Radikale Abkehr vom Gegenständlichen
Das Kunstmuseum Basel zeigt zum ersten Mal Illustrationen von Kasimir Malewitsch, die es vor mehr als 40 Jahren gekauft hat.
Man kann nicht behaupten, dass dies eine Ausstellung von sinnlicher Opulenz sei. Farbe etwa: Fehlanzeige, jedenfalls was den Hauptgegenstand der Schau angeht, eine Folge von zeichnerischen Vorlagen zu einer Buchpublikation Kasimir Malewitschs, die 1927 als elfter Band in der Reihe der Bauhausbücher erschien. Von großer Buntheit sind in der Ausstellung lediglich Malereien des Künstlers – Frühwerke wie der zwischen Kubismus und Fauvismus oszillierende "Mann mit spitzem Hut" von 1910 und eine sechs Jahre zuvor entstandene kleine, pastos gemalte impressionistische "Landschaft". So dürften den russischen Künstler wenige kennen, der vielmehr für sein Schwarzes Quadrat – eine Ikone der Moderne und eine Art Nullpunkt der Malerei – sowie vergleichbare Werke berühmt ist. Entsprechend die Zeichnungen: einfache geometrische Formen, eben Quadrat und Kreis, Rechteck und Kreuz sowie ihre Kombination. Gegenständliche Motive dienen lediglich der exemplarischen Vergegenwärtigung einer Kunst, die Malewitsch mit seiner Malerei glaubte überwunden zu haben.
Das erwähnte Bauhausbuch mit dem Titel "Die gegenstandslose Welt", ein Schlüsselwerk zum Verständnis von Malewitschs Kunstphilosophie, beinhaltet 92 Abbildungen – neben Zeichnungen von der Hand des Künstlers und von Mitarbeitern eine Reihe von Fotografien und Reproduktionen von Gemälden. Vor über vierzig Jahren erwarb das Kunstmuseum 49 dieser Illustrationen, die nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Wie die Blätter in den Besitz des Museums gelangten und aus welchen Gründen sie erst jetzt ausgestellt werden, ist eine Geschichte für sich.
Empfindung des Verklingens, 1927
In der Hoffnung auf Ausstellungen und Publikationsmöglichkeiten reiste Malewitsch im Frühjahr 1927 nach Deutschland; in seiner russischen Heimat war ein Buch der stalinistischen Zensur zum Opfer gefallen. Tatsächlich wurden in Berlin Gemälde und Gipsmodelle seiner Architekturentwürfe ausgestellt und bei einem Besuch im Bauhaus in Dessau die Publikation einer Schrift vereinbart. Für sie fertigte Malewitsch mit seinen Mitarbeitern Vorlagen an. Früher als geplant jedoch musste er in die Sowjetunion zurückkehren. Der dortigen ungewissen politischen Situation wegen ließ er seine Werke in Deutschland zurück.
Eine erneute Ausreise wurde Malewitsch dann nicht mehr gewährt. Der Spionage verdächtig, verhörte man ihn in Leningrad; 1930 saß er zwei Wochen lang in Untersuchungshaft. Die Buchvorlagen gelangten 1969 über mannigfache Stationen in die Sammlung des Kunstmuseums Basel. 2010 zweifelten die Erben Malewitschs die Rechtmäßigkeit des Besitzes der Blätter an, einigten sich aber zwei Jahre später mit dem Museum auf der Grundlage einer Gegenleistung: einer Gouache Malewitschs. Damit war der Weg frei für die erstmalige Präsentation der Vorlagen.
Wider die stets "selben Kühe und Sonnenuntergänge"
Denen stellt die Ausstellung eine Folge von Lithografien El Lissitzkys voran, der den Suprematismus von der Fläche in den Raum entwickelte und dessen Kunst noch Anklänge an die materielle Welt, ja selbst die Figur enthält. Im Kontrast dazu tritt in zwei ihnen zur Seite gestellten Zeichnungen Malewitschs radikaler Schnitt hervor. Aus dem Quadrat als "Embryo aller Möglichkeiten" und "lebendigem Zarenkind" entwickelt Malewitsch eine suprematistische Welt der reinen Empfindung fernab der materiellen Wirklichkeit – während die gegenständliche Malerei, wie er mit schneidender Ironie bemerkt, nur stets "dieselben Kühe und Sonnenuntergänge" malt und somit nichts Neues schafft.
Die sukzessive Entfernung der Malerei von der Gegenständlichkeit bis hin zum Suprematismus als Ziel und Endpunkt der Malerei veranschaulichen die Illustrationen des ersten Teils des Buchs. Schon Cézannes Malerei, Kubismus und Futurismus bezeichnen für Malewitsch Stationen auf dem Weg zum Suprematismus; sie bereits betreiben die "Vernichtung der Gegenständlichkeit". Schematische Zeichnungen von Gemälden Cézannes, Picassos oder Braques machen die Evolution hin zur reinen Geometrie deutlich. Im zweiten Teil des Buchs dient dann ein schwarzes Quadrat als Ausgangspunkt für die Entfaltung der suprematistischen reinen Empfindung; aus ihm gehen Kreis und Kreuz hervor. Kombinationen dieser Elemente veranschaulichen die "Empfindung des Flugs", des Stromes oder der magnetischen Anziehung - zuletzt des "mystischen Willens", des Weltalls und der Gegenstandslosigkeit. Der strenge Konstruktivist war eben gleichzeitig auch Mystiker.
Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben. Bis 22. Juni, Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr.
Nota.
Dass das Basler Museum seine Schätze der Öffentlichkeit zeigen will, ist ja in Ordnung, aber 'Zeichnungen' im Sinne eigenständiger Werke sind es nicht, nicht einmal Vorstudien, sondern Vorlagen für auszuführende Bilder. Ohne jene politische Vorgeschichte würden sie eine besondere Ausstellung nicht rechtfertigen.
Es gehört sich, über Malevitch nur Anerkennendes zu sagen. Nichts gegen die Anerkennung; aber man muss auch mal was anderes sagen können. Nämlich: Dass Malevitch es der stalinistischen Kulturpolitik verdankt, dass er nicht selber einsehen musste, wie sehr sich seine suprematistische Manier schon von allein totgelaufen hatte.
Noch heute ist es ja so, dass einem die erste Begegnung mit Malewitsch sozusagen die Augen auswischt. Bei mir liegt sie nun aber schon eine ganze Weile zurück, und seit es das Internet gibt, habe ich eine Menge gesehen. Und irgendwann war's mir genug. Angefangen bei einem schwarzen Quadrat; und dann hier angekommen:
Suprematismus N° 56
Da ist nichts mehr klar, nichts mehr radikal, nichts mehr eindeutig-fraglich. Das kann man tausendmal variieren, auf den Kopf stellen, die Seiten verkehren, die Farben ändern, statt der Rechtecke Kreise einsetzen - es ist Manier.
Und zwar wohl nicht aus malerischen, sondern aus doktrinären Motiven. Das macht die Sache suspekt. Manch anderer ist beim Malen mit einer gewissen Folgerichtigkeit auf die Abstraktion gekommen - die Landschaft hat dabei eine treibende Rolle gespielt. Bei Malevitch habe ich den Eindruck - ich bin kein Kunsthistoriker, ich kann mir solche Mutmaßungen leisten -, als hätte er in jungen Jahren hier mal dies, da mal das ausprobiert,
und als sich ein eigner Stil partout nicht von alleine einstellen wollte, hat er eine Doktrin übers Knie gebrochen. Natürlich konnte oder musste er auf diesem Weg zunächst einmal ganz originelle Sachen fertigbringen. Aber Ästhetik verträgt keine Doktrin. Dass ihm dann eine andere Doktrin dazwischenfuhr, hat ihn davor bewahrt, einen Holzweg als solchen erkennen zu müssen.
JE
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