Samstag, 29. März 2014

Alberto Giacometti als Zeichner.

aus Badische Zeitung, 28. 3. 2014                                                                                           Ställe in Capolago, 1915
   
"Ich glaubte, dass mir alles möglich sei" 
Alberto Giacometti: 100 Blätter aus dem Nachlass des Bruders Bruno im Zürcher Kunsthaus. 

von Volker Bauermeister

Dass ein Bild eine mit Farbe bedeckte Fläche sei. Die Botschaft hat der Aquarellist offenbar schon vernommen. So leuchtet die Farbe, dass man annehmen muss: Der weiß, was in Paris passiert ist. Der Fauvismus hatte Furore gemacht. Aber der Maler des Bildes weiß auch noch, wie man Licht und Luft malerisch auffasst. "Ställe in Capolago" erzählt auch von hellem Sonnenschein, von einem klaren kühlen Tag im Oberengadin. Vom Bildautor lässt sich sagen, dass er ein Wunderkind sei.

Frühstück, 1914

Als Alberto Giacometti (1901–1966) am Silser See die Capolago-Landschaft malte, war er gerade vierzehn. Das Blatt ist mit an die hundert anderen als Legat an das Kunsthaus Zürich gekommen, nach dem Tod von Albertos jüngerem Bruder Bruno (1907–2012). Besonders umfangreich ist der Anteil der frühen, noch in Graubünden, im Bergell entstandenen Werke. Neben einigen farbigen Landschaftsstücken vor allem Zeichnungen, die die Familie zum Gegenstand haben. Dass das Zeichnen von früh an Albertos Bildweg war, findet sich in der Kabinettausstellung bestätigt, in der das Kunsthaus jetzt seinen Zugewinn vorstellt.

Selbstbildnis mit blauer Baskenmütze 1916  

Worum es ihm ging, beschreibt der Zeichner selbst: "Die Wirklichkeit ist für mich nie ein Vorwand für das Schaffen von Kunstwerken gewesen, sondern die Kunst notwendiges Mittel, um mir ein wenig besser darüber klar zu werden, was ich sehe." Seine Lieben – Vater, Mutter und Geschwister – sind die Objekte in der graphischen Sehschule des jungen Alberto. Er zeichnet die Köpfe der schlafenden Brüder Diego und Bruno. Die Schwester Ottilia wird am Tisch skizziert, die Mutter Annetta beim Bügeln, der Künstler-Vater Giovanni Giacometti, wie er gerade Bruno porträtiert. Der Kleine hatte es nicht leicht. Dem Vater Modell zu stehen, war keine Fron. Alberto aber war ein Tyrann mit seinem Verismus. Da Motiv zu sein, war reine Qual. Nicht mal mit den Wimpern durfte man zucken. Nichts Flüchtiges durfte dazwischen kommen. Alles sollte klar und fest sein.

 Piz Cengalo und Piz Badile, um 1915

"Ich glaubte, dass mir alles möglich sei mit diesem wunderbaren Mittel: dem Zeichnen", weiß der Künstler noch. Den naiv stolzen Glauben hat er später verloren. Das Sehen und das Gesehene waren dann im Gegenteil immer das ungelöste Problem. Das Unlösbare war Antrieb der Arbeit. Und da er sich nie als "fertiger" Künstler verstand, blieb ihm, sich anzusehen, wie andere vor ihm das Abbilden bewältigt hatten, eine Notwendigkeit. Ausgestellt sind neben frühen Kopien auch solche aus späteren Jahren. Studien nach Dürer, Mantegna, Michelangelo, dem mit dem Vater befreundeten Ferdinand Hodler, dem frühen Realisten Konrad Witz, dem Klassizisten Nicolas Poussin – dem kubistischen Bildhauer Jacques Lipchitz. Das introspektive surrealistische Intermezzo überspringt diese Zeichnungsschau. Zuvor aber zeigt sich der Giacometti der 20er Jahre vom volumenbildenden, quasi bildhauerischen Frühkubismus angezogen. Er will die Gegenwart eines physischen Gegenübers – eines weiblichen Körpers oder eines Gesichts – unbedingt beglaubigt finden. Zeichnen hat für ihn diese bannende Wirkung.

Bildnis Marcel Buri, 1919

Für die 50er Jahre fügt sich das graphische Konvolut aus Bruno Giacomettis Besitz dann wieder zu einem dichten klaren Eindruck der Entwicklung. Da ist jedes Blatt nun aber das Bild einer Suche. Die aus dem Kritzelduktus gewonnene Zeichnung ein Prozess mit offenem Ausgang. Und auch die plastische Arbeit ist ja in der Zeit, in der alles fragwürdig ist, ein nervöses Zeichnen mit den Fingerkuppen. Dass die Zeichnung "die Grundlage von allem" sei, sagt Giacometti. Sie sei "das Herzstück seines Werkes", schreibt die Zürcher Kuratorin Monique Meyer. Zeichnen ist Arbeit "sans fin". Flüchtig ist alles.

 Studie nach Laokoon

Und es geht nun auch nicht mehr, die Dinge hervorzukehren und so zu fixieren, als würden sie nicht unter den unberechenbar wechselnden Bedingungen etwa des Raumes erscheinen. Ein Baum zum Beispiel ist ein Ereignis in Zeit und Raum. Der Baum hinterm Haus in Stampa im heimatlichen Bergell, das auch für den Pariser Giacometti ein Bezugsort bleibt: Seine Äste schießen radial in die Höhe, sein Stamm spielt in der graphischen Textur der Landschaft mit. Giacometti entwickelt das Sehen kontextuell, in der Gestalt graphischer Gewebe. Doch bleiben die Fragment. Die Etüde ist sein Arbeitsmodell. Mit der Idee der Etüde widersetzt sich Giacometti dem gefürchteten Stillstand.

Kunsthaus Zürich. Bis 25. Mai, Di + Fr bis So 10–18, Mi, Do 10–20 Uhr. 

Cuno Amiet, Portrait d'Alberto, 1910

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