Dienstag, 1. Oktober 2013

Nolde in Baden-Baden.

aus NZZ, 23. August 2013                                                                                                                 Tropensonne 1914

Glück und Unglück der Farben
«Emil Nolde. Die Pracht der Farben» - eine Ausstellung in Baden-Baden

Die eindrucksvolle Nolde-Ausstellung «Die Pracht der Farben» wirft Fragen auf. Lässt sich die vielschichtige Kunst Noldes auf ihre Farbigkeit reduzieren? Wie weit müssen Noldes politische Verwicklungen in der NS-Zeit auch im Kontext seiner Kunst reflektiert werden?

von Manfred Clemenz

Die Ausstellung im Frieder-Burda-Museum Baden-Baden «Emil Nolde. Die Pracht der Farben» hält, was sie verspricht. In den lichtdurchfluteten Räumen kommt die Farbenpracht der noldeschen Meer- und Blumenbilder erst richtig zur Geltung. Und wie in einer Spiegelung fällt der Blick durch die Fenster auf die Blumenrabatte mit Noldes Lieblingsblumen, eigens für die Ausstellung angelegt. Doch die Idylle trügt. Das Werk und das Leben Noldes waren alles andere als idyllisch.

 Blumengarten, 1922

Wanderleben

«Maler, male», mit diesen Worten versuchte Emil Nolde (eigentlich Emil Hansen) sich anzufeuern, wenn er an seiner Kunst zweifelte, seine Bilder zerkratzte, zerschnitt oder verbrannte. Nolde versuchte sich damit zu trösten, dass «Künstlernaturen» eben «nie glücklich» sein könnten. Nolde war kein Theoretiker: Er folgte seinem «inneren Trieb», der ihn freilich häufig auch in die Irre führte.

Nolde war als Maler Autodidakt. Er war von seiner Ausbildung her Möbelschreiner und arbeitete später als Möbelzeichner. Seine Besuche der privaten Zeichenschule Fehr in München, bei Adolf Hölzel und später der Académie Julian in Paris waren kaum mehr als Stippvisiten. Er war unstet von Stadt zu Stadt unterwegs, bis er schliesslich im Alter in seinem selbstentworfenen Atelierhaus Seebüll Ruhe findet. In St. Gallen, wo er Zeichenlehrer an einer Kunstgewerbeschule war, erfuhr er durch einen kuriosen Zufall die erste und für lange Zeit einzige Anerkennung seines künstlerischen Schaffens. Nolde zeichnete - oder karikierte - auf seinen Reisen einige der Schweizer «Bergriesen» und fertigte skurrile «Bergpostkarten» an. Zwei dieser Karten wurden in der Münchner Zeitschrift «Jugend» veröffentlicht: Nolde erhielt «unendliche Anfragen» von Sammlern und liess eine Auflage von 100 000 Exemplaren drucken. Er machte einen Gewinn von 25 000 Franken, gab seine Stelle an der Gewerbeschule auf und begann ein unstetes Wanderleben.

 Bergpostkarte 1894

Das Geld reichte fünf Jahre, 1902 war er fast völlig verarmt und zweifelte an seiner Kunst. «Die Farben gehorchten mir nicht.» Er ist schon in der Mitte seiner Vierzigerjahre, als er schreibt: «Der Maler hatte sich gefunden, die Farben waren seine Sprache geworden.» Bis in seine späten Dreissigerjahre liess er nur zwei Bilder gelten, das grossformatige Ölgemälde «Bergriesen» (1895/96), eine Fortsetzung seiner Postkarten, und die eigentümliche Phantasieschöpfung «Vor Sonnenaufgang» (1901). Die beiden Werke bilden den Auftakt der Ausstellung und zeigen bereits am Beispiel des Frühwerks Noldes Hang zum Phantastischen und Grotesken.

Bergriese

Ein Winter in Kopenhagen 1900/01 war der Tiefpunkt seines damaligen Lebens. Er ist vereinsamt, sucht - per Zeitungsannonce - verzweifelt und vergeblich eine Frau, hat Depressionen und Suizidgedanken: «Mir schien das Leben wie verloren.» Sein Leben und künstlerisches Schaffen ändert sich erst, als er, der sich als «halbverkommenen Sonderling» sieht, Ada Vilstrup, eine angehende dänische Schauspielerin, kennenlernt, die er 1902 heiratet. Es ist der Beginn eines neuen Lebens, den Nolde zugleich mit einer Änderung seines Namens besiegelt. Er nennt sich nunmehr «behördlich bewilligt» Emil Nolde. Nolde hat sein privates Glück gefunden, die materiellen Sorgen bleiben. Das Paar zieht auf die Ostseeinsel Alsen, wo es unter ärmlichen Verhältnissen in einem kleinen Fischerhaus lebt.

Das Meer III

1906 gelingt Nolde - nach einer Altartafel für eine Dorfkirche - ein erster bedeutender Verkauf, Nolde ist mittlerweile 39 Jahre alt. Karl Ernst Osthaus, der Leiter des Museums Folkwang Hagen, kauft das impressionistisch inspirierte Porträt Ada Noldes, «Frühling im Zimmer» (1904). Durch die Bekanntschaft mit Osthaus kommt Nolde auch mit Schmitt-Rottluff, Mitglied der Brücke, in Kontakt, der er später beitritt, worauf er jedoch bald auch wieder austritt. Nolde ist nunmehr im Kreis der expressionistischen Avantgarde angekommen.

Frühling im Zimmer, 1904

Die in den folgenden Jahren stattfindenden entscheidenden Veränderungen in der künstlerischen Konzeption Noldes sind in der Ausstellung kaum dokumentiert. 1906 malt Nolde das Bild «Freigeist», bei dem alles «wie neu erfunden werden» musste. Noch drastischer sind die Veränderungen in den religiösen Bildern des Jahres 1909, «Abendmahl» und «Pfingsten», auf die 1911/12 das neunteilige Werk «Das Leben Christi» folgt. Die religiösen Bilder markieren die «Wende» in Noldes Schaffen: «Mit (!) Bildern 'Abendmahl' und 'Pfingsten' erfolgte die Wende vom optisch äusserlichen Reiz zum empfundenen inneren Wert. Marksteine wurden sie, - wohl nicht nur in meinem Werk.»

Pfingsten

Nolde hat den Impressionismus seines Frühwerks überwunden (Impressionismus sei für ihn ein «Weg», kein «Ziel» gewesen). Umwertung der Natur durch Hinzufügung des «Seelisch-Geistigen» macht nunmehr für ihn das Werk erst zum Kunstwerk. Mit Bildern wie «Abendmahl», «Pfingsten» oder «Das Leben Christi» hätte man diese Wende zeigen können, insbesondere mit dem Mittelbild, der monumentalen «Kreuzigung», in der Nolde Grünewalds Bildkomposition aufgreift.

Nordischer Künstler?

Von den späteren religiösen Bildern sind in der Ausstellung - eine überzeugende Auswahl des Kurators Manfred Reuther - immerhin neben dem furiosen Bild «Hl. Symeon u. die Weiber» (1915) noch «Der Jüngste Tag» (1915), «Verlorenes Paradies» (1921) und das «Triptychon Martyrium I-III» (1921) präsent. Nolde auf die «Pracht der Farben» seiner Meer- und Blumenbilder zu fokussieren, so sinnlich, ja berauschend sie auch sein mögen, ginge an seiner künstlerischer Intention seelisch-geistiger Vertiefung vorbei. Eindrucksvoll ist eine Reihe seiner prachtvollen Meerbilder, etwa «Herbstmeer» (1919), «Meer» (1930). Nolde ist jedoch vorrangig ein Maler des Phantastischen («Meerweib», 1922), des Fremdartigen und nicht zuletzt des Religiösen. Nolde betont schon früh seine Leidenschaft für derartige Themen, seine Hinwendung zum «nie Gekannten», «Unfassbaren». So war auch seine Südseereise für ihn die Reise in ein «fernes Traumland»: «In heissem Verlangen und Sehnen nach nie Gekanntem, nie Gesehenen, dem Unfassbaren, entstehen die Werke von überzeitlichem Wert.»

Triptychon Martyrium I - III 1921. 

Noldes Wende zum «Seelisch-Geistigen» bedeutet keine «Naturverneinung», wie er sie in Kubismus und Abstraktion sieht. Dem Flug in die «Höhe des Phantastischen» folgt die «Senkung zur Erde». In immer heftiger werdenden Angriffen gegen die «auflösende Zertrümmerung der gegenständlichen Form» entwickelt Nolde nunmehr die Vorstellung einer «nordischen Kunst», die anders als die «Dekadenz» der südlichen Kunst «Phantastik, Kraft und seelische Wärme» besitze. Diese Entwicklung ist selbst in der von Nolde nachträglich bereinigten Fassung seiner Autobiografie noch deutlich zu erkennen.

Das Leben Christi, 1911-12 ,

Nolde wurde Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig, feierte 1933 die «Erhebung des deutschen Volkes» und äusserte sich antisemitisch (im Katalog der Ausstellung findet sich dazu nur ein Satz). Nolde fand zunächst bei Goebbels Unterstützung, man machte ihm attraktive Angebote, die er ablehnte. 1937 wurden seine Bilder in der Ausstellung «Entartete Kunst» gezeigt: Im Mittelpunkt stand «Das Leben Christi». Die Nationalsozialisten hatten ein feines Gespür dafür, dass Noldes Meer- und Blumenbilder in ihre Vorstellung von Kunst passen würden, nicht aber seine expressionistischen religiösen Bilder. 1941 fiel Noldes Kunst schliesslich der rigorosen «Ausmerzung» der Avantgarde zum Opfer, jegliche «berufliche» und «nebenberufliche» künstlerische Tätigkeit wurde ihm untersagt.

Meer im Abendlicht gehört zu der Reihe der Ungemalten Bilder

Nolde war politisch nicht naiv. Noldes Urteile über Kolonialismus und Imperialismus sind klar, scharf und vernichtend. Naiv war er jedoch insofern, als er glaubte, dass seine Kunst einen Platz in einer deutschen «nordischen» Kunst finden würde. Nolde steht in der Tradition eines Goya, Gauguin, Munch und Ensor, Jorn und Bacon vorwegnehmend. Hätte er weiterhin Meer- und Blumenbilder gemalt, die NS-Kulturbonzen hätten ihn mit offenen Armen aufgenommen. Nolde weigerte sich, seine Kunst aufzugeben oder sich anzupassen. Sein weiteres Schicksal als Künstler waren deshalb seine kleinen «ungemalten Bilder», die er in einer abgelegenen Kammer, versteckt vor den argwöhnischen Augen der Gestapo, malte. Einige von ihnen zeigt die Ausstellung. Ein künstlerischer Coup gelang ihm in dieser Zeit noch: «Grosser Mohn» (1942), 73,5×89,5 cm, rot leuchtend an prominenter Stelle im Erdgeschoss zu sehen.

Emil Nolde. Frieder-Burda-Museum, Baden-Baden. Bis 13. Oktober 2013.
 
Darf nicht fehlen: Großer Mohn (rot, rot, rot) 1942

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