Freitag, 7. März 2014

Schon wieder: Nazi Nolde.

aus Badische Zeitung, 7. 2. 2014

Werke wie funkelnde Edelsteine
Das Frankfurter Städel zeigt eine Retrospektive auf den doppelgesichtigen Expressionisten Emil Nolde.

von Dorothee Baer-Bogenschütz

Still ruht die See. Die erste Retrospektive auf Emil Nolde (1867-1956) seit mehr als zwei Jahrzehnten, die das Frankfurter Städel so glorios wie politisch vorsichtig in Szene setzt, startet unverfänglich. "Lichte Meeresstimmung", so der Titel eines Gemäldes ohne Mann und Maus, erfüllt den ersten Raum, in dem der Autodidakt als Suchender vorgestellt wird. "Erinnert an" ist zunächst Lieblingsformulierung der Kunstwissenschaftler, die das Frühwerk des gefeierten Blumenmalers zerpflücken. Seine Wurzeln werden gefunden bei Arnold Böcklin und van Gogh, ja bei Albrecht Altdorfer. Dass er alsbald die Kritik polarisiert, ist nichts Ungewöhnliches – bemerkenswert ist aber, dass Urteile über Noldes Kunst ebenso wüst wie sanft sind und seine Person regelrecht Lagerdenken befördert.


Auch heute wieder. Der mit dem NS-Terror mehr als flirtete, gar von Goebbels gesammelt und dennoch mit dem Stigma entarteter Kunst belegt werden konnte, ist nunmehr – in Zeiten von Raubkunstdebatte und Cornelius-Gurlitt-Funden – eine Figur, die man durchleuchten will: auf beiden Seiten des Blütenblattes. Doch beantworten die Bilder drängende Fragen? Hildebrand Gurlitt, Vater von Cornelius, Verkäufer "entarteter" Kunst und jüdischstämmiger Diener der Nazis und doppelgesichtig wie Nolde, der später sein Ranschmeißen an Hitler wegradieren will, attestiert dem Künstler 1928 "ehrfürchtiges Staunen vor der Pracht des einfachen Seins". In anderen zeitgenössischen Zeugnissen lodert die Typisierung "Anarchist verwegenster Art".


Vom Image des Rittersporn- und Königskerzenkönners wollte Nolde schon früh weg. "Marksteine" auf diesem Weg nennt er seine religiösen Motive. Sie gelingen sensationell. "Vom optisch äußerlichen Reiz zum empfundenen inneren Wert" strebt Nolde, behält das Glutkolorit der Blumen bei – und traut sich etwas formal: Der neunteilige wie ein mittelalterlicher Flügelaltar aufgebaute Bilderzyklus "Das Leben Christi" ist eine individuelle Betrachtung biblischen Geschehens und Korrektur herkömmlicher Auffassungen. Die Apostel sind für Nolde "einfache jüdische Land- und Fischermenschen". Für die Hexenjagd der Nazis, die es auf die "Entartete Kunst"-Guillotine zerren, ist das Monumentalwerk "gemalter Hexenspuk", von "geschäftstüchtigen Juden als Offenbarung deutscher Religiosität ausgegeben". Zeitgenossen sehen Karikatur statt Glauben. Nolde, Avantgardist und Hitler treu, lässt Religion wieder sein.


Wer nun befürchtet, es werde ihm im Frankfurter Städel sein Nolde genommen, kann beruhigt sein. Noldes Antisemitentum sei "nicht der rote Faden der Ausstellung", sagt Kurator Felix Krämer. Er will Nolde im "zeithistorischen Rahmen sehen, in dem seine Kunst entstanden ist", tastet chronologisch rund 140 Arbeiten ab, viele verlassen die Stiftung Seebüll zum ersten Mal, ein gutes Zehntel wurde noch nicht gezeigt.


Wie in einer Schmuckschatulle, die mit Seide ausgeschlagen ist, wird Nolde präsentiert. Wegen der stark farbigen Leinwände wählte man eine Ausstellungsarchitektur in abgetönten Graustufen. Darin wirken die Werke wie funkelnde Edelsteine. Krämer hat alle Facetten Noldes im Auge. Ob er aber mehr als antisemitische Unperson oder Opfer des Nazi-Regimes anzusehen ist, lässt er offen. Fakt ist: Die Kunst spricht keine judenfeindliche Sprache. Helmut Schmidt ließ an seinem Bonner Büro ein Schild anbringen mit der Aufschrift "Nolde-Zimmer". Die DDR fand ihn "bürgerlich dekadent", offenbar aber nicht faschistisch.


Nachdem mehr als 1100 Werke, und damit mehr als von jedem anderen Künstler aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt worden waren, hatte Nolde 1941 Ausstellungs- und Verkaufsverbot. Dabei waren er und seine Frau 1933 Ehrengäste beim Münchner Jubiläumsbankett des Hitler-Putsches, Nolde Mitglied einer Gründungspartei der Nationalsozialisten in Nordschleswig. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist seine Kunst gleich wieder Kult, der Maler wird 1946 in einem Entnazifizierungsverfahren entlastet. Die großartige "Grablegung" aus dem Jahr 1915 ist 1959 ein zentrales Werk der documenta II.


Inzwischen währt die deutsche Nolde-Verehrung seit gut 100 Jahren. Bis kurz vor der Machtergreifung rühmten sich fast zwei Dutzend Museen seiner Werke. Hans Emil Hansen, der sich seit 1902 nach seinem Heimatdorf Nolde nennt, legt bald darauf mit seinem ersten Gartenbild den Grundstock für eine blühende Werkrezeption und anhaltende Popularisierungswellen. Krämer will junges Publikum begeistern für den Farbenmagier mit dem Hinweis auf seine entfesselte Malerei, die den Neuen Wilden der achtziger Jahre das Wasser reichen kann. Bloß: Deren Veitstänze sind längst nicht mehr das Gelbe der Malerei. Noldes Bilder aber, sie bleiben. Nicht der Kunstmarkt schuf diese Kunst. Sie ist Teil von uns selbst.

Bis 15. Juni. Mehr unter:      http://www.staedelmuseum.de

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