Sonntag, 9. März 2014

Der Geschmack der Macht.

aus NZZ, 8. 3. 2014                                                                                      in der Villa von Janukowitsch Generalstaatsanwalt

Weisse Pfauen mit vergoldeten Schnäbeln
Wiktor Janukowitsch und die sinnliche Seite der Macht. 


Von Konrad Paul Liessmann 

Mit welchen Dingen sich die Macht umgibt, wenn sie mit sich allein ist, konnte man in den Villen des gestürzten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und seines Generalstaatsanwalts Wiktor Pschonka sehen. Was genau ist es, das die meisten autokratischen Herrscher dem Kitsch und dem Protz zutreibt?

Die Bilder gingen um die Welt. Nach der Flucht des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch pilgerte die Bevölkerung von Kiew zur geheimnisumwitterten Villa des gestürzten Potentaten, um sich einen Eindruck zu verschaffen, wie der einst mächtigste Mann der Ukraine gelebt hatte. Was zu sehen war, erstaunte, verblüffte, erregte Zorn und Empörung, gab aber auch Anlass zur Heiterkeit. 

Janukowitschs WC 

Einen Moment lang konnte man der Macht in ihr selbstgefälliges, gieriges, gleichzeitig massloses und bescheidendes Antlitz sehen - ein riesiges Areal, auf dem nicht nur das Wohnhaus und Nebengebäude, sondern auch ein Teich mit einem Segelschiff, das als Restaurant diente, ein Golfplatz, ein Treibhaus und ein Zoo Platz fanden, dazu eine Sammlung von Automobilen und eine Einrichtung, die das Herz jedes Freundes von teurem Kitsch höherschlagen lassen musste: vergoldete Armaturen auf den Toiletten, Klomuscheln auf Goldfüsschen, eine - wie kann es anders sein - freistehende Badewanne, üppige Kronleuchter und riesige Lederfauteuils, geschnitzte Stühle mit neogotisch gespitzten Lehnen, vor einer holzvertäfelten Wand ein riesiger Flachbildschirm, protzig und prunkvoll alles, demonstrativ luxuriös und überdimensioniert, und doch Ausdruck eines individuellen ästhetischen Selbstverständnisses, das sich die eine oder andere aussergewöhnliche Leidenschaft leisten konnte - bis hin zu einer Armada alter sowjetischer Staatskarossen und den im Tiergarten herumstolzierenden weissen Pfauen.

Alles, was funkelt und teuer ist

Doch halt: Jetzt haben wir uns verschrieben. Wohl hatte Janukowitsch Pfauen in seinem Garten, doch es waren die gewöhnlichen Tiere mit dem bekannten prächtigen Gefieder; die seltenen weissen Pfauen waren allerdings der ganze Stolz des Königs Herodes gewesen, zumindest in der überhitzten Imagination Oscar Wildes.


Speisesaal im Schiff

In seiner «Salome», die Richard Strauss dann kongenial vertonte, bietet Herodes seiner Stieftochter, die als Preis für einen Tanz den Kopf eines Propheten forderte, alles an, was sein Haushalt so hergab, um sie von diesem mörderischen Unterfangen abzubringen: prunkvolle Juwelen, seltene Edelsteine, erlesene Gewänder, ausgefallene Schmuckstücke, das halbe Königreich, und eben: weisse Pfauen, mit - man glaubt es kaum - vergoldeten Schnäbeln. Von solchem Plunder liess sich Salome allerdings nicht beeindrucken und verlangte hartnäckig den Prophetenkopf - aber immerhin: Er sollte ihr auf einer Silberschüssel serviert werden. Und so geschah es dann auch.

Die Geschenke, die Herodes Salome anbot, um den heiligen Mann zu retten, lesen sich wie die Inventarliste eines mittelprächtigen Potentaten. Alles gehört dazu, was funkelt, teuer ist, Seltenheitswert beanspruchen darf, Luxus demonstriert und vor allem geeignet erscheint, der Macht einen sinnlich-ästhetischen Ausdruck zu verleihen. Deshalb auch die Pfauen, damals wie heute: Tiere, die seit der Antike durch ihre Pracht den Mächtigen schmücken sollten und doch mitunter die Wahrheit über diesen aussprachen: Wer sich spreizt wie ein Pfau, setzt an zu grossem Imponiergehabe, versucht vielleicht aber auch nur durch einen falschen Glanz zu blenden. Dahinter mag sich dann wenig bis nichts verbergen.

 Der See 

Aus welchen Bestandteilen sich solch eine Liste auch immer zusammensetzt, sie gibt Antwort auf eine Frage: Wie lassen sich Macht, Reichtum und Einfluss in einem privaten Rahmen sinnlich zur Erscheinung bringen? Und was sagt uns dies über den Charakter, das Ethos, die Geisteshaltung eines Potentaten? Denn wir sprechen hier nicht von der Inszenierung der Macht im öffentlichen Raum, von Monumentalarchitektur und Triumphbögen, von demonstrativ der Anschauung des Volkes preisgegebenen Schlössern, Gärten und Palästen, sondern von dem, was sich hinter jenen Mauern abspielt, die den privaten Geschmack der Macht von ihrer öffentlichen Inszenierung trennen und hinter denen sich auch das Anwesen des ehemaligen ukrainischen Präsidenten verbarg.

Das Restaurant

Welcher Ästhetik gehorcht also die Macht, wenn sie gleichsam mit sich allein ist, bestenfalls dem trauten Freundes- und Familienkreis zugänglich? Die Antwort drängt sich nach der Veröffentlichung der Bilder der Janukowitsch-Villa geradezu auf: Es ist eine bizarre Ästhetik des schlechten Geschmacks. Und in der Tat: Die ästhetischen Fehlleistungen von Diktatoren, Autokraten, aber wohl auch von demokratisch gewählten Politikern sind legendär. Irgendwo zwischen Kitsch und Protz, Nippes und Gigantomanie, falscher Volksnähe und arroganter Abgehobenheit schwanken die ästhetischen und stilistischen Vorlieben.

Politik als Reich der Anpassung

Natürlich mag es Gegenbeispiele geben: Aber die kunstsinnigen Renaissancefürsten und stilsicheren Kirchenmänner jener Zeit waren doch eher Ausnahmen gewesen, jedenfalls passten sie nicht mehr in den Moralkodex einer Gegenwart, der den Mächtigen unserer Tage in ästhetischen Fragen eine manchmal auch falsche und verlogene Bescheidenheit vorschreibt. Unbescheidenheit, Habgier, eine exzessive Sammelwut und der Wunsch, sich selbst einen rasch und wohl nicht ganz rechtmässig erworbenen Reichtum täglich vor Augen zu führen, sind aber auch noch kein Garant für ästhetische Urteilskraft und guten Geschmack: eher im Gegenteil.

Die Villa

Warum aber triumphiert der schlechte Geschmack so gerne in der Politik? Eine erste These dazu wäre, dass Politik und guter Geschmack einander prinzipiell ausschliessen. Das Feld des Politischen, in dem es immer auch um Machtgewinn und Machterhalt, um Ideologien, Halbwahrheiten und Lügen, um Anpassung, Durchsetzungskraft und Rhetorik, um Kampagnen und Intrigen, um Korruption und Bestechung, um Drohungen und Aggressionen geht, in dem also der Zweck die Mittel heiligt, scheint jedem guten Geschmack und der Kultivierung der Sinne zu widersprechen.

Das Ästhetische, das die Dinge um ihrer selbst willen zur Erscheinung bringen, wahrnehmen und geniessen will, ist doch gerade das Gegenteil einer ziel- und interessenorientierten Machtdemonstration. Die Indienstnahme des Ästhetischen durch die Politik hat dann auch fast immer nur Kitsch produziert - und dies nicht nur in totalitären und autokratischen Systemen, aber dort in besonders augenfälliger Form. Die Affinität der Politik zum Kitsch ist nicht nur Ausdruck einer individuellen Geschmacksverirrung, sondern liegt in der Natur der Sache. Das macht das tragische Moment an solchen mitunter unfreiwillig komischen stilistischen Entgleisungen aus - diese sind auch Ausdruck einer offenen oder sublimierten Gewalt, die sich auch das Schöne unterwerfen und rücksichtslos den eigenen Interessen dienstbar machen will.

Die Fassade 

Eine weitere These könnte lauten: Geschmack muss sich bilden. Vielleicht kann sich überhaupt nur der Geschmack bilden - durch Erfahrung, durch Vergleiche, durch Neugier, durch Sensibilisierung, durch eine Schulung der Wahrnehmung, durch das Programm einer ästhetischen Erziehung. Das aber erfordert Zeit und die Bereitschaft, sich auf Dinge einzulassen, die vordergründig immer im Verdacht des Nutzlosen stehen werden. Es wundert so wenig, dass die immer wieder als Beispiel für Geschmacklosigkeiten genannten Potentaten und Politiker - das gilt auch für Wiktor Janukowitsch - Aufsteiger sind, aus ärmlichen Verhältnissen kommen und kaum die Möglichkeit hatten, das raffinierte Programm einer ästhetischen Erziehung zu durchlaufen. Die ungebildete und unreflektierte Lust am Sinnlichen, die sich, kaum an der Macht, nun regt, orientiert sich aber gerne an den ersten, ursprünglichen ästhetischen Empfindungen: Es sind die des Kindes. Gross muss etwas sein, auffallend, bunt, glänzend, kostbar, beeindruckend, und der Nachbar soll es nicht haben.

Kinderträume

Solch monumentaler Kitsch ist die lächerliche Kehrseite des Erhabenen. Und solchem Kitsch verfällt jener Erwachsene, der sich plötzlich in die Lage versetzt sieht, sich seine Kinderträume über alle Maßen hinaus zu erfüllen. Wer hätte denn nicht gerne einen riesigen Teich mit einem Schiff, einen eigenen Zoo, einen kleinen Dschungel und goldene Wasserhähne? Die Häme über Janukowitschs vergoldete Toilettenarmaturen rührt allerdings an ein zentrales Problem der Ästhetik von Gebrauchsgegenständen: an die Balance zwischen Funktion, Form und Material. Banales zu nobilitieren, indem ein eigentlich unpassendes, aber selbst als kostbar und schön geltendes Material gewählt wird, gehört zu den ältesten Äusserungsformen des schlechten Geschmacks.

Das Ewige und das Flüchtigste

Schon in Platons einschlägigem Dialog über das Schöne, im «Grösseren Hippias», macht sich Sokrates über einen Parvenü lustig, der seinen Hirsebrei mit einem Quirl aus Gold umrühren will. Auch wenn er glänzen mag: Besonders schön ist dieser Quirl nicht, weil das Material seiner Funktion nicht angemessen ist. Von diesem Quirl ist es nur ein kleiner Schritt zum vergoldeten Klosett aus der Villa des ukrainischen Ex-Präsidenten. Die Pointe liegt dabei allerdings darin, dass Gold, jenes Edelmetall, das wie kein anderes für Ewigkeit und Unzerstörbarkeit steht - weshalb es auch in keiner barocken Kirche fehlen darf -, nun das Flüchtigste und Vergänglichste, die menschliche Ausscheidung, ornamentieren soll. Die Grenze zwischen Kitsch und Hintersinn ist manchmal fliessend.

 
Die Affinität zum Kitsch hat so ganz wesentlich mit einer Regression zu tun. Das Eintauchen in unschuldige Kinderträume wird jedoch zum Verhängnis, wenn sich darin die Machtphantasien eines Erwachsenen offenbaren und eine Gelegenheit bekommen, sich auszutoben. Darin aber liegt auch das Erschreckende dieser Bilder aus der Luxusresidenz von Wiktor Janukowitsch, die an der Stelle des in Sowjetzeiten abgerissenen Klosters Meschihiria errichtet worden war: Die sinnliche Seite der unkontrollierten Macht ist nicht einfach nur hässlich, oder geschmacklos, oder lächerlich. Sie ist infantil. Das sollte uns zu denken geben.

Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. 2002 erschien «Kitsch! Oder warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist». Zuletzt veröffentlichte er 2012 im Wiener Zsolnay-Verlag den Band: «Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft».

Nota.

Eine vertane Gelegenheit. Schlechter Geschmack ist nur Mangel an gutem. Aber Kitsch ist mehr. Zunächst einmal ist er die Indienstnahme des Schönen, das "ohne Interesse gefällt", für - Interessen. Das Schöne ist nur schön, solange es keinem Zweck dient. Genauer gesagt: solange es so aussieht, als ob es keinem Zweck diente. Darum gibt es Stufen des Kitsches: Das unerfahrene Auge - das des Kindes zum Beispiel - erkennt den Zweck dahinter weniger leicht als ein gebildeter Blick. Dem reicht es schon, dass man der Schönheit die Mühsal ansieht, die ihre Produktion gekostet hat; im klassischen Ballet zum Beispiel und auf der Opernbühne. (Als Kunst schätzt er er dann vorzüglich die Perfektion, mit der die Künstler ihren Kraftakt überspielen.)

Das also stimmt: Kunst, die im Dienst von Politik steht, wird unvermeidlich Kitsch - wenn sie ihn nicht agitproppig überschreit. Woher dieser Unterschied? Derjenige Zweck, dem das Schöne am liebsten unterworfen, und der darum auch am liebsten übersehen wird, ist das Selbstgefallen. Dient das Werk außer einem politischen Zweck noch dem Selbstgefallen der Betrachter, wird der Kitsch perfekt. Und dann wird der politische Zweck ganz unwichtig. Und umgekehrt: Wenn die politisierte Kunst den Betrachter nicht in Selbstgefallen wiegt, sondern zu Kampf und Todesmut aufstachelt, mag sie immer noch von schlechtem Geschmack sein, aber sie heißt dann nicht Kitsch, sondern  Agitprop.

Nein, weltliche und Kirchenfürsten waren nicht nur ausnahmsweise Kenner und Förderer der Künste. Denn dadurch verherrlichten sie ihre Herrschaft. Erst in bürgerlichen Zeiten muss die Politik sich vorm Volk legitimieren. Zuvor reichte es aus, dass sie sich darstellte, zur Schau stellte, denn legitimiert war sie durch höhere Mächte. Das war bei den Usurpatoren in den italienischen Renaissancefürstentümern nicht mehr selbstverständlich, denn die gegnerische Adelspartei wartete schon auf die nächstbeste Gelegenheit, und so nahm die Selbstinszenierung selber kämpferische Züge an. Schleimig und buhlend wird die politische Indienstnahme der Kunst erst in der Epoche der Volksherrschaften. Der Kitsch ist eine Erscheinung der bürgerlichen Gesellschaft, wie allerdings auch die Avantgarde. Und seither ist Geschmack auch nicht mehr eine Frage der höheren oder geringeren Bildung, sondern Teil der jeweiligen Weltanschauung. Man sieht es in Janukowitschs Zauberschloss.
JE

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