Mittwoch, 12. März 2014

Jawlenski in Wiesbaden.

aus Badische Zeitung, 12. 3.2014                                                                  Variation: Seelenwandern, 1916


Farbe war sein Wortschatz
Vom Expressionismus zur seriellen Malerei: Zum 150. Geburtstag Alexej von Jawlenskys. 

von Volker Bauermeister

Dieser Münchner Russe ist ein lebendiges Beispiel für die Internationalität der Kunst vorm Ersten Weltkrieg. Mit Alexej von Jawlenskys "Mädchen mit Pfingstrosen" wirbt die Zürcher Schau "Von Matisse zum Blauen Reiter". Und in Wiesbaden zeigt zu seinem 150. Geburtstag (am 13. März) eine Ausstellung den Maler auch wiederum im Kontext der europäischen Moderne: "Horizont Jawlensky".

 
Das gelbe Haus, 1908-09

1896 war er nach München gekommen, wo er den Landsmann Wassily Kandinsky kennenlernte. Schon ein Leibl konnte ihm zeigen, was Malerei vermag. Frankreich aber wurde prägend. Ein Selbstporträt von 1904 ist auch eine Hommage an den Wahlfranzosen van Gogh, an dessen emotionsgeladenen Malstil. In der Münchner Neuen Künstlervereinigung schließt Jawlensky sich mit der jungen Avantgarde zusammen. Den Sprung zum "Blauen Reiter" scheut er, er ist kein Kunstpolitiker, kein Kommunikator. Ein Expressionist aber, der weiß, was er will: Malen, was das Gefühl verlangt.

Die Fabrik, 1910

Für Anregung zeigt er sich offen. Nach van Gogh wirkt Cézanne auf ihn. Dann Gauguin . Den Fauvismus erlebt er aus nächster Nähe. 1905, als Matisse und die Seinen die Kunstwelt mit ihrer Farbgewalt schocken, ist er mit eigenen Bildern im selben Salon d’Automne. In Murnau, wo Kandinsky und Gabriele Münter leben, gelingen in den kommenden Jahren Landschaften in jubelnden Tönen. Dann sucht er eine noch konzentriertere schlagartige Wirkung. In Oberstorf malt er Berge als Farbmassive. Großäugige farbplastische Köpfe entstehen. Im italienischen Bordighera sehen wir ihn 1914 allerdings mit Bildern, die plötzlich wie leichte improvisierte Gewebe scheinen. 

Murnau
 
Und noch im selben Jahr erfährt Jawlenskys Leben eine Zäsur. Bei Kriegsbeginn muss er Deutschland verlassen. In der Schweiz, in St. Prex am Genfersee, findet er eine bescheidene Bleibe. Doch nichts ist mehr wie zuvor. Selbst ein Arbeitsraum fehlt. Ein Fensterblick begründet sein Werk neu. Es braucht nicht viel, um zu erreichen, was er "Tiefe" nennt. Ein paar Bäume, ein Weg, dahinter der See . . .

 
 Genfer See, 1915

Auf Malpapier verwandelt sich’s in ein weiches Farbgefleck. Die Farben fangen in der steten Wiederholung wechselnde Stimmungen ein – der Atmosphäre oder der "Seele". Das Fenster wird zur transparenten Folie zwischen dem Außen und dem Innern. Der Expressionismus ist in diesen "Variationen" auf ein luzides Modell gebracht. Damit wird der Maler zu einem Protagonisten des Seriellen.

Variation; Vorfrühling - Ascona 

Was Jawlensky dabei vor Augen hat, ist doch noch immer das alte Heiligenbild des Ostens: die Ikone. Er will die Kunst noch einmal aus einem "religiösen Gefühl" heraus erklären. Und nimmt sich dann wieder das menschliche Gesicht für seine Projektionen des Heiligen vor. In stark vereinfachter Form, den "Variationen" folgend, entstehen Serien "Mystischer Köpfe" und "Heilandsgesichter". Den ganzen, sich in eine helle Tiefe öffnenden Bildraum nehmen sie ein. In den folgenden "Abstrakten Köpfen" findet die Form eine geometrische Ordnung. Jawlensky beginnt diese Serie 1918 in Ascona und setzt sie bis in die 30er Jahre fort. Sein Konstruktivismus hat esoterische Wurzeln wie der Piet Mondrians, wie der Suprematismus Kasimir Malewitschs.

 Heilandsgesicht, 1922.

Mit der Rückkehr nach Deutschland, 1921, gibt Jawlensky auch die Beziehung zur Malerin Marianne von Werefkin auf, die mit ihm aus Russland kam und nun in Ascona zurückbleibt. Den Weg zum neuen Wohnort Wiesbaden, mit Partnerin Helene und Sohn Andreas, hatte Emmy Scheyer geebnet. Emmy, die er "Galka" (Dohle) nannte, wurde später zur Initiatorin der Gruppe der "Blauen Vier", mit Jawlensky, Kandinsky, Klee und Feininger, und zu deren Agentin in den USA. 
Morgenlicht

Jawlensky lebte zurückgezogen in Wiesbaden und malte an seinen "Köpfen". Er identifiziert dies offene Raumbild eines Gesichts, schlicht ins Große greifend, mit "Kosmos". Die schweifende Empfindung hat darin ein klares Gerüst: So gibt sich der Expressionist Jawlensky als romantischer Klassizist zu erkennen.

Meditation No. 278 Dunkle Harmonie. 1934

Dann aber löst eine bewegte Handschrift die Ordnung auf. Die ikonenhaften Gesichter der letzten Arbeitsjahre, die "Meditationen", scheinen der Farb- und der Formlosigkeit abgetrotzt. Eine Krankheit, eine Arthritis mit fortschreitender Lähmung, macht das Malen zur Qual und schließlich unmöglich, vier Jahre vorm Tod 1941. Diese Malerei, mit den kargen Pinselzügen, die noch möglich sind, ist aber nicht schwach. Sondern von eindringlicher Wirkung. Den Wunsch nach Erlösung teilt sie mit, wie selten etwas. "Noch tiefer und geistiger, nur mit der Farbe gesprochen", so sieht sie Jawlensky. Die Farbe war sein Wortschatz. Die späten Wiesbadener Jahre sind eine Passionsgeschichte.

Ausstellung im Museum Wiesbaden, bis 1. Juni.  Katalogbuch "Horizont Jawlensky". Hirmer Verlag, München 2014. 312 Seiten, 45 Euro.


 Sonnenuntergang, 1911


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