aus NZZ, 15. 3. 2014 Alpspitze, Lithografie, handkoloriert, 1932.
Auf einem scharfen Grat
Die Hochgebirgsbilder von Alexander Kanoldt stellen alles andere als Sehnsuchtsorte dar
von Karin Hellwig
In den Bildern von Alexander Kanoldt erscheinen die Dinge nüchtern und emotionslos, ohne Spuren menschlichen Lebens. 1928 entdeckt der Künstler die Bayerischen Alpen als ein Motiv und hält sie bis zu seinem Tod in zahlreichen Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Lithografien fest.
Die Hochgebirgsbilder von Alexander Kanoldt stellen alles andere als Sehnsuchtsorte dar
von Karin Hellwig
In den Bildern von Alexander Kanoldt erscheinen die Dinge nüchtern und emotionslos, ohne Spuren menschlichen Lebens. 1928 entdeckt der Künstler die Bayerischen Alpen als ein Motiv und hält sie bis zu seinem Tod in zahlreichen Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Lithografien fest.
«Kanoldts Kunst ist die Kunst des
Ausgleichs, der Balance, der Mitte. Nicht der goldenen Mittelstrasse,
die aus Schwäche beschritten wird, sondern des scharfen Grats, neben dem
rechts und links der Abgrund steht. Hier kann nur wandern, wer nicht
genialisch nach rechts und links ausbiegt, sondern mit klarem Instinkt
und innerer Präzision am Werk ist.» Als der Kunstkritiker und
Kunsthistoriker Franz Roh 1926 mit diesen Worten die künstlerische
Haltung des damals 45-jährigen Malers Alexander Kanoldt beschrieb,
schien er damit bildnerische Gestaltungsmittel aus dessen sechs Jahre
später entstandener Lithografie «Alpspitze», mit den steilen
Felsformationen und Graten dieses pyramidenförmigen Gipfels des
Wettersteingebirges, gewissermassen vorwegnehmend zu erklären. Roh, der
in München bei Heinrich Wölfflin Kunstgeschichte studiert hatte,
verwendet hier eine Metapher, mit der er auf die Kompromisslosigkeit
anspielt, die Kanoldt damals bei der Ausformung seiner
avantgardistischen neusachlichen Bildsprache zeigte.
il paese de Bellegra 1925
Alexander Kanoldt (1881-1939) gehörte ab 1909 in München, wohin er nach seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule und der Grossherzoglichen Akademie in Karlsruhe gezogen war, zum engsten Zirkel der jungen Avantgarde. Allerdings blieb er mit seiner Bildsprache dem natürlichen Erscheinungsbild verpflichtet und sollte mit seinen negativen Äusserungen über die sich steigernde Abstraktion und gegen die von Kandinsky geforderte programmatische Gegenstandslosigkeit eine gewisse Rolle bei der Abspaltung des «Blauen Reiters» von der «Neuen Künstlervereinigung» 1911 spielen. Die produktivste Schaffenszeit Kanoldts waren die Jahre zwischen 1914 und 1928, als er vornehmlich Stillleben, Stadtlandschaften und Porträts schuf. Damals entwickelte er in seinen Gemälden neusachliche Bildformulierungen, anhand deren er die Dinge statisch, scheinbar unverrückbar, wie erstarrt präsentierte. Kanoldt verzichtet auf alles Atmosphärische, so dass es keinen Raum zwischen den Dingen gibt und diese jeweils in gleicher Schärfe erscheinen, gleichgültig, ob sie sich im Bildvordergrund oder im Hintergrund befinden. Auch seine völlig menschenleeren Städte erscheinen nahezu unvorstellbar als Wohn- und Lebensräume und wirken kulissenartig und geisterhaft. Gegenstände und Gebäude präsentiert er als existenzielle Chiffren der Einsamkeit und Entfremdung nüchtern und emotionslos, anonymisiert, ohne Spuren menschlichen Lebens. Nach dem Gefühlsüberschwang des Expressionismus lautete nun das Moto der neusachlichen Künstler: «Gefühl ist Privatsache» (Bertolt Brecht 1926).
Die Landschaft als Motiv spielt bei den Malern der Neuen Sachlichkeit in den 1920er Jahren eine sekundäre Rolle. Auch im OEuvre von Kanoldt dominieren erst ab 1928 in seinem letzten, vergleichsweise wenig produktiven Lebensjahrzehnt Landschafts-, speziell Gebirgsdarstellungen. Ab 1928 entdeckte er die Bayerischen Alpen als ein Motiv, das er bis zu seinem Tod in zahlreichen Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und Lithografien festhalten sollte. Die ersten Werke entstanden in einer Zeit, als er noch als Professor in Breslau tätig war. Zahlreiche weitere schuf er zwischen 1931 und 1933 in Garmisch-Partenkirchen, wohin er mit seiner Familie übersiedelte.
Kreuzjoch 1931
Doch auch danach, als der Maler nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 zum Direktor der Schöneberger Staatlichen Kunstschule ernannt wurde, unternahm er als begeisterter Bergsteiger von Berlin aus Reisen nach Oberbayern und schuf bis zu seinem Tod 1939 weitere Berglandschaften. Zu den häufigsten Sujets gehören zunächst Motive des Hochgebirges mit felsigen Kämmen und schroffen Graten, wie der Waxenstein, die Alpspitze, die Ehrwalder Köpfe und das Kreuzjoch im Wettersteingebirge bei Garmisch-Partenkirchen. Kanoldt hat die Gebirgsmotive mehrfach in Zeichnungen, Gemälden und Lithografien verarbeitet.
Im Leutasch
Den Anfang der Reihe von Hochgebirgsbildern macht die 1928 entstandene Lithografie «Waxenstein». In dem querformatigen Blatt zeigt Kanoldt den Waxensteinkamm bei Garmisch-Partenkirchen mit dem Zwölferkopf vorne, dem Grossen Waxenstein rechts daneben und dem Kleinen Waxenstein im Hintergrund. Er rückt die winterliche Gebirgsgruppe an den unmittelbaren Vordergrund, ohne den Aufstieg zu vermitteln, und reduziert den Himmel auf einen schmalen Streifen am oberen Rand, so dass das Massiv fast das ganze Bild einnimmt und der nahsichtig präsentierte Gebirgszug sehr monumental wirkt. Für die Darstellung der einzelnen Zonen des Gebirgsmassivs verwendet Kanoldt unterschiedliche Farben und Formen. Über der unteren, dunklen Waldzone mit den steil abfallenden Hängen ist eine helle Partie mit den etwas weniger steilen, verschneiten und vereisten Felsen zu sehen. An diese schliesst nach oben eine wieder dunklere und verschattete Zone mit den fast senkrecht abfallenden, nackten Felsen und Bergspitzen an. In schrägen Bahnen streben die Felsfaltungen der einzelnen Bergkämme hoch in Richtung
der einzelnen Bergspitzen. Diese wiederum sind alle fast gleich hoch und bilden einen horizontalen Bergkamm, der nur vom Grossen Waxenstein in der linken Bildhälfte überragt wird. Für die Darstellung der Wälder und Felsen verwendet der Künstler unterschiedliche stereometrische Formen. Es handelt sich zunächst um die übereinandergeschichteten, runden, kegelförmigen bewaldeten Hänge, dann die kubischen und prismatischen Elemente der beschneiten Felsen mit ihren scharfen Graten schliesslich um die zackigen Konturen des sich streng vom Himmel abhebenden Bergkamms. Diese Präzision bei der Darstellung der Grate und Furchen erreicht Kanoldt, indem er nicht wie sonst in seinen Lithografien ausschliesslich mit lithografischer Kreide zeichnete, sondern auch Tuschfeder benutzt hat, um die Konturen zu verschärfen und einzelne Details präziser darstellen zu können.
Das Alpspitz-Motiv
Seine Begeisterung für das Motiv Fels kam seinem Bestreben nach kubistischer Stilisierung entgegen. Indem er auf eine kubistische Formensprache rekurrierte, die an die harte geometrisch-stereometrische Durchformung in den kubistischen Landschaften von George Braque erinnert, die er bereits in seinen Werken der 1910er Jahre begeistert eingesetzt hatte, erreichte der Künstler im «Waxenstein»-Blatt eine Stilisierung ins Harte, so dass man bei der Betrachtung der Lithografie fast den Eindruck hat, das Eis klirren zu hören.
Alpspitze (s. o.)
Ein weiteres Hochgebirgsmotiv ist die 1932 entstandene «Alpspitze». In der hochformatigen Lithografie steht der 2628 Meter hohe pyramidenförmige Gipfel des Wettersteingebirges, der als Wahrzeichen von Garmisch-Partenkirchen gilt, im Zentrum. An eine schmale Zone mit sanft bewaldeten Hängen und Almwiesen in der unteren Bildzone schliessen nach oben die steil übereinander gestaffelten Felsformationen an. Entlang des Hauptgrats links führen diese über die einzelnen kleineren Gipfel zu der in eine kleine Wolke gehüllten Bergspitze empor. Das in Untersicht präsentierte und damit betont monumental wirkende Massiv nimmt fast die ganze Bildfläche ein, so dass nur ein schmaler Himmelsstreifen übrig bleibt.
Frauenalpel
Anhand ineinandergeschobener und übereinandergeschichteter stereometrischer Formen betont Kanoldt die kristalline Struktur der stark zerklüfteten Felsen. Allerdings liefert er ungeachtet des Einsatzes einer abstrahierenden Formensprache ein detailgetreues Abbild der unterschiedlichen Bergspitzen, vom Schwarzen Kopf rechts und vom Rauhkopf links im vorderen Mittelgrund über das Hupfleitenjoch und Höllentorköpfl hinauf zum Hauptgipfel. Rechts dahinter sind der Felsenkamm des Hochblassen und im anschliessenden Grat die Vollkartspitze und die äussere der drei Höllentalspitzen zu sehen. Mit der Vorliebe für geometrische Formen, die er gegen- und miteinander zu einem spannungsvollen Ganzen zusammensetzt - extrem findet sich das in der unteren linken Zone -, erinnert das Blatt «Alpspitze» an die kubistische Phase des Malers. Einige Exemplare hat Kanoldt mit Aquarellfarben sensibel koloriert.
Eisacktal, 1911
Kunstpolitische Radikalisierung
In der Forschung wird bei dem Versuch, die stilistischen Veränderungen und die Hinwendung Kanoldts und anderer Maler der Neuen Sachlichkeit zu neuen Themen, nämlich der Landschaftsmalerei, zu subsumieren, zwischen einer «neusachlichen Hauptphase» in den 1920er und der «neuromantischen Endperiode» in den 1930er Jahren differenziert. Kanoldts Gebirgsbilder der 1930er Jahre, in denen er nicht nur von italienischen Landschaften zu deutschen wechselte, sondern sich auch stilistisch vom «neusachlichen Realismus» zum «daseinsentrückten Romantizismus» veränderte, werden in einen Zusammenhang mit seiner kunstpolitischen Radikalisierung gebracht. Nachdem der Künstler 1931 nach Konflikten seine Professur an der Breslauer Akademie gekündigt hatte und mit der Familie nach Garmisch-Partenkirchen gezogen war, trat er 1932 in die NSDAP ein. Das sollte nicht verhindern, dass er 1933 in der von Hans Adolf Bühler in Karlsruhe veranstalteten Diffamierungsausstellung zur modernen Kunst, der «Schreckenskammer», mit Werken vertreten war, brachte ihm aber gleichzeitig einen Ruf als Direktor der Hochschule der bildenden Künste in Berlin-Schöneberg ein. Seine Gemälde sollten zwar 1937 nicht in der Ausstellung «Entartete Kunst» zu sehen sein, doch wurden im gleichen Jahr mehrere Werke aus öffentlichen Sammlungen in Hamburg und Essen entfernt. In den 1930er Jahren scheint Kanoldts schöpferische Kraft nachgelassen zu haben. Ein Jahr vor seinem Tod 1939 klagte er: «. . . es sollen aber die letzten Gebirgsblätter werden - es muss dann unbedingt eine Motivänderung eintreten.»
Alpenlandschaft mit Wetterstein, um 1937
Entgrenzte Berge
Kanoldt begeisterte sich zeit seines Lebens für die Berge. Zu seiner Faszination für das Hochgebirge als Motiv hat sich der Maler 1933 in einem Brief an Franz Lenk geäussert. Er bezeichnet dieses als Ort, in dem die «Maßstabslosigkeit der Natur die Relationen zum Menschen verloren hat». Seine jüngsten, «erhabenen» Hochgebirgslandschaften erwähnt er als Bilder, «wo es eigentlich gleich in die Abstraktion geht. Wo keine Beziehung mehr zum Menschlichen vorhanden ist. Da verlieren sich alle Massstäbe. Da stellt die Natur tatsächlich Probleme.» In Kanoldts Gebirgsbildern verlieren sich tatsächlich alle Maßstäbe. Es fehlt nicht nur die Darstellung von Lebewesen und einer detaillierten Vegetation, sondern es finden sich überhaupt keine Spuren menschlichen Lebens. Damit werden die tatsächlichen Dimensionen für den Betrachter nicht einschätzbar, und es geht jede Beziehung zum Menschlichen verloren. Kanoldt schliesst jede Form von Prozesshaftigkeit oder zeitlicher Perspektive aus und verweigert Aussagen über die Vergangenheit und Zukunft der dargestellten Landschaften.
Telegrafenleitungen 1921
Der Begriff «gefrorene Wirklichkeit», der die Stillleben von Kanoldt beschreibt, lässt sich auch auf seine Hochgebirgsbilder anwenden. Auch in diesen herrscht die Ruhe, das Statische vor, und es fehlt jegliches Leben oder Spuren davon. Kanoldt zeigt sich damit als Meister kühl-distanzierter Beobachtung. Alle Einzelheiten gibt er mit derselben kalligrafischen Härte wieder und nimmt Individuelles zugunsten einer erstarrten Form zurück. Wie auch seine Stillleben sind die Bergbilder unbelebt und ereignislos. Naturphänomene finden keine statt, der Himmel erscheint wolkenlos und ruhig, kein Gewitter ist im Anzug, kein Sturm kündigt sich an. Diese «Verdinglichung» der Natur ist für Kanoldt wie auch für die anderen Maler der Neuen Sachlichkeit ein Stilmittel zur Darstellung eines pessimistischen Weltbildes, beherrscht von der Erfahrung von Fremdheit, Einsamkeit und Isolation.
Steinwüste, 1911
In Kanoldts Gebirgsbildern sind die Berge keine Sehnsuchtsorte, sondern sie präsentieren sich schroff und abweisend, entgrenzt und unzugänglich. Anders als die traditionellen Alpenmaler baut er keine Brücken in die Bildtiefe, er macht dem Betrachter kein Angebot, sich das Gebirge anschaulich zu erwandern. Seine Felsmassive laden nicht zum Bergsteigen ein, sondern präsentieren sich unbegehbar. Die Ruhe in Kanoldts Gebirgsdarstellungen ist keineswegs idyllisch, sondern eine erstarrte Stille, an der teilzunehmen der Betrachter nicht eingeladen wird - die Berge erscheinen als geisterhafte, lebensfeindliche Einöde.
Dr. Karin Hellwig ist Kunsthistorikerin am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München.
Hiddensee
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