Sonntag, 30. März 2014

"Die Zeichnung ist die Sprache des Architekten."

aus Der Standard, Wien, 19. 3. 2014                                                                                              Ironimus

"Der Computer kann nicht kreativ sein"
Gustav Peichl ist ein Verfechter handgefertigter Skizzen in der Architektur. Der international renommierte Baukünstler über den nach ihm benannten Preis für Architekturzeichnung

Interview | Andrea Schurian

Wien - Geschenke dieser Art sind ganz nach seinem Geschmack: Zu seinem 85. Geburtstag im Vorjahr eröffnete die Akademie der Künste Berlin ein Gustav-Peichl-Archiv mit rund 4000 Skizzen, Zeichnungen und Entwürfen des Architekten. Und zu seinem 86. Geburtstag am Dienstag wurde ihm zu Ehren an der Akademie der bildenden Künste Wien der mit 4000 Euro dotierte Gustav-Peichl-Preis für Architekturzeichnung vorgestellt. Die Initiative dazu ging von seinen ehemaligen Studentinnen und Studenten aus - "darunter gibt es ja viele erfolgreiche Architekten", wie Peichl voller Lehrerstolz feststellt. "Heute zeichnet ja kaum ein Student mehr. Die sind alle per Mausklick unterwegs."

 Bundeskunsthalle Bonn, 1. Entwurfskizze, 1986

STANDARD: Verändert das Verschwinden der Zeichnung die Architektur?

Gustav Peichl: Mit Sicherheit! Allein in Wien. Nehmen Sie den wirklich schönen, nicht bedeutenden, aber schönen alten Wiener Westbahnhof. Die denkmalgeschützte Halle aus den 1950er-Jahren ist zwischen zwei Neubauten eingequetscht wie ein Sandwich. Der Südbahnhof ist von der Idee her gut und gelungen, nur der anschließende Städtebau ist einer des 19. Jahrhunderts. Das ist ein Mischmasch, jene, die Geld haben wie die Erste Bank, dürfen Hochhäuser bauen. Man hat keine Plätze zum Flanieren eingeplant. Oder Wien Mitte! Alles zu groß und unproportioniert! Es geht nur um Geldverdienen und Quadratmeterschaffen. In Anlehnung an Hans Sedlmayrs Buch Verlust der Mitte müsste man über Wien das Buch Verlust des Maßstabs schreiben.

Bundeskunsthalle, Bonn

STANDARD: Diesen Verlust des Maßstabs verbinden Sie mit dem Verlust der Zeichnung?

Peichl: Wir sehen ja alle, dass viel schiefgeht in der Architektur. Das hängt weitgehend - nicht ausschließlich! - mit der Ausbildung zusammen, die ist nicht mehr so, wie wir Alten uns das vorstellen. Ich sage immer: "Back to the pencil!" Zeichnen, Skizzieren mit dem Bleistift, der Feder, dem Buntstift. Der Architekturzeichnungspreis ist ein Signal gegen die Computerbilder, die nichts mehr mit Architektur zu tun haben. Ich sage immer: Zeichnen muss Lust bringen. Das verstehen die meisten Studierenden heute nicht, die klimpern auf ihrem Computer herum. Aber der Computer kann nicht kreativ sein! Daher wollen wir die Zeichnung aufwerten.

 Dachgarten der Bundeskunsthalle in Bonn

STANDARD: Wird Zeichnen noch unterrichtet auf der Akademie?

Peichl: Früher war der Abendakt verpflichtend für Architekten. Als ich 1950 an die Akademie kam, habe ich dort Künstler wie Hrdlicka oder Hundertwasser kennengelernt. Lauter interessante Persönlichkeiten, die zur Architektur wenig Bezug hatten, aber mit denen wir debattiert und gestritten haben. Auch für meine Studenten war das noch wichtig. Heute interessiert sich niemand mehr dafür. Die Wiener Akademie hatte früher einen Weltruf. Mit dem Preis wollen wir mithelfen, diesen Ruf wiederzuerlangen.

Entwurf für ein Fertighaus

STANDARD: Ihr privates Vergnügen oder haben Sie die Unterstützung der Akademie?

Peichl: Eva Blimlinger ist eine fabelhafte Direktorin mit unglaublich viel Power. Sie hat den Preis mitgeboren. Nach mir ist er benannt, weil alle wissen, dass ich ein Zeichnungsfan bin. Und eitel bin ich, stolz bin ich auch - also hab ich sofort Ja gesagt, als man mich gefragt hat.

Bundeskunsthalle Bonn

STANDARD: Sie haben Zeichnungen nie per Computer nachbearbeitet?

Peichl: Nie! Ich bin kein Computerhasser, aber ich mag auch E-Mails nicht, die dann alle gleich ausschauen. Ich habe eine große Autografensammlung, Briefe von Kreisky, Karajan, Gottfried von Einem: Ein handgeschriebener Brief hat ein Bild. Ich bin ein optischer Fanatiker.

Fertighaus

STANDARD: Ihr Buch "Die Zeichnung ist die Sprache des Architekten" ist eine programmatische Ansage?

Peichl: Eine Zeichnung gibt Anregung, wie der Entwurf weitergehen soll. Das kann ein Computerbild gar nicht, wo immer die gleichen Wolken drauf sind, fesche Frauen mit Kinderwägen, lauter schicke Sachen, die mit dem Entwurf nichts zu tun haben.

Fertighaus, Eingang

STANDARD: Sie haben viele Ausschreibungen in Deutschland gewonnen, u. a. für die Bundeskunsthalle Bonn. Wie beurteilen Sie die Diskussion ums Wien-Museum?

Peichl: Man soll den Haerdtl-Bau erweitern, der ist ja nicht schlecht! Aber wenn man hört, wer in die Jury kommen soll, weiß man, es kommt eine modische Architektur. Mein Credo lautet: "Modern, but not fashionable". Noch schlimmer ist übrigens das, was beim Eislaufverein geplant wird. Das Projekt an sich ist ja interessant, aber man kann doch dort kein Wohnhochhaus hinbauen, das ist ja noch Innenstadt!

Wien-Museum, "Haerdtl-Bau", 1959

STANDARD: Klingt, als wären Sie eher für Restaurierung als für Neubau?

Peichl: Ja. Das heißt nicht, dass man nichts bauen soll. Aber mit Verstand! Man muss Qualität bauen, die nicht modisch ist und die Umgebung nicht beleidigt. Die Seestadt Aspern wird ein Luxusghetto. Architekten aus ganz Europa lachen über diese Seestadt.

Gustav Peichl (86) eröffnete 1955 sein erstes Architekturbüro. Ab 1977 leitete er die Architektur-Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste Wien, 1987/88 war er deren Rektor. Er erhielt unter anderem den Großen Österreichischen Staatspreis. Unter dem Pseudonym Ironimus zeichnet er Karikaturen.

 Ironimus, Selbstporträt

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