Revolution des Sehens
Bonnard, Vallotton und Vuillard im Bann des japanischen Holzschnitts - eine Ausstellung in der Villa Flora
Eine feine Kabinettausstellung in der Villa Flora widmet sich dem Einfluss des japanischen Farbholzschnitts auf die Kunst der Nabis. Erstmals werden neu entdeckte Blätter von Hokusai, Hiroshige und anderen japanischen Künstlern gezeigt.
Bonnard, Vallotton und Vuillard im Bann des japanischen Holzschnitts - eine Ausstellung in der Villa Flora
Eine feine Kabinettausstellung in der Villa Flora widmet sich dem Einfluss des japanischen Farbholzschnitts auf die Kunst der Nabis. Erstmals werden neu entdeckte Blätter von Hokusai, Hiroshige und anderen japanischen Künstlern gezeigt.
von Philipp Meier
Ob sie als «Mona Lisa» der
japanischen Kunst betrachtet werden kann, ist zwar fraglich, denn lange
galten Holzschnitte im Land der aufgehenden Sonne als Erzeugnisse der
Populärkultur. Dennoch aber kennt heute jedermann die «Grosse Welle» von
Hokusai. Sie gilt als das weltweit bekannteste Kunstwerk Japans. Dass
die auch heute noch ungemein zeitgemäss anmutende Komposition einer
riesigen, über ein paar Fischerboote hereinbrechenden Meereswelle aber
einst die Sehgewohnheiten in der westlichen Kunst revolutionierte, mag
weniger bekannt sein. Längst hat sich das moderne Auge an Bilder mit
Extremperspektiven wie jener in Hokusais Geniestreich gewöhnt.
darf nicht fehlen
darf nicht fehlen
Phänomen Japonismus
Einst aber waren solche
Kompositionen ungewohnt - und bald der letzte Schrei. Mit der Entdeckung
japanischer Holzschnitte wie etwa der «Grossen Welle» brach am Ende des
19. Jahrhunderts im Westen eine Japan-Manie aus, die eine
kopernikanische Wende im Kunstverständnis auslöste. Das Phänomen ist
bekannt als Japonismus. Es entstand vorab in Paris eine
Sammelleidenschaft unter Künstlern und Kunstliebhabern, die sich fast
ausschliesslich einem einzigen Aspekt japanischen Kunstschaffens
zuwandte, dem Ukiyo-e. Durch die Öffnung Japans für den internationalen
Markt 1854 und durch die Weltausstellungen drang diese der japanischen
Volkskunst zuzurechnende Kunstgattung mit ihren bunten Drucken von
Schauspielern, Landschaftsansichten, schönen Frauen und erotischen
Szenen rasch ins westliche Bewusstsein.
van Gogh, Sämann, 4. Version, 1888
van Gogh, Sämann, 4. Version, 1888
Künstler wie van Gogh adaptierten die verknappte Bildauffassung eines Hokusai oder Hiroshige. Manet machte sich den flächig vibrierenden Einsatz von Farben japanischer Holzschnitte zu eigen und verzichtete weitgehend auf die Modellierung der Körper und Gegenstände. Und dem Geschmack insbesondere der Nabis wie Bonnard, Vallotton und Vuillard entsprachen Kompositionsprinzipien des Holzschnitt-Genres wie gewagte Aufsichten und Ausschnitte sowie Nah- und Fernsicht dicht nebeneinander. Begierig nahmen sie solche Stilelemente in ihre immer dynamischer werdenden Kompositionen auf. Die Nabis sind bekanntlich in der Sammlung der Winterthurer Villa Flora besonders gut vertreten. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in den ehemaligen Sammlungsbeständen von Arthur und Hedy Hahnloser auch eine ganze Mappe japanischer Druckgrafik auffinden liess. Diese - auf Anregung der Künstlerfreunde des Winterthurer Sammlerpaars erworbenen - Blätter werden nun erstmals zusammen mit Werken aus den hauseigenen Beständen ausgestellt.
Vallotton, La paresse 1896
Wie so viele andere Sonderschauen zuvor auch bringt diese feine Kabinettausstellung den Charme des häuslichen Ambiente dieses Juwels unter den Schweizer Kunstmuseen voll zur Geltung. Sie wirft aber vor allem auch den Blick auf einen weiteren Aspekt der Sammlungsgeschichte. «Bonnard, Vallotton, Vuillard im Bann des japanischen Holzschnitts» ist der zweite Teil eines Ausstellungsprogramms, das die wenig bekannte Hahnloser/Jaeggli-Stiftung mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken will. Diese steht hinter dem Museum mit heute über hundert Gemälden in ihrem Besitz.
Pierre Bonnard, Dame mit Regenschirm, und Suzuki Harunobu, Lesende Dame
In den kleineren Räumen werden Arbeiten, sowohl Gemälde wie auch Grafiken, von Bonnard, Vallotton und Vuillard japanischen Holzschnitten aus der Sammlung gegenübergestellt. Die Holzschnitte dürfen dabei als veritable Entdeckung gelten, war ihr Vorhandensein in der Sammlung Hahnloser bisher doch kaum bekannt. Für die Präsentation erfolgte durch die Zürcher Doktorandin Sabine Bradel eine wissenschaftliche Sichtung und Aufarbeitung dieses interessanten Materials.
«Le nabi japonard»
Die stimulierende Wirkung
japanischer Farbholzschnitte auf das Schaffen Vallottons, Bonnards oder
Vuillards lässt sich in der direkten Gegenüberstellung bestens erfahren.
So scheint Bonnard, der im Freundeskreis «Le nabi japonard» genannt
wurde, etwa in einem Gemälde mit Gewitterstimmung über Vernouillet die
schematischen Regenstreifen direkt einem Manga-Bändchen von Hokusai
entnommen zu haben.
Pierre Bonnard, L’orage à Vernouillet, 1908,
Pierre Bonnard, L’orage à Vernouillet, 1908,
Auch die von einem Windstoss
ergriffenen Passanten in einem berühmten Schwarz-Weiss-Holzschnitt
Vallottons («Le coup de vent») wären ohne Hokusais Vorreiterrolle nicht
denkbar gewesen. Gelang dem Meister aus Japan doch selbst die
Visualisierung unsichtbarer Elemente wie der klirrenden Kälte von
Schnee, des süssen Dufts einer Blüte, des leisen Summens eines Insekts -
oder eben einer plötzlichen Windböe.
Vallotton, Le coup de vent
Vallotton, Le coup de vent
Schöne Frauen in Innenräumen waren
ein beliebtes Motiv sowohl im japanischen Holzschnitt als auch in der
Kunst der Nabis. Die Musterung von Tapeten und Kleidern spielt hier eine
zentrale Rolle. In Vuillards Interieurs wie etwa der «Dame en noir
assise», die allein schon des Hochformats wegen an japanische Vorbilder
erinnert, hat sich die Zentralperspektive gänzlich aufgelöst: Die
einzelnen Raumelemente und selbst die im Vordergrund sitzende Dame
bestehen nunmehr aus unterschiedlich intensiv leuchtenden Farbflächen.
Edouard Vuillard, Dame en noir assise (La mère a la fenêtre), 1893
Edouard Vuillard, Dame en noir assise (La mère a la fenêtre), 1893
Anderseits lassen sich auch
Befruchtungen aufzeigen, welche die andere Richtung nahmen, jene von
West nach Ost. In der Bibliothek stehen sich zwei Winteransichten
gegenüber: Während Bonnards «Paysage d'hiver» den verschneiten
Landschaftsraum à la japonaise in reiner Flächigkeit zelebriert, ist
Hiroshiges winterliche Szenerie
Winterthur, Villa Flora, bis 2. Februar 2014.
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