Mmh, lecker: Fischbrot mit Ei. Was auf dem Bild so angestrengt anregend zum Stillleben drapiert wurde, war nicht alles Plaste. Im Gegensatz zur heutigen Food-Fotografie, die Lebensmittel so lange lackiert, besprüht, präpariert oder gleich ganz künstlich herstellt, waren die Lebensmittel, die Kurt Schwarz 1965 in der DDR fotografierte, nach dem Foto-Shooting tatsächlich noch essbar. Kam schon mal vor, dass er ein Huhn seines Auftraggebers mit nach Hause nehmen durfte. Im Gegenzug stellte er selbst gerne mal seine Ehefrau vor die Kamera, die für Rezept-Zeitschriften die eifrig backende Haufrau gab. So war das damals im Osten. Ein Detail ist dann aber doch aus Plastik auf diesem Bild, und zwar der Hummer. Davon gab es bekanntermaßen nicht allzu viele in der DDR, schon gar nicht für den Normalbürger.
Für Kochbücher und Frauenzeitschriften aber sollte trotzdem alles schön und frisch und kostbar aussehen - zumal wenn die Bürger gerade zum vermehrten Fischverzehr aufgerufen werden sollten. Weil die Fleischzufuhr mal wieder begrenzt war. Und Kurt Schwarz lieferte dazu die passenden und für damalige Verhältnisse berückenden Bilder.
So auch von einem leidlich luxuriösen Škoda, schön in Szene gesetzt zwischen elegant geschwungenen Treppen, Wasser und Dampfer mit DDR-Fahne, ...
... oder von einem Vorzeige-Luxushotel, in dem es sich vergleichsweise vorzüglich gastieren ließ. Dass die meisten DDR-Bürger diese Vorzüge nie in Anspruch nehmen konnten - egal. Kurt Schwarzer war ein Fotograf in sozialistischen Diensten. Mit seiner Hilfe wollte der Staat dem Bürger eintrichtern, wie die sozialistische Revolution auszusehen hatte. Und dem Ausland sollte demonstriert weden, wie hübsch, wie produktiv, motiviert und glücklich die Menschen im Osten waren. Offizielle Auftragsarbeiten eben.
Aber waren die Fotografen, die jahrzehntelang im Dienste der DDR für Zeitschriften, Betriebe, Messen oder Massenorganisationen mit der Kamera unterwegs waren, selbst so regimetreu? Waren Kurt Schwarzer und Martin Schmidt zum Beispiel komplett gelenkt? Oder machten sie freiwillig all diese schönen Bilder abseits von Mangel, Unfreiheit und Diktatur? Diesen Fragen geht die Ausstellung "Farbe für die Republik - Auftragsfotografie vom Leben in der DDR" im Deutschen Historischen Museum in Berlin derzeit nach.
Da gibt es also Bilder von zufriedenen Bäuerinnen im Schweinestall. Ob die Schweine glücklich sind, war damals nicht die vorherrschende Frage; die Bäuerinnen sollten es sein. Denn der Arbeitskräftemangel auf dem Land und in der Landwirtschaft war eklatant, Landwirtinnen mussten her. Mit Fotos wie diesen sollte Martin Schmidt der Bevölkerung das arbeitsame Landleben schmackhaft machen, ähnlich wie mit dem Foto des Ausstellungsplakats, auf dem eine junge fröhliche Frau mit rotem Kopftuch einen Traktor fährt. Doch ist ihr leicht ironisches Lächeln nicht vielleicht eine versteckte Regimekritik?
Und die Alten, ausgeschieden aus dem Arbeitsprozess, die in Vorzeigealtenheimen wie diesem ebenfalls von Schmidt abgelichtet wurden, wirken doch etwas verloren inmitten dieser nicht nur blühenden Landschaften. Mit Absicht?
Auf diese Fragen dürfen sich die Besucher der Ausstellung selbst einen Reim machen, freundlich unterstützt von diversen Schautafeln, Zitaten, Hörproben von Zeitzeugen, Journalisten, Kuratoren und Wissenschaftlern. Aufgeteilt in Bereiche wie Landleben, Erwerbsleben, Frauen, Konsumgüter, Alte und Junge, zeigen sowohl die Fotos von Schwarzer und Schmidt als auch die Zeitschriften, in denen sie erschienen sind, viele Details aus dem Alltagsleben der DDR. Beide Fotografen waren freie Bildjournalisten, sie wussten, welche Bilder erwünscht waren, also gekauft würden, und welche nicht. Aber haben sie versteckte Hinweise darauf eingebaut, dass es vielerorts doch ein bisschen anders war, als ihre Auftragsfotografien zeigen sollten?
Auffällig ist bei vielen Fotos, die alle aus den 60er bis 80er Jahren stammen, die klassische Bildanordnung. Es wirkt gestellt und inszeniert, wenn Landarbeiterinnen sich augenfällig vom Vorarbeiter instruieren lassen, wenn sie alle in eine Richtung schauen. Oder wenn eine von ihnen immer etwas Rotes trägt, zum Beispiel ein gestärktes Kopftuch, das Martin Schmidt bei seinen vielen Aufträgen für die Landwirtschaft als Requisit immer dabei hatte. Während bei Schmidt meist das Rot in seinen Bildern dominierte, ob nun als persönliches künstlerisches Stilmittel, als Farbe des Sozialismus oder einfach, um Lebendigkeit zu vermitteln, war es bei Kurt Schwarzer das Türkis. Allein dadurch kann der Ausstellungsbesucher auf den ersten Blick erkennen, mit wem er es gerade zu tun hat, mit Schmidt oder Schwarzer. Außerdem: Bei Schmidt stehen immer die Menschen im Vordergrund, bei Schwarzer sind es die Produkte. Kurt Schwarzer (1927 bis 2012) hat sich in Interviews als unpolitischen Fotografen bezeichnet, der sich mit Auftragsfotografien seinen Lebensunterhalt sicherte, Martin Schmidt, 88, hingegen sah sich als Bildjournalist, durchaus im Dienste des Sozialismus.
So sieht der Besucher Liebespaare, die sich in der sozialistischen Romantik natürlich keine Schlösser und fürstliche Parkanlagen anschauten, sondern per Roller lieber neue Fabrikhallen besichtigten, in ihrer Freizeit, versteht sich. Als Ausdruck des Fleißes, des Stolzes und der Schaffenskraft des Arbeiter-und-Bauern-Staates.
Und immer wieder: Fröhliche Werktätige bei der Arbeit, vorwiegend Frauen in vorwiegend technischen Berufen, anpackend, tatkräftig - und innerhalb des Betriebes rundum versorgt. Eine Bildstrecke von Kurt Schwarzer etwa zeigt eine kecke junge Dame in ihrem Betrieb - beim betriebseigenen Zahnarzt, in der Kantine, im werkseigenen Lebensmittelshop, eigentlich überall. Nur nicht bei der Arbeit. Das hatte den Hintergrund, dass die Industrie Frauen anwerben wollte, sie wurden als Arbeitskräfte gebraucht. Und sie sollten sicher sein: Hier wird für dich gesorgt. Und das war vielerorts auch so. Weshalb viele Besucher der schon in den ersten Tagen nach Eröffnung überaus gut besuchten Ausstellung kritisch anmerken, auch im Gästebuch: "Eine tolle Ausstellung, genau so war es damals - nur die Bildunterschriften, die muss wohl ein Wessi gemacht haben."
Die Sonnenseite der DDR, sie überwiegt also immer noch in vielen Köpfen. Ostalgiker kommen ergo hier auf ihre Kosten. Doch eigentlich will die Ausstellung zeigen: Die DDR hat ihre Bürger versucht zu lenken und zu leiten, zu infiltrieren und zu manipulieren, auch mittels dieser Farbbilder. Denn Farben waren zwar teuer und schwer zu bekommen, doch sie wecken mehr Emotionen als die damals noch übliche Schwarz-Weiß-Fotografie. Und während im Westen die Farbfotografie über die Werbung aufkam, denn Anzeigenkunden leisteten sich diese eher als die Verlage selbst, war es im Osten der Bildjournalismus, der die Farbe ins Spiel brachte. Werbung spielte dort kaum eine Rolle.
Und heute? Sind wir ganz gesamtdeutsch an bunte und hochglänzende PR-Bilder aus Magazinen oder dem Netz mehr als gewöhnt - und wundern uns nur noch ein bisschen darüber, dass es das alles so ähnlich in der DDR auch schon gab.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 31. August im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin.
Nota.
Ich habe der Versuchung widerstanden und die Farben nicht im Photoshop bearbeitet. Denn was alles sonst der Autorin am der DDR eigentümlichen Bildaufbau dieser sogenannten Reportagefotos aufgefallen sein mag - das zeithistorisch und kulturgeschichtlich Schwerwiegende sind diese Farben selbst. Nirgends auf der Welt - auch im restlichen Ostblock nicht, an sachlichem Mangel kann's also nicht gelegen haben - hat es etwas Vergleichbares gegeben. Es ist, als wäre ein geheimer Sonderbevollmächtigter der Partei- und Staatsführung durch die Republik gezogen und habe darüber gewacht, dass einer jeden in der DDR hergestellten Farbe - Chemie von hoher Wertigkeit - das enötige Löffelchen Teer und die erforderliche Dosis Milchschleier beigemengt wurde. Denn es ist ja nicht vorstellbar, dass sich ein so totalitärer Mangel an Geschmack ganz von allein hätte durchsetzen können.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen