit aufgerissenen Augen das Kreuz entgegengehalten. – Natürlich zeigt die Ausstellung auch viele der bekannten farbenprächtigen Meer- und Blumenbilder, wobei – möglicherweise als kleine Spitze – die Blumenaquarelle in Petersburger Hängung an eine Wand verbannt wurden. Beispielhaft für Noldes Umgang mit der Farbe ist «Herbstmeer IX» (1910). Die Nationalsozialisten hätten sich mit Meer und Blumen anfreunden können, wenn – ja wenn – nicht der spezifisch Noldesche Malduktus gewesen wäre. Der pastose, wie hingeschleuderte Farbauftrag – er steht auf einer Linie zwischen den Fauves und der Cobra-Gruppe – lief der naturalistischen Kunstvorstellung der Hitler-Clique entschieden zuwider. Der klug kommentierte Katalog zeigt in Vergrösserungen, wie kunstvoll Nolde gemalt hat: «Wild tanzende Kinder» (1909) dokumentiert dies eindrucksvoll. Schliesslich – auch das gehört zu Nolde – gibt es auch eine Menge pseudo-expressionistischen Kitsch, etwa die für die Kaufhausgalerie gemalten Bilder «Frühling im Herbst» (1940) oder «Kleine Sonnenblumen» (1946).

Herbstmeer IX, um 1910

Ausstellung als «entarteter» Künstler, Berufsverbot, Begutachtung und Konfiszierung seiner Werke durch eine Kommission für «minderwertige» Kunst: Nolde fühlt sich «mehr gedemütigt, als ein Künstler ertragen kann», schreibt er 1942 an Walther Thomas, den Kulturreferenten Baldur von Schirachs, spricht aber immer noch von der «politisch herrliche[n] Erhebung des Nationalsozialismus». Nolde musste erfahren, wie der Unterschied zwischen der angeblichen «alljüdischen Bevormundung» und der «Bevormundung» durch die Nazis aussah. Er hat aus dieser Erfahrung nichts gelernt, er hat aber seine Kunst – und das war letztlich doch eine Form des Widerstands – auch nicht durch Anpassung korrumpiert.

Emil Nolde. Städel-Museum Frankfurt. Bis 15. Juni 2014. Katalog.
 

Nota.

Inzwischen habe ich über Nolde eine ganze Menge gepostet, nicht erst auf diesem Blog. Verdient er das? Dass er letzthin viel im Gerede ist, liegt an seiner Biographie - Bilder kommen nur insofern vor, als ein jedes von ihnen belegt, dass er künstlerisch kein Nazi war und auch keinen Kompromiss gesucht hat. Aber dies Blog heißt Geschmackssachen, da reicht das zur Rechtfertigung nicht aus. Und da gebe ich zu: Die krachenden Farben haben etwas Verführerisches, die machen was her. Doch dass mir das besonders gefällt, müssen Sie nicht glauben. Alles, was keine Landschaft ist, Blumen inklusive, ist furchtbar hässlich, zeichnen kann oder will er nicht, seine Menschen sind zum Davonlaufen. Das mag künstlerisches Programm sein, ab er mein Geschmack ist es eben nicht. 

Was ganz anderes aber sind, das gebe ich ungeniert zu, die Landschaftsaquarelle. Da kommt es auf die Richtigkeit der Linien nicht an und die Massen müssen nicht ausgewogen sein, und wenn die Töne auch krachen - mit der Maurerkelle kann man Wasserfarben nunmal nicht auftragen; oder, anders gesagt, die Nazis haben ihm mit dem Malverbot künstlerisch einen Dienst erwiesen - Ölfarbe riecht, und Leinwand und Staffelei sind sperrig. Und darauf, dass sie krachen, kommt es bei diesen Farben nicht einmal an, denn sehen Sie nur: diese Töne! Wenn es auch Kitsch ist, seinen Eindruck verfehlt es nicht; ach, diese Töne.
JE  

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